Von Zwangseinweisung in die Psychiatrie bis Freispruch

Die Plädoyers im Fall des Backnangers, der seine Mutter und seine jüngere Schwester verletzt haben soll, gehen weit auseinander.

Vor dem Landgericht wurde der Prozess um einen Backnanger, der Familienmitglieder verletzt haben soll, fortgesetzt. Archivfoto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Vor dem Landgericht wurde der Prozess um einen Backnanger, der Familienmitglieder verletzt haben soll, fortgesetzt. Archivfoto: Alexander Becher

Von Heike Rommel

Backnang/Stuttgart. Im Fall des Backnangers, der seine Mutter und seine jüngere Schwester verletzt haben soll, gehen die Plädoyers vor dem Stuttgarter Landgericht weit auseinander: Während Staatsanwalt Sven Reiss eine Einweisung in die Psychiatrie für Straftäter fordert, will der Verteidiger Marko Becker Freispruch von allen Taten, weil er bei den Familienmitgliedern des Angeschuldigten eine „gewisse Richtung“ sieht. Ein Urteil wird am Freitag, 16. Dezember, ab 10.30 Uhr erwartet.

„Ich will wieder nach Hause oder in eine eigene Wohnung“, sagte der 25-jährige Sohn der Backnanger Familie während des Prozesses vor der achten Strafkammer immer wieder. Seine 57-jährige Mutter und seine jüngere Schwester, die ihn bei der Polizei angezeigt haben, machten als direkte Angehörige des Beschuldigten keine Angaben in dieser Strafsache, die vom Backnanger Amtsgericht an das Stuttgarter Landgericht hochverwiesen wurde, weil nur Letzteres die Strafgewalt hat, zu entscheiden, ob ein kranker Mensch in den Maßregelvollzug muss, der bis zu acht Jahre dauern kann.

Die Mutter und die Schwester machen vor Gericht keine Angaben

Da die Mutter und die Schwester vor dem Landgericht keine Angaben machten, holte der Vorsitzende Richter Ulrich Tormählen den Backnanger Amtsrichter in den Zeugenstand, der die Sache zum Landgericht Stuttgart hochverwiesen hat. Die Mutter, so der Amtsrichter als Zeuge, habe ihren Sohn in einem „psychotischen Zustand“ geschildert, als dieser ihr bei einem Spaziergang mit dem Hund die Schulter gebrochen habe.

Dagegen steht die Aussage des Sohns, er habe seiner Mutter aus Angst, dass sie wieder mal die Polizei ruft, das Handy entrissen, worauf sich die Hundeleine um deren Beine gewickelt und diese auf die Schulter gestürzt sei. Von diesem Tatvorwurf will den 25-Jährigen selbst der Staatsanwalt freigesprochen sehen, weil der junge Mann nach dem Gutachten der Gerichtspsychiaterin Roswita Hietel-Weniger vom ZfP Weissenau, wo der Angeklagte vorläufig untergebracht ist, aufgrund einer chronischen Schizophrenie nach Drogenkonsum nicht ausschließbar schuldunfähig gewesen sei. Dasselbe gilt für einen Sturz der Mutter, die an der Hüfte und an den Knien bereits vorerkrankt war. Sie stürzte in der Familienwohnung, wo der Sohn sie mit der flachen Hand zu Boden geschlagen haben soll, weil er unter Bewährung stand und Angst hatte, ins Gefängnis zu müssen, wenn die Mutter wieder die Polizei ruft.

Verteidiger lehnt Einweisung in den Maßregelvollzug für psychisch Kranke ab

Als erwiesen sah der Ankläger einen Schlag ins Gesicht der jüngeren Schwester an, die ihn wegen einer aus den Angeln gehobenen Balkontür zur Rede habe stellen wollen, denn zu diesem Zeitpunkt habe der kranke Bruder noch einigermaßen gewusst, was er tut. „Freispruch von allen Fällen“, lehnte der Verteidiger eine Einweisung des 25-Jährigen in den Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter ab. „Wir haben Zeugen, die nach der Verweisung vom Amtsgericht ans Landgericht geschwiegen haben.“ Vor dem Backnanger Amtsgericht hätten diese noch ausgesagt, sah Marko Becker eine „gewisse Richtung“ bei den Familienangehörigen seines Mandanten. Der Einzige, der Zeugenangaben machte, war der Vater, der sagte, er habe immer nur abends nach der Arbeit von den Streitigkeiten mitbekommen.

Die Gutachterin hat die Einweisung des 25-jährigen Backnangers, der ihrer Ansicht nach an chronischer Schizophrenie leidet, befürwortet. Denn von diesem müssten weitere Straftaten befürchtet werden. Nachdem der angeklagte Sohn schon einmal Papier in der Familienwohnung in Brand gesetzt habe, sei er bereits 2017 zum ersten Mal in die Psychiatrie eingewiesen worden. Außerdem stehe in einem der Arztbriefe, der Sohn habe „gedroht, seinen Eltern den Kopf abzuschlagen“. Die Gutachterin sieht im Falle des Backnangers, der über lange Zeit viele verschiedene Drogen konsumiert habe, ein Gefährdungspotenzial auch gegenüber Fremden als gegeben an.

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Erstellt:
12. Dezember 2022, 06:00 Uhr

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