•Wachsende Kluft beim Alter
Warum die Lebenserwartung in den USA sozial bedingt ist
Die Bevölkerungsgruppe, der ein Mensch angehört, spielt in den USA eine große Rolle für seine Lebenserwartung. Die Unterschiede sind enorm.
Von Markus Brauer/dpa
In den USA haben sich die Unterschiede in der Lebenserwartung bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf 20 Jahre ausgeweitet.
Während 2021 die indigenen Menschen in westlichen Staaten der USA bei der Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 63,6 Jahren hatten, lag dieser Wert bei den aus Asien stammenden bei 84 Jahren. Ein Teil dieses Unterschieds geht auf die Corona-Pandemie zurück, schreiben die Studienautoren um Christopher Murray von der University of Washington in Seattle. Die Studie ist der Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen,
Health inequities in the United States keep getting worse. There are 10 Americas as shown below, with stark reduction (widening gaps) of life expectancyhttps://t.co/dm1Nf8cfBF@TheLancet@IHME_UWpic.twitter.com/lTg0dPGYUU — Eric Topol (@EricTopol) November 22, 2024
Indigene haben niedrigste Lebenserwartung
Für die Studie erhoben die Forscher die Daten zu Lebenserwartungen für den Zeitraum 2000 bis 2021. Sie zeigen, dass die Lebenserwartung von 2000 bis 2019 in allen untersuchten Gruppen leicht angestiegen ist – mit der Ausnahme der indigenen Bevölkerung in westlichen Staaten der USA.
Diese Gruppe besteht aus 1,3 Millionen Menschen. Ihre Lebenserwartung sank von 72,3 Jahren im Jahr 2000 auf 70,2 Jahre 2019. Sie war auch besonders stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen: Im Jahr 2021 sank ihre Lebenserwartung auf 63,6 Jahre. Das bedeutet ein Minus um 6,6 Jahre im Vergleich zu 2019, bei den asiatischen Amerikanern war es nur ein Minus um 1,9 Jahre.
Stagnation bei schwarzen Amerikanern
„Diese Ungleichheiten spiegeln die ungleiche und ungerechte Verteilung von Ressourcen und Chancen wider, die tiefgreifende Folgen für das Wohlbefinden und die Lebenserwartung haben, insbesondere bei marginalisierten Bevölkerungsgruppen“, erklärt Christopher Murray.
Für eine andere ethnische Gruppe, schwarze Amerikaner, sah es eine Zeit lang besser aus: Bis 2015 stieg ihre Lebenserwartung überproportional im Vergleich zu anderen Gruppen, seitdem stagniert sie.
„Die Lücke zwischen der Lebenserwartung bei der Geburt für schwarze und weiße Amerikaner war vielleicht nie kleiner als Mitte der 2010er Jahre“, betont Co-Autor Thomas Bollyky vom Council on Foreign Relations in Washington DC.
Einkommen spielt nicht die einzige Rolle
Die Autoren weisen darauf hin, dass das Einkommen zwar einen wichtigen Faktor für die Lebenserwartung darstellt, aber auch andere Einflüsse eine Rolle spielen. So hatte die weiße Bevölkerungsmehrheit, die 57,3 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, in den meisten Jahren des Untersuchungszeitraums das höchste Einkommen.
Dennoch lag ihre Lebenserwartung 2021 mit 77,2 Jahren unter derjenigen der Latinos außerhalb des Südwestens (79,4 Jahre) und der aus Asien stammenden Bevölkerung (84,0 Jahre).
Mit Blick auf die ärmere Bevölkerung betont Murray: „Das Ausmaß und die Tragweite der Gesundheitsunterschiede in der amerikanischen Gesellschaft sind in einem Land mit dem Reichtum und den Ressourcen der USA wirklich alarmierend.“
Reihe von Faktoren bestimmt Lebensalter
So ähnlich sieht es auch Alyson van Raalte vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock: Diese Studie mache deutlich, dass es eine Kombination von Faktoren ist, die die Länge des Lebens bestimme.
„Einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe anzugehören und in einer benachteiligten Region zu leben, verkürzt das Leben drastisch“, erläutert van Raalte.
Opioidkrise in den USA macht sich bemerkbar
Sebastian Klüsener vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden sieht die Zahlen in der Studie nicht ganz so dramatisch. Vom Effekt der Corona-Pandemie und der kleinen indigenen Bevölkerung in westlichen Staaten abgesehen, zeigten die Daten, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Bevölkerungsgruppen der USA seit 2000 nicht angewachsen, sondern sogar leicht zurückgegangen seien.
Klüsener macht darauf aufmerksam, dass die Entwicklung bei den 25- bis 44-Jährigen stagniert und teilweise sogar rückläufig ist. „Hier macht sich die Opioidkrise bemerkbar, wobei Männer deutlich stärker gefährdet sind als Frauen“, erklärt Klüsener. Überdurchschnittlich hoch ist der Missbrauch von Opioid-Schmerzmitteln bei Indigenen, Schwarzen und ärmeren Weißen.
Andere Situation in Deutschland
Vergleichbare Unterschiede sind van Raalte und Klüsener zufolge in Deutschland nicht bekannt. Vor der Corona-Pandemie lagen auf Kreisebene die höchste und die niedrigste Lebenserwartung bei Männern fünf Jahre, bei Frauen vier Jahre auseinander.
Allgemein leben Frauen länger als Männer: Laut Statistischem Bundesamt betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt in Deutschland im Jahr 2023 für Frauen 83,3 Jahre und für Männer 78,6 Jahre.