Katastrophenübung Magnitude
Warum Baden-Württemberg Schauplatz für den Erdbeben-Test ist
Eines ist sicher: Diese Katastrophe dauert nicht mal 48 Stunden. Mehr Zeit haben die Einsatzkräfte aus mehreren Ländern nicht. Baden-Württemberg ist als Ort des Szenarios treffend gewählt.
Von red/dpa
„Können Sie mich hören?“, ruft ein Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) in einen Bus, der auf einem Trümmerberg steht. Vor wenigen Stunden hat es hier in Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreis) ein Erdbeben gegeben - zumindest fiktiv. Auf einem ehemaligen Kasernengelände haben die ersten Kräfte begonnen, eine extra dafür installierte „Trümmerstrecke“ zu räumen und Verletzte zu bergen.
Wie wird ein realistisches Szenario geschaffen?
Rund 950 Menschen beteiligen sich an der internationalen Übung „Magnitude“ in der Region um Mannheim und Mosbach. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) und der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarčič, wollen sich das am Freitag anschauen. Es geht etwa um eingestürzte Gebäude, schwer verletzte Menschen unter Schutt und Chemieunfälle. „Insgesamt findet die Übung national und international sehr große Beachtung“, sagte Strobl vorab. „Wir müssen das Unvorstellbare denken, um die Menschen bestmöglich zu schützen.“
Warum ist Baden-Württemberg besonders betroffen?
Das Land hatte sich 2023 bei der EU-Kommission für die Durchführung einer internationalen 36-Stunden-Katastrophenschutzübung beworben - und den Angaben zufolge als erstes Bundesland in Deutschland den Zuschlag erhalten. Das passt ganz gut: Denn wenn sich eine Region in Deutschland mit Erdbeben auskennt, dann der Südwesten.
Wie oft bebt die Erde in Baden-Württemberg?
Baden-Württemberg ist das seismisch aktivste Bundesland. Vor allem der Oberrheingraben, die Zollernalb und die Bodenseeregion sind betroffen. Dort werden nach Auskunft des Landeserdbebendienstes (LED) täglich Beben gemessen. Vorhersagen lassen sie sich nicht. Menschen können auf der Internetseite des Dienstes über ein Formular Erdbeben melden.
Wie stark sind die Beben?
In der Regel merkt man von diesen schwachen Erdbeben nichts. Durchschnittlich einmal pro Monat gibt es den Angaben nach lokal leicht spürbare Erdbeben. Und etwa einmal pro Jahrzehnt sei in Baden-Württemberg mit mittelstarken Erdbeben zu rechnen, die regional zu Gebäudeschäden und Betriebsstörungen in größerem Umfang führen können.
Wie hoch ist Gefahr, dass Schlimmeres passiert?
Starke Erdbeben mit katastrophalen Auswirkungen sind in Baden-Württemberg zwar sehr selten, aber nicht ausgeschlossen. Die stärksten registrierten Erdbeben im Südwesten waren auf der sogenannten Albstadtscherzone 1911 (etwa Stärke 6), 1943 (etwa Stärke 5,7) und 1978 (etwa Stärke 5,7) sowie am Oberrheingraben zuletzt 2004 bei Waldkirch (Stärke 5,4).
Das stärkste überlieferte Erdbeben im Dreiländereck trat 1356 bei Basel auf. Die Stärke wird von verschiedenen Quellen auf etwa bis zu 6,9 geschätzt, kein Gebäude blieb verschont. In etwa diese Intensität des Ausmaßes wird auch für das „Magnitude“-Szenario angenommen.
Erdbeben treten häufig an den Grenzen zwischen tektonischen Platten auf, wenn diese sich verschieben. Baden-Württemberg liegt zwar auf der eurasischen Platte ein gutes Stück nördlich der Plattengrenze. Hier gibt es aber laut dem LED sogenannte Schwächezonen wie den Oberrheingraben und die Albstadtscherzone auf der Zollernalb. Dort würden Erdbeben hauptsächlich durch Druck der afrikanischen Platte auf die eurasische Platte erzeugt.
Warum ist das Projekt wichtig?
Bei dem Erdbebenszenario geht es nach Angaben des Ministeriums nicht nur um die Bergung und Versorgung von Menschen. „Simuliert werden auch Schäden an Gebäuden, Infrastruktur und Versorgungsleitungen.“ Die Übungsteilnehmer, die auch aus Frankreich, der Schweiz, Österreich und Griechenland kommen, müssten sich darauf einstellen, dass zum Beispiel radioaktive Gefahrenstoffe austreten oder das Trinkwasser mit Chemikalien verseucht wird. Los ging es am Donnerstag. Für Samstagvormittag ist das Ende geplant.
Welche Übungsorte gibt es?
In Mosbach soll auf einem ehemaligen Kasernengelände das Bergen von Menschen trainiert werden - auch nachts. Dafür wurde den Angaben nach extra eine „Trümmerstrecke“ installiert. In Mannheim geht es um Vorfälle, die sich auf dem Wasser abspielen - etwa Havarien von Schiffen oder chemische Risiken bei Gefahrguttransporten.
Auf dem Gelände der Johannes Diakonie Schwarzach wird die Evakuierung eines Wohngebäudes für Menschen mit einem höheren Hilfebedarf geübt. Und bei der Landesfeuerwehrschule Bruchsal (Landkreis Karlsruhe) die Arbeit bei einem Chemieunfall.
Auf der rund 250 Meter langen „Trümmerstrecke“ sorgen nach Angaben des Innenministeriums neben Schutt und Beton auch Tonaufnahmen von Hilferufen sowie Kunstblut für ein realistisches Szenario. Auf dem Gelände stehen außerdem mehrere verschüttete Busse, in denen sich zum Teil Verletzte befinden. Tierische Innereien sollen im Verlauf der Übung einen Verwesungsgeruch verströmen.
Was kostet die Großübung?
1,36 Millionen Euro sind für das Projekt den Angaben zufolge veranschlagt, von denen die Europäische Kommission einen Teil übernimmt. Das Ministerium rechnet mit rund 755 Übungsteilnehmern, etwa 100 Personen für die Übungsleitung und Koordination sowie 100 Rollenspielern, mehr als 160 Fahrzeugen, 3 Hubschraubern und 15 Hunden.
„Die Krisen der vergangenen Jahre zeigen: Der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz in Deutschland und in Europa steht vor großen Herausforderungen“, erklärt Minister Strobl. „Darauf müssen wir vorbereitet sein.“ Dafür sei auch eine stärkere Zusammenarbeit mit europäischen Partnern nötig. „Katastrophen machen ja nicht an der Staatsgrenze halt.“
Wie wird die Übung ausgewertet?
Darüber hinaus geht es darum, die Bevölkerung zu sensibilisieren und die Menschen auf den Umgang mit Krisensituation vorzubereiten. Bewertet wird die Übung im Jahr 2025.
Die Rettungskräfte werden bei ihrer Arbeit von anderen Übungsteilnehmern beobachtet. Diese sollen den Ablauf der Übung und die Qualität der Rettungsaktionen sicherstellen und bei Bedarf eingreifen. Nach Ende der Großübung sollen die Szenarien ausgewertet und bestehende Rettungskonzepte gegebenenfalls angepasst werden.