Frauen im Gesundheitssystem

Warum Ärzte Frauen oft nicht ernstnehmen

Frauen haben ein medizinisches Problem: Ärzte nehmen ihren Schmerz weniger ernst als den von Männern. Sie sind schlechter versorgt, ihr Körper ist weniger erforscht und sie sind länger krank. Was sind die Ursachen?

Die Periode der Frau war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ein Mittel, um Frauen auszugrenzen und als abnormal zu stigmatisieren.

© Unsplash/Monika Kozub

Die Periode der Frau war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ein Mittel, um Frauen auszugrenzen und als abnormal zu stigmatisieren.

Von Eva-Maria Manz

Im Januar 2022 rief eine österreichische Influencerin auf Twitter mit dem Hashtag #frauenbeimarzt dazu auf, vom Umgang der Ärzte mit weiblichen Patienten zu berichten: „Ich würde gerne sichtbar machen, welche sexualisierten oder erniedrigenden Erfahrungen Frauen bei ihren Arztbesuchen erlebt haben“, schrieb die Nutzerin. Die Resonanz war überwältigend, mehr als 1000 Frauen antworteten. Ihre Magenbeschwerden seien vom Arzt auf „psychische Ursachen“ zurückgeführt worden, erzählte eine, später habe ein anderer Arzt Magenkrebs diagnostiziert. Eine andere berichtete, ihr Gynäkologe habe ihr die Pille verweigert mit der Begründung, sie sei „zu fett“. Besonders oft erzählten die Frauen, dass ihnen vom Arzt nicht geglaubt worden sei und entsprechende Untersuchungen unterlassen wurden.

Diese Erzählungen geben lediglich subjektive Erfahrungen wider, doch ein ähnliches Bild liefert die Studienlage. Im Gesundheitssystem haben Frauen auch jenseits verbaler Entgleisungen von Ärzten ein Problem. Ärzte nehmen die Schmerzen von Frauen bei Weitem nicht so ernst wie die von Männern.

Wenn Frauen mit Schmerzen in die Notaufnahme kommen, warten sie dort im Schnitt 30 Minuten länger auf Hilfe als Männer. Überdurchschnittlich häufig werden ihre Probleme als psychosomatisch eingestuft. Eine Studie von 2018 zeigt, dass Begriffe wie „simulieren“ oder auch „hysterisch“ häufiger bei Schmerzberichten von Frauen verwendet werden. Besonders hart ist: Frauen werden laut der American Heart Association sogar weniger oft reanimiert.

Dieser mangelhafte ärztliche Umgang mit Patientinnen hat Folgen. Frauen verbringen weltweit im Schnitt 25 Prozent mehr Zeit ihres Lebens in schlechter Gesundheit als Männer. Das hat eine Befragung des McKinsey Health Institute und des Weltwirtschaftsforums 2024 ermittelt. In dieser Zeit der schlechten Gesundheit sind Frauen überall weniger präsent und produktiv – das verringert auch ihr Einkommen. Würde sich das ändern, rechnete McKinsey aus, könnte die Weltwirtschaft bis 2040 jährlich um eine Billion Dollar wachsen. Jährlich! Und vor allem: Frauen könnten dann deutlich gesünder und besser leben.

Das Gesundheitssystem ist von Männern für Männer gemacht

Warum und wie also kommt es überhaupt zu der massiven Ungleichbehandlung der Geschlechter in der medizinischen Versorgung? Bis heute wirken sich offenbar sowohl historische Rollenbilder als auch medizinisches Unwissen auf das ärztliche Urteil aus. Es fehlt schlicht an Forschungen zum und am weiblichen Körper. Allzu lange hielt die Medizin Frauen für kleine Männer. Dazu, wie sie auf Schmerzen reagieren, ist noch immer wenig bekannt. Das Gesundheitssystem ist von Männern für Männer gemacht. Der weiße Mann mittleren Alters mit 70 Kilogramm Körpergewicht gilt weiterhin als Standard in der Medizin. Bei Medikamentenstudien wurden bis in die 1990er Jahre so gut wie keine Frauen eingeschlossen, selbst heute bilden Frauen nur 25 Prozent der Studienteilnehmerinnen. Das erklärt sich vor allem damit, dass Frauen lange Zeit als zu kompliziert galten für Studien aufgrund ihres Zyklus und der Möglichkeit, dass sie schwanger sein oder werden könnten. Selbst Medikamente, die explizit für Frauen auf den Markt kamen, wurden an Männern getestet.

Geschlechtsspezifische Zuschreibungen, die zudem das Urteil der Ärzte beeinflussen, beziehen sich einerseits auf den Körper der Frau, andererseits auf ihre mentale Verfassung. Letzteres führt dazu, dass Frauen öfter unterstellt wird, nur psychisch zu leiden oder sich etwas einzubilden. Noch immer gelten Frauen dem Klischee nach als emotionaler und dramatischer als Männer.

Neun von zehn Menschen weltweit hegen Vorurteile gegen Frauen, hat eine UN-Studie im Jahr 2023 ergeben. Das zeigt sich beinahe täglich in der gesellschaftlichen Darstellung von Frauen, an beiläufig geäußerten Bemerkungen wie der von Friedrich Merz, dem wohl künftigen CDU-Bundeskanzler, im Wahlkampf etwa. Er glaubte, an die Frauen appellieren zu müssen, sich bei ihrer Wahlentscheidung nicht vom Äußeren des Wirtschaftsministers Robert Habeck leiten zu lassen. Merz sagte: „Ich richte mich insbesondere an die Damen und die Frauen hier im Haus. Derjenige, der da im Unterhemd in der Küche sitzt, mag ein sympathischer Kerl sein, von Wirtschaftspolitik hat er keine Ahnung.“ So wie Merz denken nicht nur Politiker – sondern auch Ärzte. Ihre Vorurteile gegenüber Frauen beeinflussen ihr medizinisches Urteil. Abwertende Bemerkungen wie die von Merz verbreiten in der gesamten Gesellschaft falsche Vorstellungen von Frauen als hormongesteuerten Wesen.

Und dieses Klischee hat eine lange Tradition. Es ist das Erbe der Hysterie, die immerhin seit 1980 keine anerkannte Krankheit mehr ist. Vom altgriechischen Wort für Gebärmutter – Hystera – leitete sich der Name dieser jahrzehntelang diagnostizierten, vermeintlichen Nervenkrankheit ohne wirklich einheitliches Krankheitsbild ab.

Lange Zeit galt die Gebärmutter als Wurzel allen Übels

In ihrem aktuellen Buch „Unversehrt – Frauen und Schmerz“ (HarperCollins, 256 Seiten, 20 Euro) führt die Autorin Eva Biringer aus, wie in der gesamten Geschichte von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart immer wieder Wege gefunden wurden, den Schmerz und die Krankheiten von Frauen nicht nur zu übersehen. Vielmehr gab der Schmerz Anlass, an Frauen experimentelle Behandlungsmethoden zu testen oder sie medikamentös ruhig zu stellen, mit stets unklaren Nebenwirkungen. Es gibt viele Hinweise darauf, dass Frauen anders auf Schmerzmittel reagieren. Sie werden beispielsweise schneller abhängig als Männer, und Morphium wirkt viel stärker.

Der männliche Körper war jahrhundertelang der Normale, das Standardmaß. Der weibliche wurde als minderwertig betrachtet. „Der weibliche Körper kann Leben hervorbringen, das macht Angst“, glaubt die Autorin Eva Biringer. Diese Macht galt es, einzudämmen, und ein Weg war, ihn als das Schwache, das Andere und Irrationale zu markieren. Kurioserweise galt die Gebärmutter lange als Wurzel allen Übels. In der Antike schrieb Platon, die Gebärmutter sei ein „Lebewesen, das nach der Kinderzeugung begehrt“ und beim Ausbleiben dieses Verlangens „im Körper umherirrt“. Auch Hippokrates – auf dessen Name heute noch angehende Ärztinnen ihren Eid leisten – glaubte, eine sexuell inaktive Gebärmutter ertrinke im eigenen Blut. Bis weit ins 20. Jahrhundert – viele wissen das noch von ihren Müttern und Großmüttern – war die Entfernung der Gebärmutter „eine ganz alltägliche, häufig ohne Betäubung durchgeführte Maßnahme“. Als Gründe galten übermäßiger Appetit, Masturbation, Selbstmordversuche oder eine zu große Libido.

Auch heute noch werden in Deutschland jährlich 150 000 Gebärmuttern entfernt. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts sind von diesen Operationen weniger als 10 Prozent wirklich notwendig. Sie sind allerdings lukrativ: 4000 Euro pro Operation zahlen Krankenkassen, rund 350 Millionen Euro bringt das dem Gesundheitssystem.

Unnötige Entfernung von Gebärmuttern

Auch die Periode der Frau diente lange dazu, sie auszugrenzen und als abnormal zu stigmatisieren. Menstruierende Frauen galten als unrein. Im 19. Jahrhundert ging man von einer Krankheit namens Eierstockhysterie aus. Als besonders gefährdet galten Mädchen mit langen Wimpern und Frauen, die viel lasen. Selbst in den 1920er Jahren waren noch viele Gynäkologen der Ansicht, so etwas wie eine normale Menstruation gebe es nicht. „Frauen wurde zu dauerhafter Schwangerschaft geraten, als Schutz vor dem angeblich toxischen Periodenblut“, schreibt Eva Biringer. Dauerhafte Schwangerschaften wiederum waren ein Instrument, Frauen ans Haus zu fesseln. Der historische Umgang mit der Periode folgt einem gängigen Muster, glaubt Biringer. Einerseits wurde ein natürlicher Vorgang pathologisiert. Andererseits galten jene, mit denen tatsächlich etwas nicht in Ordnung war, als hysterisch oder als Simulantinnen.

Medizinisches Wissen über Krankheiten wie die Endometriose breitet sich nur langsam aus – selbst Gynäkologen sind heute oft noch unzureichend informiert. Das wiederum gilt für viele Bereiche der medizinischen Behandlung von Frauen, dramatischerweise auch in Bezug auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Noch immer werden Herz-Kreislauf-Probleme bei Frauen unterschätzt, betont die Deutsche Herzstiftung, obwohl sie mit mehr als 180 000 Sterbefällen im Jahr die häufigste Todesursache bei Frauen sind.

Seit einiger Zeit versucht die Gendermedizin, Nachteile aufzuarbeiten. Dennoch sind die Geschlechterunterschiede in den Lehrplänen der Medizinstudierenden nur unzureichend berücksichtigt, darauf weist der Deutsche Ärztinnenbund e.V. (DÄB) hin. Dabei würden nicht nur Frauen, sondern auch Männer von der gendersensiblen Ausbildung profitieren, denn manche Krankheitsbilder, wie etwa das der Depression, äußern sich bei ihnen anders als bei Frauen.

Frauen haben keine Lobby in der Gesundheitspolitik

Politisch haben Krankheits- und Behandlungsbilder, die speziell Frauen betreffen, verhältnismäßig wenig Gewicht. Die Berliner Gynäkologin und Buchautorin Mandy Mangler beklagte kürzlich in einem Interview, Geburt spiele bei der Krankenhausreform kaum eine Rolle. Und das, obwohl so viele Menschen davon betroffen sind: 690 000 Mal findet eine Geburt in Deutschland pro Jahr statt, sie betrifft Mütter und Babys und im erweiterten Sinne deren Partner oder Partnerinnen, also gut zwei Millionen Menschen jedes Jahr. Ihnen fehlt ganz offensichtlich nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Politik eine Lobby.

Bezüglich der gesellschaftlichen Aufklärung hat sich zuletzt einiges getan. Dass etwa erkannt wurde, wie stark sich der weibliche Zyklus auf die Gesundheit eines Menschen auswirkt, betrachten Gynäkologinnen als medizinischen Meilenstein. Heute thematisieren Sportlerinnen öffentlich den Einfluss ihres Zyklus auf ihre Fitness, ihr Wohlbefinden und ihre Trainingsmethoden.

Frauen werden in Begleitung eines Mannes beim Arzt ernstgenommen

Doch damit sich etwas ändert, muss in vielen Bereichen erst einmal das Bewusstsein für die Ungleichbehandlung wachsen. Aktuell sind eher Rückschritte im Umgang mit dem weiblichen Körper erwartbar, auch bedingt durch das Erstarken reaktionärer Kräfte in der Politik, die Probleme von Frauen hintanstellen, genderspezifische Forschung nicht unterstützen oder wie in den USA oder Polen, Frauenrechte einschränken und Abtreibungsverbote umsetzen.

Dabei steht Frauen die gleichwertige medizinische Hilfe wie Männern zu. Um das einzufordern, könnten sie sich in Deutschland sogar auf das Grundgesetz berufen. Darin heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Nicht ohne Bitterkeit bleibt den Frauen bis dahin wohl nur eines zu raten: Die amerikanische Autorin Maya Dusenbery, deren Buch „Doing Harm“, zu Deutsch „mit Absicht schädigen“, in den USA vor einigen Jahren ein enormes Medienecho ausgelöst hat, animiert Frauen dazu, zum Arzttermin ihren Partner mitzunehmen. Frauen in Begleitung eines Mannes werden vom Arzt nämlich ernstgenommen.

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Erstellt:
6. März 2025, 09:12 Uhr

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