Kosmische Entwicklung

Warum das Universum nicht klumpig genug ist

Seit rund vier Milliarden Jahren verläuft die kosmische Entwicklung etwas anders als sie sollte. Denn die Materie im Universum ist nicht klumpig genug, wie neue Analysen nahelegen. Wir erklären, was das bedeutet und welche Folgen es hat.

Nach dem Urknall kühlte sich die Materie im Universum ab. Die Gravitation zog dichtere Bereiche zusammen. Sie verklumpten. So entstanden  etwa Galaxienhaufen.

© Imago/Panthermedia

Nach dem Urknall kühlte sich die Materie im Universum ab. Die Gravitation zog dichtere Bereiche zusammen. Sie verklumpten. So entstanden etwa Galaxienhaufen.

Von Markus Brauer

Das Universum ist „weniger klumpig“ als erwartet. Zu diesem Schluss sind Forscher in einer neuen Studie gekommen.

Theorie der Verklumpung des Universums

Bislang ist die Astrophysik von folgender Theorie ausgegangen: Die sichtbare Materie – also Sterne und Galaxien, Monde oder Asteroiden – macht nur einen Bruchteil des Universums aus.

Rund ein Viertel besteht aus sogenannter Dunkler Materie, einer unsichtbaren Masse, die sich allein durch ihre Gravitationskraft bemerkbar macht. Der Rest ist Dunkle Energie, eine Art Antischwerkraft, durch die sich das Universum weiter ausdehnt.

Nach dem Urknall kühlte sich die Materie im Universum ab. Die Gravitation zog dichtere Bereiche zusammen. Sie verklumpten. So entstanden etwa Galaxienhaufen. Die Materie ist demnach im Universum nicht gleichmäßig verteilt. Allerdings ist sie auch nicht so klumpig, wie Forscher bisher angenommen haben.

Das Werden aller Dinge

Den Anfang machten winzige Unregelmäßigkeiten in der kosmischen Ursuppe – dem dichten, heißen Gemenge aus Strahlung, Gasen und Dunkler Materie kurz nach dem Urknall.

Diese Dichte-Fluktuationen verstärkten sich im Laufe der kosmischen Entwicklung: Dichtere Stellen wurden dichter und bildeten schließlich Galaxien, Galaxienhaufen und gigantische Supercluster. Dünnere Stellen dünnten weiter aus und wurden zu sternenarmen Voids. So lautet die gängige kosmologische Theorie.

  • Zur Info: Voids werden in der Astrophysik und Kosmologie Leer- bzw. Hohlräume im Weltall genannt, in dem (fast) nichts existiert. Sie umspannen wie ein Netz sogenannte Filamente (von lateinisch: filum, Faden).
  • Filamente: Die Filamente sind fadenförmige Verbindungen aus sichtbarer und dunkler Materie zwischen sehr dichten Ansammlungen von vielen Galaxien, den sogenannten Galaxien- und Supergalaxienhaufen.
  • Wabenstruktur: Die Struktur des Universums kann man sich als eine Art Wabenstruktur bzw. kosmisches Netz vorstellen. Dieses Netz besteht aus Filamenten – den größten bekannten Strukturen im Kosmos – und Voids. Diese Leeren enthalten im Verhältnis zu ihrem Volumen nur sehr wenige Galaxien. Auch Voids haben eine Wabenstruktur und gehören zu den größten inhomogenen – das heißt nicht gleichmäßig aufgebauten – Strukturen im Universum.

Was es mit Parameter S8 auf sich hat

„Unser kosmologisches Standardmodell beschreibt relativ erfolgreich, wie diese primordialen Dichteschwankungen zur heutigen Materieverteilung wurden“, erklären Joshua Kim von der University of Pennsylvania und seine Kollegen. Ihre Studie ist im Fachmagazin „Journal of Cosmology and Astroparticle Physics“ erschienen.

Der sogenannte Parameter Sigma 8 (S8) in diesem Modell gibt an, wie homogen die Materie im Kosmos verteilt ist. Überprüfen lässt sich dies zum einen an der kosmischen Hintergrundstrahlung. Darunter versteht man jene Strahlung, die rund 380.000 Jahre nach dem Urknall frei wurde, als sich die ersten Atome bildeten. Diese Hintergrundstrahlung liefert uns ein „Babyporträt“ unseres Universums, wie die Wissenschaftler erklären.

  • Zur Info: Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik fasst die wesentlichen Erkenntnisse der Teilchenphysik nach heutigem Stand zusammen. Es beschreibt alle bekannten Elementarteilchen und die wichtigen Wechselwirkungen zwischen ihnen. 29 Elementarteilchen kennt das seit 50 Jahren gültige Standardmodellder Physik. Mit ihm erklären die Forscher, wie der Kosmos entstanden ist, was ihn im Innersten zusammenhält und welche Kräfte in ihm wirken.

Materie im Universum gleichmäßiger verteilt

Vergleicht man diese Theorie mit Himmelskartierungen des heutigen Kosmos, kann man die Materieentwicklung nachvollziehen und so das Standardmodell überprüfen. Doch genau an diesem Punkt sind nun Zweifel aufgetaucht.

In den letzten Jahren haben gleich mehrere Himmelskartierungen zu niedrige Werte für S8 geliefert. Demnach ist die Materie im heutigen Universum gleichmäßiger verteilt als es das Standardmodell auf Basis der Hintergrundstrahlung vorhersagt.

Kosmische Computertomografie

Jetzt haben die Astronomen um Joshua Kim die Daten auf neue Art überprüft. Für ihre Studie kombinierten sie zwei Datensätze: einen zum frühen Kosmos und einen zum heutigen. Die Daten des Atacama Cosmology Telescope in Chile zeigen die kosmische Hintergrundstrahlung und die Spuren, die die frühen Materiestrukturen in ihr hinterlassen haben.

Das Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI) in Arizona kartiert dagegen die dreidimensionale Verteilung von Millionen Galaxien über Milliarden Jahre hinweg.

Die Astronomen haben jetzt ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe sie die Himmelskarten beider Datensätze virtuell übereinanderlegen und so direkt vergleichen konnten. „Dieser Prozess gleicht einer kosmischen Computertomografie“, erklärt Kims Kollege Mathew Madhavacheril.

„Wir können uns darin nun verschiedene Scheiben der kosmischen Geschichte anschauen und nachvollziehen, wie stark die Materie in verschiedenen Epochen zusammenklumpte.“ Dadurch konnten die Astronomen gezielt überprüfen, wie gut diese Epochen zu den Vorhersagen des Standardmodells passen.

Entwicklung begann vor vier Milliarden Jahren

„Den größten Teil der Zeit stimmt die Entwicklung der kosmischen Struktur bemerkenswert gut mit den Voraussagen überein“, erläutert Madhavacheril. „Aber in den jüngeren Zeitabschnitten sehen wir eine leichte Abweichung von der erwarteten Klumpigkeit.“

Demnach liegt der auf Basis des Standardmodells erwartete Wert für den Parameter S8 bei rund 0,83, der mit den neuen Daten ermittelte Wert dagegen bei 0,776. „Dies ist rund 2,1 Standardabweichungen niedriger als erwartet“, betonen die Astronomen.

Damit bestätigen diese Resultate die bereits in früheren Kartierungen aufgetauchten Unterschiede. Den Forschern zufolge legen die Daten nahe, dass die Diskrepanzen zum Modell vor rund vier Milliarden Jahren einsetzten.

Des Rätsels Lösung

Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Unterschiede ein Hinweis auf „neue Physik“ jenseits des Standardmodells sein könnten. Beispielsweise auf Kräfte oder Teilchen, die den Effekt der Gravitation oder ihres Gegenspielers, der Dunklen Energie, verändert haben.

„Für sich genommen ist diese leichte Abweichung noch nicht stark genug, um eindeutig auf eine solche neue Physik hinzudeuten“, erklärt Madhavacheril. Die Messunsicherheiten seien noch zu hoch, um einen Messfehler auszuschließen. Die Astronomen hoffen jedoch, dass weitere Kombinationsanalysen dieser Art der Spur weiter nachgehen und mehr Klarheit schaffen.

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Erstellt:
27. Januar 2025, 13:38 Uhr
Aktualisiert:
27. Januar 2025, 15:07 Uhr

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