Besorgniserregender Trend
Warum die Zahl der Suizide in Deutschland weiter steigt
Nach wie vor sterben deutlich mehr Menschen in Deutschland durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und Aids zusammen. 2023 ist die Zahl der Suizide erneut leicht angestiegen.

© KNA/Julia Steinbrecht
Eine Frau sitzt mit gefalteten Händen an einem Tisch. Vor ihr liegt ein Haufen Tabletten (gestellte Szene).
Von Markus Brauer/KNA
Die Zahl der Selbsttötungen in Deutschland ist 2023 erneut leicht angestiegen. Wie das Nationale Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) und die Deutsche Akademie für Suizidprävention in Kassel mitgeteilt haben, stieg die Zahl der Suizide gegenüber 2022 um 1,8 Prozent auf 10.304 Fälle.
Anstieg seit 2021
- Das bedeutet, dass sich alle 51 Minuten ein Mensch selbst das Leben nahm. Mehr als 61.000 Menschen verloren einen ihnen nahe stehenden Menschen durch Suizid.
- 2022 war die Zahl der Selbsttötungen erstmals seit mehreren Jahren wieder über 10.000 geklettert. Der stärkste Rückgang der Suizidhäufigkeit war in den 1980er Jahren zu verzeichnen.
- Vom Höchststand 1981 (18.825 Fälle) ging die Zahl der Suizide um 41 Prozent auf 11.065 Fälle im Jahr 2000 zurück.
- Bis 2021 ging die Zahl der Suizide um weitere 18 Prozent auf 9215 Fälle zurück.
- Die Suizidrate, also die Zahl der Selbsttötungen pro 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen, stieg leicht von 12,1 im Vorjahr auf 12,2.
- Bei den Frauen stieg die Suizidrate von 6,2 auf 6,6, bei den Männern sank sie leicht von 18,2 auf 17,9.
Regionale Unterschiede
- In Deutschland starben damit im Jahr 2023 deutlich mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und AIDS zusammen (ungefähr 7.393). 7478 Männer (72,6 Prozent) und 2826 Frauen (27,4 Prozent) töteten sich selber.
- Zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede im Suizidgeschehen:
- 2023 hatten Sachsen-Anhalt (17,0), Sachsen (16,9) und Hamburg (14,6) die höchsten Suizidraten.
- Am stärksten gestiegen ist die Suizidziffer in Bremen (plus 4,1) und Berlin (plus 2,2).
- NRW (9,0) und das Saarland (11,0) haben die niedrigste Suizidziffer.
- In acht Bundesländern gab es einen Rückgang der Suizidrate.
Zunehmend ein Phänomen des höheren Alters
Der Suizid ist laut Experten zunehmend ein Phänomen des höheren Lebensalters:
- 2023 betrug das durchschnittliche Alter eines durch Suizid Verstorbenen 61,5 Jahre. Gegenüber dem Vorjahr ist es um 0,8 Lebensjahre gestiegen. Im Jahr 2000 lag es noch bei 53,9 Jahren.
- Die Suizidrate der Männer ist laut den NaSPro-Zahlen 2023 in allen Altersgruppen deutlich höher als die der Frauen. Insbesondere steigt sie bei den Männern ab dem 70. Lebensjahr deutlich.
- Aber auch jede zweite durch Suizid verstorbene Frau ist älter als 60 Jahre. Betrug die Suizidrate im Jahr 2023 bei den 20- bis 25-jährigen Männern 9,7 (Frauen: 2,8), so stieg sie bei den 85- bis 90-jährigen Männern auf 73,2 (Frauen: 22,3).
- Ein drastischer Anstieg der Suizidrate im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und der Zeit danach lässt sich für jüngere Menschen aus den vorliegenden Daten nicht ableiten.
#DPolGHH #DerMenschnebenDir Heute ist #WelttagderSuizidprävention. Wer an #Suizid denkt, sollte handeln u. sich helfen lassen. Beispielsweise bei der #Telefonseelsorge ☎️ 0800.1110111 u. ☎️ 0800.1110222. Weitere Anlaufstellen sind die sozialpsychiatrischen Dienste von Städten u.… pic.twitter.com/aOD7tKSY1Q — DPolG Hamburg (@DPolGHH) September 9, 2024
Anstieg bei Suiziden durch Medikamente
- Besonders auffällig ist der starke Anstieg der Suizide durch Medikamente, die um 85 Prozent seit 2020 auf 1871 Fälle gestiegen sind. Dieser Zuwachs könnte nach Angaben der Experten mit der zunehmenden Zahl assistierter Suizide in Zusammenhang stehen, die in der offiziellen Statistik weiterhin nicht gesondert ausgewiesen werden.
- Wie das Suizidpräventionsprogramm weiter mitteilte, unternahmen 2023 weit über 100.000 Menschen einen Suizidversuch. Das heißt, dass alle 5 Minuten ein Suizidversuch stattfand. In den letzten 10 Jahren gab es in Deutschland weit über eine Million Suizidversuche.
Was Experten fordern
Barbara Schneider, Mitglied der geschäftsführenden Leitung des NaSPro, fordert eine bessere und umfassende Datenerhebung und eine schnellere Veröffentlichung, um frühzeitig auf Entwicklungen reagieren zu können.
Reinhard Lindner vom NaSPro betont, dass die nachhaltige Förderung der Suizidprävention und ein Erhalt und Ausbau suizidpräventiver Angebote dringend sichergestellt werden müssten.
Der Geschäftsführer der Deutschen Akademie für Suizidprävention, Georg Fiedler, forderte auch gesetzliche Regelungen und die Einrichtung eines qualifizierten nationalen Hilfetelefons.