Kem-Kem-Formation in Marokko

Warum dieses Delta einst gefährlichster Ort der Erdgeschichte war

Riesige Raubsaurier, Krokodile, Raubfische und Flugsaurier: Ein Delta im Südosten Marokkos war vor 100 Millionen Jahren der gefährlichste Ort in der Erdgeschichte. Denn nirgendwo sonst gab es jemals eine so große Dominanz von großen Raubtieren.

Der riesige Raubdinosaurier Carcharodontosaurus und die Urzeit-Krokodile Elosuchus waren nur einige der große Räuber, die in der Kreidezeit den vielleicht gefährlichsten Ort der Erdgeschichte bevölkerten.

© © Davide Bonadonna

Der riesige Raubdinosaurier Carcharodontosaurus und die Urzeit-Krokodile Elosuchus waren nur einige der große Räuber, die in der Kreidezeit den vielleicht gefährlichsten Ort der Erdgeschichte bevölkerten.

Von Markus Brauer

In John Ronald Reuel Tolkiens (1892-1973) „Der-Herr-der-Ringe“-Universum ist die Frage nach dem gefährlichsten Ort von Mittelerde einfach zu beantworten: Mordor mit dem Dunklen Turm Barad-dûr, das Reich und die Basis des bösen Hexenmeister Sauron. Doch was ist der gefährlichste Ort in der Erdgeschichte? Die überraschende Antwort: das Kem-Kem-Delta.

Kem-Kem-Delta im Cenomanium

Kem-Kem-Delta? Wenn Sie von diesem Ort noch nie etwas gehört haben, liegt das nicht an Lücken in Ihrem Allgemeinwissen. Diese geologische Region existiert bis heute als Kem-Kem-Formation (Kem-Kem-Group), die an einem Steilhang im Südosten Marokkos an der Grenze zu Algerien liegt. Ihre Gesteinsschichten reichen zurück bis ins Cenomanium-Stadium der Oberkreide.

Zur Info: Das Cenomanium ist geologisch betrachtet die unterste Sedimentgesteinstufe der Oberkreide und umfasste den Zeitraum von 100,5 bis 93,9 Millionen Jahren. Es folgte auf das Albium (Unterkreide) und wurde vom Turonium abgelöst. 

 

 

Riesige Raubsaurier bevölkerten Kem-Kem-Delta

Doch warum Delta? Die Region ist seit Jahrtausenden ein unwirtlicher, öder und staubtrockener Ort. Im Erdzeitalter der Oberkreide war das allerdings ganz anders. Damals bevölkerten riesige Raubsaurier, Krokodile, Raubfische und fleischfressende Flugsaurier das Delta.

Und warum war Kem-Kem der gefährlichste Ort in der Erdgeschichte? Weil es in den Äonen zuvor und danach nirgendwo sonst gibt es eine derart große Dominanz von riesigen Raubtieren gab, wie Paläontologen herausgefunden haben.

Tyrannosaurus rex, Allosaurus, Giganotosaurus: Diese gewaltigen zweibeinig laufenden räuberische Dinos waren die Top-Prädatoren ihrer Zeit. Als Fleischfresser waren sie perfekt daran angepasst, selbst große Beute zu jagen und zu erlegen. Die zahlenmäßig meist wenigen großen Räuber standen an der Spitze der Nahrungskette. Das warzumindest jahrzehntelang das Credo der Paläontologie - Wissenschaft der Tier- und Pflanzenwelt in den Gesteinen vergangener Erdzeitalter sowie vom Leben der Vorzeit.

 

 

Rätsel um viel zu viele große Raubtiere

Eine Fundstätte im Südosten Marokko vermittelte indes ein ganz neues Bild von der Urzeit. Schon in den 1950er Jahren wurden in der rund 100 Millionen Jahre alten Kem-Kem-Formation zahlreiche Wirbeltier-Überreste gefunden. Was die Forscher jedoch erstaunte, war die eigenartige Ansammlung und Verteilung der Fossilien. Die Knochen und Zähne stammten nämlich fast ausschließlich von fleischfressenden und dazu noch sehr großen Raubtieren. Wie konnte das sein?

 

 

Um dieses Rätsel zu lösen untersuchte der deutsch-marokkanische Wirbeltier-Paläontologe und Vergleichende Anatom Nizar Ibrahim (der während der Studie an der US-University of Chicago arbeitete und inzwischen Senior Lecturer an der University of Portsmouth in England ist) mit seinem Team noch einmal alle alten sowie neuen Fossilfunde aus der Kem-Kem-Formation und auch die Region selbst.

 

 

Prädatoren zu Land, zu Wasser und in der Luft

Die Forscher fanden heraus, dass die außergewöhnliche Dominanz der großen Kreidezeit-Räuber der Wahrheit entspricht. Demnach lebten in diesem einst ausgedehnten Flussdelta fünf riesige Raubdinosaurier-Arten.

Einer von ihnen war der rund 14 Meter lange, mit säbelartigen Reißzähen ausgestattete Carcharodontosaurus, einer der größten Fleischfresser, der jemals gelebt hat.

Zu ihm gesellten sich der acht Meter lange Raptor Deltadromeus und der bis zu 15 Meter lange, speziell an die Jagd im Wasser angepasste Spinosaurus.

Carcharodontosaurus saharicus ("Lagarto con dientes de Tiburón del desierto del Sahara") fue un Dinosaurio terópodo que vivió durante el Cretácico, 99 a 94 millones de años aproximadamente) en la zona central norte de la antigua Gondwana (Marruecos, Argelia, Túnez y Egipto). pic.twitter.com/fEWp7TafdV — Warpath (@WarpathDinosaur) February 5, 2024

Im flachen Wasser und am Ufer des Deltas lauerten Urzeitkrokodile. In den Wolken kreisten Flugsaurier mit vier bis sechs Metern Flügelspannweite, die jederzeit von oben auf ihre Beute hinabstürzen konnten.

„Die Spanne reichte von rund einen Meter langen insekten- oder pflanzenfressenden Arten bis zu großen Fleischfressern mit zwölf Metern Länge“, schreiben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Zoo Keys“.

The Kem Kem Group monograph now ranks at #6 of the most visited papers ever published in @ZooKeys_Journal (artwork by Davide Bonadonna). Geology and paleontology of the Upper Cretaceous Kem Kem Group of eastern Morocco https://t.co/L7EuKlftvK via @ZooKeys_Journalpic.twitter.com/Hcoq9J7jhD — Nizar Ibrahim, PhD (@NizarIbrahimPhD) March 30, 2022

Einzigartiger Lebensort in der Erdgeschichte

Zu vermuten wäre, dass es dieser großen Anzahl an Fleischfressern an Nahrung fehlte. „Die Wirbeltier-Fauna von Kem-Kem ist stark verzerrt – hin zu großen Fleischfressern“, erklären die Forscher. „Es gibt kein modernes terrestrisches Ökosystem mit einer vergleichbaren Dominanz großer Prädatoren.

Jeder Pflanzenfresser, der sich in dieses Delta verirrte, begab sich in Lebensgefahr. Denn ob an Land, im Wasser oder in der Luft: Überall lauerten gefräßige Räuber. „Dies war möglicherweise der gefährlichste Ort in der gesamten Geschichte unseres Planeten“, betont Ibrahim. „Ein Mensch hätte dort nicht lange überlebt.“

 

 

Wasserlebewesen dienten als Hauptnahrung

Doch wovon ernährten sich all diese Predatoren? Den entscheidenden Hinweis auf die Frage lieferte die große Zahl von Fischfossilien in der Kem-Kem-Formation. „An diesem Ort wimmelte es förmlich vor absolut riesigen Fischen“, schreibt Koautor David Martill von der University of Portsmouth.

Wie etwa vier Meter lange Quastenflosser und Lungenfische. „Außerdem gab es dort den enormen Sägezahn-Hai Onchopristis mit Zähen wie hakenbesetzten Dolchen.“, so Martill. Dieser Raubfisch wurde bis zu zehn Meter lang.

 

 

Die Paläontologen vermuten, dass die ungewöhnlich vielen räuberischen Arten im Kem-Kem-Delta primär im Wasser lebende Beute erlegten. „Mit bisher mehr als 40 verschiedenen Fischarten und wahrscheinlich noch vielen weiteren mehr, müssen diese wasserlebenden Wirbeltiere die primäre Nahrungsquelle für die Prädatoren der Kem-Kem gewesen sein“, schreiben die Forscher. Dieser spezielle Speiseplan könnte auch erklären, warum so wenige Fossilien von pflanzenfressenden Landwirbeltiere gefunden wurden.

 

 

„Damit spiegelt auch die taxonomische und zahlenmäßige Dominanz der Raubdinosaurier die realen Gegebenheiten wider, auch wenn das Nahrungsnetz auf de ersten Blick unbalanciert erscheint“, bilanzieren die Wissenschaftler. Angesichts des reichhaltigen Nahrungsangebots aus dem Delta konnten die großen Raubdinosaurier überleben. Sie fraßen Fische und kleinere Räuber, die sich von den Wasserbewohner ernährten.

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Erstellt:
5. Oktober 2024, 16:55 Uhr
Aktualisiert:
5. Oktober 2024, 17:28 Uhr

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