Handelsüberschuss in Rekordhöhe
Warum Chinas Export-Boom kein Grund zum Feiern ist
Wenige Gewinner, viele Verlierer: Chinesische Firmen verkaufen so viel ins Ausland wie nie zuvor, doch leiden gleichzeitig unter sinkenden Gewinnen.
Von Fabian Kretschmer
China hat eindrücklich unter Beweis gestellt, dass es nach wie vor die Werkbank der Welt ist. Das nationale Statistikamt in Peking präsentierte am Montag Zahlen, die die Erwartungen der Ökonomen durchweg übertrafen: So sind die Exporte aus dem Reich der Mitte im Vorjahr um 5,9 Prozent gestiegen, und auch die traditionell schwachen Importe wuchsen immerhin um 1,1 Prozent.
Wenn man Außenhandel als Nullsummenspiel begreift, dann geht die Volksrepublik eindeutig als globaler Gewinner hervor: Der Handelsüberschuss des Landes rangiert bei knapp einer Billion US-Dollar, was einen neuen Rekord darstellt. Gegenüber den USA und der EU fällt die Bilanz der chinesischen Volksrepublik massiv positiv aus, doch selbst gegenüber den meisten Staaten des globalen Südens erzielt das Reich der Mitte ebenso Überschüsse.
Der Teufel liegt im Detail
Grund genug also für die Wirtschaftsplaner in Peking, die Sektkorken knallen zu lassen? Keineswegs. Nur oberflächlich betrachtet sind Chinas aktuelle Handelszahlen ein Grund zum Feiern. Denn sie legen zwar durchaus die Stärken des Systems offen; etwa, dass chinesische Unternehmen ganz offensichtlich wettbewerbsfähig sind. Doch mindestens ebenso zeigt der radikal unausgeglichene Außenhandel die Schwächen des chinesischen Wirtschaftssystems auf.
Der Teufel liegt, wie so oft, im Detail. Denn aus den Statistiken vom Montag geht auch hervor, dass die Unternehmensgewinne in China mittlerweile das dritte Jahr in Folge gesunken sind. Im Schnitt sind diese um 4,7 Prozent eingebrochen. Und insgesamt schreiben ein Viertel der chinesischen Unternehmen sogar rote Zahlen. Am schlechtesten schneiden ausgerechnet Chinas Staatsunternehmen ab; also jene Betriebe, die von Xi Jinping besonders stark gefördert werden. Besonders besorgniserregend: Die Gewinneinbrüche fallen noch prononcierter aus als 2022. Damals befanden sich etliche Fabriken aufgrund der rigiden „Null Covid“-Politik in einer Lockdown-Dauerschleife.
Auf den ersten Blick passt dies nicht zusammen: Einerseits verkaufen chinesische Firmen immer mehr auf den globalen Märkten. Gleichzeitig jedoch profitieren diese immer weniger davon. Doch Ökonomen haben diese Entwicklung bereits seit Jahren prognostiziert: Mit massiven Subventionen, niedrig gehaltenen Löhnen und einer ebenso künstlich abgeschwächten Währung produzieren chinesische Firmen in den von der Parteiführung designierten Kernindustrien massive Überkapazitäten, die dann teils zu Dumping-Preisen auf den Weltmärkten abgeladen werden. Brad Setser, Ökonom bei der US-Denkfabrik „Council on Foreign Relations“, warnt: Die Art des chinesischen Wachstums „sollte allen Handelspartnern, nicht nur den USA, Unbehagen bereiten“.
Und tatsächlich wehren sich die meisten Staaten bereits. Dabei sind es nicht nur die Vereinigten Staaten, die mit Strafzöllen chinesische Produkte blockieren. Allein im letzten Jahr haben 28 Handelspartner Untersuchungen gegen chinesische Importe eingeleitet, darunter auch Peking-freundliche Staaten wie Pakistan oder Brasilien. Zweifelsohne wird sich dieser Trend in diesem Jahr weiter fortsetzen. Auch die EU gerät unter Zugzwang. Denn unter den kaufkräftigen Märkten ist Europa der wohl letzte Wirtschaftsraum, der für chinesische Firmen noch weitgehend offen steht. Angesichts eines Handelsdefizits, das sich auf knapp 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr beläuft, dürfte sich dies bald ändern.
Doch auch innerhalb von China produziert das System nur wenig Gewinner. Denn während die Bevölkerung im Zuge einer rekordhohen Jugendarbeitslosigkeit und einer anhaltenden Immobilienkrise reale Wohlstandsverluste hinnehmen muss, machen auch die Unternehmen – bis auf wenige Ausnahmen – kaum Gewinne.
Es sind alles Zeichen einer Deflationsspirale, die sich in China andeutet. Dass die Preise sinken, mag kurzfristig betrachtet aus Verbrauchersicht gut erscheinen. Doch mittelfristig ist eine Deflation noch gefährlicher für eine Volkswirtschaft als eine hohe Inflation. Denn es sinken ja nicht nur die Preise, sondern auch die Gewinne und Löhne.
Wie angeschlagen das Vertrauen in die chinesische Wirtschaft mittlerweile ist, lässt sich an der Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen ablesen: Diese liegt derzeit bei lediglich etwas über 1,6 Prozent und damit so niedrig wie nie zuvor. Nur zum Vergleich: Investoren, die ihr Geld auf denselben Zeitraum in den USA anlegen, erhalten fast das Dreifache an Rendite.