Fragiles Klima-System
Warum die Temperaturen in der Zukunft höher ausfallen als erwartet
Die zukünftigen Temperaturen könnten höher ausfallen als berechnet – selbst bei gedrosselten Emissionen, wie neue Langzeit-Prognosen nahelegen. Demnach können langsam wirkende Rückkopplungen, wie das Auftauen des Permafrosts, die Erwärmung stärker anheizen als es bisherige Simulationen gezeigt haben.

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„Was wir heute tun, wird das Leben auf diesem Planeten für Jahrhunderte prägen“, warnt PIK-Direktor Johan Rockström.
Von Markus Brauer
Die Erderhitzung könnte in den nächsten 1000 Jahren stärker ausfallen als bisher angenommen. Das zeigt eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die im Fachjournal „Environmental Research Letters“ veröffentlicht worden ist.
Major carbon cycle feedbacks like permafrost thaw could amplify warming across this millennium. Even ‘safe’ emission paths may overshoot 2°C. The Paris goal is a physical limit, not a political choice. Today’s actions shape life on Earth for centuries.https://t.co/F2hJID4YjMpic.twitter.com/srCi8MzSIy — Johan Rockström (@jrockstrom) March 24, 2025
Wie das Pariser Abkommen noch erreicht wäre
Demnach ist das Ziel des Pariser Abkommens aus dem Jahr 2015, den Temperaturanstieg deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten, nur erreichbar in Szenarien mit sehr niedrigen Emissionen und bei einer geringeren Klimasensitivität als derzeit in der optimistischsten Schätzung angenommen.
Die Potsdamer Studie ist die erste, die langfristige Klimaprojektionen über 1000 Jahre erstellt und dabei alle derzeit bekannten wichtigen Rückkopplungen im Kohlenstoffkreislauf – einschließlich Methan – berücksichtigt.
Maximale Erwärmung könnte deutlich höher ausfallen
„Selbst in Emissionsszenarien, die als ‚sicher’ gelten und in denen die Erwärmung unter 2 Grad Celsius bleiben soll, könnten Klima- und Kohlenstoffkreislauf-Rückkopplungen wie das Auftauen von Permafrost die Temperaturen deutlich über diesen Schwellenwert treiben“, sagt PIK-Wissenschaftlerin Christine Kaufhold, Hauptautorin der Studie.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die maximale Erwärmung in niedrigen bis moderaten Emissionsszenarien viel stärker ausfallen könnte als bisher angenommen.“
Die Analyse betrachtet die langfristigen Folgen des menschengemachten Klimawandels und verdeutlicht, dass selbst kleine Veränderungen in den Emissionen eine viel stärkere Erderhitzung auslösen könnten als aktuell erwartet. Das macht es noch schwieriger, die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. „Das unterstreicht die Dringlichkeit, Emissionen schneller zu reduzieren und CO₂ aktiv aus der Atmosphäre zu entfernen“, erklärt Kaufhold.
Effekt der Rückkopplungen im Kohlenstoffkreislauf
Die meisten bisherigen Studien erfassen den Zeitpunkt der maximalen Erwärmung nicht, da sie spätestens im Jahr 2100 oder 2300 enden. Durch längere Simulationen und die Einbeziehung aller wichtigen Rückkopplungen im Kohlenstoffkreislauf, einschließlich Methan, konnten die Forscher abschätzen, wie stark diese Rückkopplungen zur Erderhitzung beitragen und wann der maximale Temperaturanstieg erreicht sein könnte.
Das Forscherteam nutzte das neu entwickelte Erdsystemmodell CLIMBER-X des PIK, um künftige Klimaszenarien über die nächsten 1000 Jahre zu simulieren. CLIMBER-X integriert zentrale physikalische, biologische und geochemische Prozesse, darunter den Zustand der Atmosphäre und der Ozeane.
Zudem bildet es einen interaktiven Kohlenstoffkreislauf ab, einschließlich Methan, um zu simulieren, wie das Erdsystem auf unterschiedliche Klimaeinflüsse wie veränderte menschengemachte Treibhausgasemissionen reagiert.
Klimasensitivität bestimmt die zukünftige Erderhitzung
Die Simulationen der Studie berücksichtigen eine Spanne der sogenannten Gleichgewichts-Klimasensitivität (Equilibrium climate sensitivities/ECS) zwischen 2 und 5 Grad Celsius, die vom IPCC als „sehr wahrscheinlich“ eingestuft wird. Die ECS gibt an, wie stark die globale Temperatur ansteigt, wenn sich die CO₂-Konzentration verdoppelt. Sie ist eine zentrale Größe zur Abschätzung, wie das Erdsystem auf höhere Treibhausgasemissionen reagiert.
- Zur Info: Eine der wichtigsten Kenngrößen des irdischen Klimasystems ist die Klimasensitivität. Sie steht für die erwärmende Wirkung der Treibhausgase und gibt an, um wieviel die Temperaturen steigen, wenn sich die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre verdoppelt. Laut letztem Weltklimabericht liegt die Klimasensitivität im Mittel bei drei Grad, die mögliche Spanne reicht aber von 2,5 bis vier Grad.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Ziel des Pariser Abkommens nur in Szenarien mit sehr niedrigen Emissionen und bei einer Klimasensitivität unterhalb der aktuellen besten Schätzung von 3 Grad Celsius erreichbar ist“, betont PIK-Wissenschaftler Matteo Willeit. „Liegt die ECS über 3 Grad Celsius, muss die Reduktion von Emissionen noch schneller erfolgen als bisher angenommen, um das Pariser Ziel in Reichweite zu halten.“
Pariser Abkommen: politisches Ziel und physikalische Grenze
Die Forschungsergebnisse unterstreichen die entscheidende Rolle der Klimasensitivität für die zukünftige Erwärmung und machen deutlich, welche Risiken die bestehenden Unsicherheiten mit sich bringen. Sie betonen zudem die Notwendigkeit, den ECS-Wert präziser zu bestimmen.
„Unsere Forschung macht unmissverständlich klar: Was wir heute tun, wird das Leben auf diesem Planeten für Jahrhunderte prägen“, warnt PIK-Direktor Johan Rockström, Mitautor der Studie. „Das Zeitfenster, um die Erwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten, schließt sich schnell. Wir sehen bereits, dass das Erdsystem an Stabilität verliert.“
Das könnte Rückkopplungen auslösen, welche die Klimasensitivität erhöhten und damit zu beschleunigter Erwärmung und Abweichungen von bisherigen Prognosen führten, so Rockström weiter. „Um eine lebenswerten Zukunft willen müssen wir unsere Anstrengungen zur Emissionsminderung unbedingt steigern. Das Pariser Abkommen ist nicht nur ein politisches Ziel, sondern eine physikalische Grenze.”