Wagenknecht – Abgang ohne schmutzige Wäsche zu waschen

Die Linkspartei-Fraktionsvorsitzende begründet ihren Rückzug vom Amt mit den Grenzen, die ihr die Gesundheit setzt – Für die Partei ist das eine Zäsur

Berlin /NWA - Da steht Sahra Wagenknecht. Vor ihr die Wand aus Kameras. Neben ihr Dietmar Bartsch, ihr Kollege im Fraktionsvorsitz. Gleich beginnt an diesem Dienstag die Fraktionssitzung. Der kurze Auftritt der Chefs vor der Presse ist eigentlich Politikalltag. Diesmal aber ist alles anders. Keine Stellungnahme zu den aktuellen Themen der Tagespolitik. Wagenknecht spricht in eigener Sache. Lange war sie krank, zwei Monate hatte ihre Auszeit gedauert. Nun ist sie zwar wieder da. Aber sie will nicht mehr in den alten Trott zurück.

Schon am Montag hatte sie Partei und Fraktion darüber informiert,dass sie im September nicht mehr erneut für den Fraktionsvorsitz kandidieren werde. Nun spricht sie öffentlich über ihre Gründe. Ihre ­Gesundheit habe ihr „Grenzen gesetzt“. Es gehe „nicht gut aus, wenn man den Warnschuss nicht ernst nimmt.“ Deshalb werde sie nun „etwas zurücktreten“. Nicht auf­hören, das nicht, auch nicht ihr Bundestagsmandat niederlegen, aber dem „Dauerstress“ wolle sie sich nicht länger aussetzen. Und tatsächlich wirkt die Frau, die die Linke in den letzten anderthalb Jahren an den Rand einer Spaltung geführt, mit ihren ­Thesen zur Begrenzung der Migration den größeren Teil der Partei und ganz sicher die Parteiführung bis aufs Blut gereizt, und die mit der von ihr mit initiierten Bewegung ­namens Aufstehen viele linke Hoffnungen geweckt hatte, nun nicht mehr kämpferisch, sondern zerbrechlich.

Für die Partei kann das eine Zäsur bedeuten, zumal auch Wagenknechts Stellvertreterin Sevim Dagdelen nicht mehr für den Fraktionsvorstand kandidieren mag. Auch wenn Dietmar Bartsch den Eindruck erwecken will, dass alles unter Kontrolle ist: Es werde „keine Neuausrichtung der Fraktion“ geben. Das ist eine Illusion. In den vergangenen Jahren hat jeder halbwegs einflussreiche Linke seine Stellung in der Partei über seine Haltung zu Wagenknecht definiert. Wenn dieser Bezugspunkt wegfällt, braucht die Partei neue Pole.

Glaubt man der Parteiführung, wird alles gut. Schon der Europa-Parteitag in Bonn, an dem Wagenknecht nicht teilnehmen konnte, hatte gezeigt, dass die Linke ohne die allzeit provozierende Gegenwart Wagenknechts zu einer neuen Sachlichkeit finden kann. Auch kontroverse Debatten wurden mit Leidenschaft, aber ausgesprochen fair geführt. Tatsächlich rechnet es die Parteispitze Wagenknecht hoch an, dass sie ihren Rückzug gesundheitlich begründet. Parteichef Bernd Riexinger spricht gegenüber unserer Zeitung von einer „respektablen Entscheidung“. Er freue sich, dass sie der Partei „auch weiter in den anstehenden Wahlkämpfen zur Verfügung steht“. Bloß keine schmutzige Wäsche waschen.

Aber auch wenn Wagenknecht zweifellos gesundheitliche Gründe für ihren Rückzug hat, geht sie auch als Verliererin aus einem Machtkampf. Für ihre Positionen einer begrenzten Migration, ihrer stärkeren Fokussierung auf Wählerschichten, die sich zu den Abgehängten in der Gesellschaft rechnen, ihre Hoffnung, mit Aufstehen eine machtvolle Bewegung zu schaffen, die vielleicht sogar am Ende zur Gründung einer eigenständigen Partei hätte führen sollen – mit all dem fand Wagenknecht zwar manch glühenden Anhänger, aber nie eine Mehrheit.

Der Kurs der Parteispitze ist nun entscheidend gestärkt – ein Kurs, der stärker städtische Milieus und die Beschäftigten in den unteren Lohnsegmenten ansprechen will. Bei Pflegekräften und Klinikpersonal haben die Kampagnen der Linken große Resonanz gehabt. Riexinger kündigte im Gespräch mit unserer Zeitung an, dass dieser Kurs ausgebaut werden soll. Die Logistiksparte, „von den Paketdiensten bis zu den Verkäuferinnen“, soll nun stärker in den Blick genommen werden.

Dass mit dem Teilrückzug Wagenknechts die Chancen für ein rot-rot-grünes Bündnis steigen könnten, wird auch bei Grünen und SPD so gesehen. Zukunftsmusik. Derzeit gönnt sich die Linke ein bisschen Frieden.https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.hoffen-auf-klarere-position-wagenknecht-rueckzug-neue-optionen-fuer-die-partei.53290965-bf30-4809-9161-54ae40180561.htmlhttps://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.sahra-wagenknecht-linken-politikerin-will-fraktionsvorsitz-abgeben.654150d9-1277-4f51-b609-ecbeff57dc68.html

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Erstellt:
13. März 2019, 03:04 Uhr

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