Bereits Grundschüler massiv betroffen

Warum die Gewalt an Schulen eskaliert

Beschimpft und ausgegrenzt, geschlagen und gemobbt: Eine Studie der Universität Dortmund fördert Erschreckendes über die Situation von Grundschülern in Deutschland zutage. Demnach hat die Hälfte der Kinder bereits Erfahrungen mit physischer Gewalt gemacht.

Erst wird geschubst, später zugeschlagen: Angst und Schweigen sind dann die schlechtesten Ratgeber.

© dpa/Oliver Berg

Erst wird geschubst, später zugeschlagen: Angst und Schweigen sind dann die schlechtesten Ratgeber.

Von Markus Bauer/dpa

Viele Kinder in Deutschland machen bereits in der Grundschule Erfahrungen mit Ausgrenzung und Gewalt. Das geht aus einer jetzt Analyse des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Uni Dortmund hervor, die auf der repräsentativen internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) von Viertklässlern basiert.

Physische Gewalt und Mobbing

Demnach machen fast die Hälfte der Kinder der vierten Klassenstufen Erfahrungen mit physischer Gewalt und über zehn Prozent mit Online-Mobbing. Eine Übersicht:

Gewalt und Lesekompetenz

Die Erfahrungen mit dissozialem Verhalten seien in Deutschland in etwa so ausgeprägt wie im Mittel aller EU-Staaten. Ausgrenzung und körperliche Gewalt kommen hierzulande aber häufiger vor als im EU-Schnitt, sagt IFS-Bildungsforscher Rahim Schaufelberger.

Zugleich habe sich ein „sehr konsistenter“ – also sehr beständiger – Zusammenhang zwischen Erfahrungen mit dissozialem Verhalten im Schulumfeld einerseits und Lesekompetenz andererseits gezeigt. „Je niedriger die Erfahrungen mit dissozialem Verhalten sind, von denen Kinder berichten, desto höher ist die Lesekompetenz“, heißt es in der Studie. Dieser Zusammenhang lasse aber keine „kausalen Rückschlüsse“ zu.

Bildungspolitik und -praxis müssen einen Fokus auf die Verringerung von dissozialen Verhaltensweisen an Schulen legen, fordert IFS-Institutsleiterin Nele McElvany, die auch Leiterin der repräsentativen Iglu-Studie ist.

Danach können bundesweit 25 Prozent der Viertklässler nicht richtig lesen und Texte nicht gut verstehen. Ein Forscherteam des IFS analysiert regelmäßig einzelne Aspekte der Iglu-Studie vertieft.

Info: Schüler in Deutschland

Bundesländer: Bilanz der Gewalttaten

Schläge, Tritte, sexuelle Übergriffe: Aus Schulen in Deutschland werden mehr Fälle von Gewalt bekannt. Den Landeskriminalämtern und Bildungsministerien wurden Tausende solcher Vorfälle gemeldet. Gleich in mehreren Bundesländern ist die Zahl erfasster Gewaltdelikte im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie gestiegen – mitunter deutlich.

Nur wenige Fälle von Mord und Totschlag

Vielzahl an Gründen für Gewalt und Verrohung

Die Gründe, dass Schüler Gewalt ausübten oder androhten, sind nach Einschätzung des Brandenburger Bildungsministeriums vielschichtig. Dazu zählten Faktoren wie „Defizite in der Selbststeuerung und geringes Selbstwertgefühl, aber auch familiäre und soziale Ursachen wie Gewalterfahrungen in der Familie oder Akzeptanz sowie soziale Normen und Werte und die jeweilige Akzeptanz in der Gruppe der Gleichaltrigen“.

Auch Gewaltinhalte in Medien und auf Online-Plattformen könnten aggressives Verhalten begünstigen.

Mehr Waffen in Schulen als früher

Nach Einschätzung des Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschlands haben viele Lehrkräfte das Gefühl, dass die Bereitschaft zur Gewalt zugenommen hat. „Wir haben bemerkt, dass mehr Waffen zur Schule mitgenommen werden als früher“, sagt der Verbandsvorsitzende Sven Winkler.

Dabei handelt es sich vor allem um Messer und sogenannte Anscheinswaffen. Das sind Waffen, die echten Schusswaffen täuschend ähnlich sehen. Ob Kinder und Jugendliche Waffen dabeihaben, weil sie gewaltbereit sind, oder weil sie Angst haben und diese zur Selbstverteidigung nutzen wollten, sei unklar.

Sozialarbeiter und Sicherheitsdienste

Um Gewalt zu verhindern, versuchen ihm zufolge viele Schulen die Sozialarbeit auszubauen. Oft fehle es aber an Personal, Zeit und Geld. Oder Schulen setzen Sicherheitsdienste ein, wie eine Einrichtung in Bremerhaven.

Die Jugendlichen schlugen Fenster ein, bedrohten und beleidigten Schüler und Lehrkräfte. Dort kamen fast täglich schulfremde Personen auf das Schulgelände. Sie beschädigten Türen, entriegelten Feuerlöscher und verstopften Toiletten. „Die Lage im vergangenen Herbst war sehr unruhig“, berichtet eine Schulsprecherin. „Ich habe mich unsicher gefühlt.“ Mit den Wachleuten beruhigte sich die Lage wieder.

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Erstellt:
10. April 2024, 09:20 Uhr

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