Kritik an Wahl eines AfD-Mannes: Grüne zeigen sich reumütig
dpa/lsw Stuttgart. Von „Thüringen im Kleinformat“ ist die Rede, von einem „Tabubruch“ und „Schande“. Der Landtag hievt einen AfD-Kandidaten ins Verfassungsgericht - mit 20 Ja-Stimmen und vielen Enthaltungen der anderen Fraktionen. Vor allem die Grünen stehen in der Kritik.
Nach scharfer Kritik an ihrem Verhalten bei der Wahl eines AfD-Kandidaten in den Verfassungsgerichtshof hat sich die Grünen-Landtagsfraktion reumütig gezeigt. „Wir erkennen an, dass die Wahl des AfD-Mannes zum stellvertretenden Laienrichter vielfach Fragen aufgeworfen hat“, sagte Uli Sckerl, Geschäftsführer der Grünen, am Freitag in Stuttgart. Die Grüne Jugend, Ex-Parteichef Cem Özdemir, die SPD und die Linke hatten heftig kritisiert, dass sich Grünen-Abgeordnete enthalten und die Wahl des AfD-Bewerbers erst möglich gemacht hatten. Sckerl verwies aber auch auf andere Fraktionen: „Unverständlich sind die 20 Ja-Stimmen, die letztlich den Ausschlag gegeben haben.“ Das müsse man gemeinsam mit CDU, SPD und FDP aufarbeiten.
Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann zeigte Verständnis für die Abgeordneten. Sie müssten mit der schwierigen Situation umgehen, dass die AfD nun mal in den Landtag gewählt sei und Vorschlagsrechte habe – „auch wenn es wirklich schwer erträglich ist“, sagte Kretschmann der dpa in Stuttgart. Es sei eine schwierige Entscheidung, aber es sei eine Sache des Parlaments und nicht der Regierung. Er stellte aber klar: „Die AfD steht außerhalb des demokratischen Spektrums und wird teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet, deshalb kommt eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit in keiner Weise infrage.“
Der AfD-Kandidat Bert Matthias Gärtner war am Mittwoch im dritten Wahlgang zum stellvertretenden Mitglied des Verfassungsgerichts ohne Befähigung zum Richteramt gewählt worden. Gärtner erhielt 37 Ja-Stimmen, 77 Abgeordnete enthielten sich, 32 stimmten mit Nein. Die AfD-Fraktion besteht allerdings nur aus 17 Abgeordneten - Gärtner ist also durch zahlreiche Enthaltungen und auch Ja-Stimmen anderer Parteien ins Amt gewählt worden.
Die Grüne Jugend zeigte kein Verständnis: „Keine Enthaltung bei Faschisten! Die Abstimmung im Landtag zur Wahl eines AfD-Kandidaten in den BW Verfassungsgerichtshof hätte so nicht ablaufen dürfen“, teilten die Sprecher des Landesverbands, Sarah Heim und Aya Krkoutli, mit. Man dürfe sich niemals an die Präsenz der verfassungsfeindlichen AfD in Gremien gewöhnen.
Sckerl versprach eine Aufarbeitung: „Wir schlagen deshalb den demokratischen Fraktionen vor, diese Wahl und den grundsätzlichen Umgang mit Wahlvorschlägen der AfD im Landtag zu besprechen und aufzuarbeiten.“ Und weiter: „Idealziel muss es sein, dass die demokratischen Parteien im Kampf gegen Rechts nicht gegeneinander arbeiten, sondern weiterhin gemeinsam ihren klaren Kurs beibehalten gegen die Feinde der Demokratie.“
Anfang Juli war der 66-jährige Gärtner in zwei Wahlgängen noch klar durchgefallen. Er arbeitet für die AfD-Abgeordnete Carola Wolle. Die SPD-Fraktion im Stuttgarter Landtag versicherte, alle Abgeordneten hätten gegen den AfD-Mann gestimmt. Bei der CDU gab es nach eigenen Angaben keine Absprachen für die geheime Wahl. Bei der FDP gab es demnach eine Empfehlung, gegen den AfD-Mann zu stimmen.
Und die 58 Abgeordneten der Grünen? Sckerl hatte am Donnerstag gesagt: „Es gab aus unseren Reihen ausschließlich Nein-Stimmen und Enthaltungen.“ Hätte die Mehrheit der Abgeordneten Gärtner abgelehnt, hätte die AfD-Fraktion in jeder Sitzung einen neuen Kandidaten nominieren und das Parlament in Wahlgänge zwingen können. „Eine Nominierungs-Dauerschleife wäre die Folge gewesen - und diese hätte jedes Mal aufs Neue der AfD-Fraktion eine Plattform geboten und Ressourcen gebunden.“
Der Gerichtshof besteht aus neun Richtern - drei Berufsrichter, drei Richter mit Befähigung zum Richteramt und drei Personen, die diese Befähigung nicht haben. Der Landtag wählt die Mitglieder und ihre Stellvertreter für neun Jahre.
Die Wahl von Gärtner rief auch in der Südwest-CDU Kritik hervor. Der Landeschef des CDU-Sozialflügels, Christian Bäumler, forderte eine Aufarbeitung der Wahl des AfD-Bewerbers durch die Fraktionen im Landtag. „Wenn sich ein AfD-Mitarbeiter für die dritte Gewalt im Staat bewirbt, erwarte ich von allen Fraktionen ein klares Nein. Mit Enthaltung ist es da nicht getan“, sagte Bäumler. Die politische Brandmauer gegen Rechts werde durch solche Aktionen beschädigt. „Das ist Thüringen im Kleinformat“, sagte er in Anspielung auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD und CDU im Februar 2020.
© dpa-infocom, dpa:210723-99-495628/3