Alice Weidel bei Caren Miosga
„Warum verdrehen Sie die Augen, Frau Weidel“
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel bezeichnet es im ARD-Talk als „nervtötend“, dass ihre Partei immer der Holocaust angeheftet werde. Und sie nennt den deutschen Staat „extremistisch“.
Von Christoph Link
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel gibt sich oft sehr nüchtern, kühl und berechnend, da verwundert es, wenn mit ihr mal die Emotionen durchgehen. Es war im ARD-Talk von Caren Miosga am Sonntag so gegen die zehnte Sendeminute, nachdem schon über die turbulente Sitzungswoche des Bundestages gesprochen worden war und Alice Weidel mit Stolz behauptet hatte, die AfD habe beim Votum mit der Union für das Migrationspapier von Friedrich Merz „gestaltet“ in der deutschen Politik und „CDU und AfD haben 60 Prozent – damit kann man viel machen“. Dann kam aber Miosga auf die Bundestagssitzung am Freitag zu sprechen, die, wie die Moderatorin sagte, „mit einem Gedenken an die Opfer des Holocausts begann“ – und just bei diesen Worten, das zeigt die Kamera deutlich, drehte Alice Weidel beide Augäpfel in die Höhe. „Warum verdrehen Sie die Augen“, fragte Miosga den Gast sofort, doch Alice Weidel dementierte nur leise vernehmbar: „Habe ich nicht gemacht.“
Andächtig den Reden gelauscht
Geht der AfD-Vorsitzenden das Holocaust-Gedenken zu weit, ist sie Gespräche darüber überdrüssig? Angesichts der Tatsache, dass Hunderttausende von Demonstranten derzeit in deutschen Städten auf die Straßen „gegen Rechts“ mobilisieren und vor AfD-Versammlungen „Nazis raus“ rufen, ist die Frage durchaus angemessen: Wie die AfD und wie sie persönlich denn der Opfer des Holocausts gedenke, wollte Miosga von Weidel wissen. Die antwortete, dass man den Reden im Bundestag „sehr andächtig gelauscht“ und Beifall geklatscht habe. Das Existenzrecht Israels stehe für die AfD an erster Stelle, und es gebe auch einige Hundert Juden in ihrer Partei. Sie persönlich ziehe die Lehre aus dem Holocaust, dass der nie wieder passieren dürfe, er werde auch nicht wieder passieren. Aber sie sei dagegen, dass der Holocaust als „politisches Instrumentarium“ benutzt werde. Caren Miosga legte da nach, sie zitierte Weidel mit einer der „NZZ“ entnommenen Aussage, dass es mit dem „Schuldkult“ mal ein Ende haben müsse, und sie machte darauf aufmerksam, dass der Begriff „Schuldkult“ von neu-rechten Geschichtsrevisionisten benutzt werde, worauf Weidel konterte, man dürfe ja bald gar nichts mehr sagen, „Schwachkopf“ gehe ja auch nicht mehr.
Staat Kontrollverlust vorgeworfen
Etwas die Fassung verlor die AfD-Politikerin erneut, nachdem Miosga ein Video von Elon Musk eingespielt hatte, indem der US-Milliardär den Deutschen empfahl, nicht mehr in ihre Vergangenheit als Schuldige zu blicken, sondern besser positiv in die Zukunft. Vom polnischen Präsidenten Donald Tusk war diese kurz vorm Holocaust-Gedenken als irritierend empfunden worden, was Alice Weidel mit dem Satz abtat, der Tusk sei ja „links“ – und das sage schon alles. Und dann hob sie ihre Stimme: „Diese ganze Holocaust-Anheftung an die AfD ist falsch, geschichtsvergessen und nervtötend. Sie kommen da nicht weiter, wenn Sie da rumbohren.“
Miosga aber bohrte noch etwas, sie brachte zwei Beispiele von AfD-Politikern, in einem Fall von Christina Baum, die Angriffe auf AfD-Politiker mit der Reichspogromnacht gegen die Juden von 1938 verglichen hatte und im anderen Falle von Matthias Helferich, der mal gesagt hatte, er sei „das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“. „Wollen oder können Sie solche Leute in der AfD nicht verhindern?“ fragte Miosga, worauf Weidel antwortete, man müsse doch erst mal definieren, was Extremismus sei. „Extremistisch“ seien doch die Regierung und der Staat, da sie gegen Recht und Gesetz verstießen und „unser Land so zugrunde gerichtet haben“. Schon zuvor hatte die AfD-Chefin gesagt, dass man bei der Migration einen „Kontrollverlust“ habe und Deutschland wirtschaftspolitisch, finanzpolitisch, steuerpolitisch und migrationspolitisch „am Boden“ liege.
Rückkehr zur DM?
Vor allem über Rezepte für die Wirtschaft ist dann mit den Gästen Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, sowie Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“, diskutiert worden. Vom einst geforderten Ausscheiden aus der EU hat die AfD wieder Abstand genommen, aber sie will wieder Atomkraft, das Hochfahren von Kohlekraftwerken, die Rücknahme des Verbots von Verbrennermotoren und das Aus für das Gebäudeenergiegesetz. „Wir fordern einen Kompetenzrückbau der EU, sie ist übergriffig geworden“, erläuterte Weidel. Von Hildegard Müller ist die Rückkehr zu mehr nationalen Entscheidungen als „grundfalsch“ bezeichnet worden, man brauche nicht weniger, sondern mehr Europa. Weder bei Themen wie einer innovativen Wasserstoffpolitik, bei Innovationen für Batterien oder der internationalen Zusammenarbeit erkenne sie im AfD-Programm irgend etwas, was die wirtschaftliche Lage verbessern könne. Es gehe ihr nur um die „alte Industrie“. Auch den Feldzug der AfD gegen Elektroautos will Müller nicht mitmachen: „Wir müssen den Weg in die klimaneutrale Mobilität weiter gehen, ich denke da auch an meine Tochter, wir müssen die Zukunft des Planeten im Blick haben.“ Müller erinnerte auch daran, dass die AfD den Euro abschaffen und wieder die DM einführen wolle, das sei extrem schädlich. An diesem Punkt immerhin lenkte Weidel ein, für einen Austritt aus dem Euro sei es „viel zu spät“, sagte sie, das hätte man vor der Euro-Rettung machen müssen, aber der Euro werde sich „sowieso ungeordnet abwickeln“ und das Land „viel Wohlstand und Vermögen kosten“.
Sorge vor Deutschland als Kriegspartei
Widerspruch erntete auch der von Weidel kürzlich auf einem Parteitag geprägte Redepassus, man werde alle Windräder abreißen. Das sei symbolisch gemeint gewesen und beträfe nur den Reinhardswald in Nordhessen, den „Märchenwald“, der für die Windräder „komplett abgeholzt“ werden solle, ergänzte Weidel, und diese aktuelle Aussage hätte eigentlich eines sofortigen Faktenchecks noch in der Sendung bedurft hätte, denn laut Rechercheorganisation Correctiv sind nur 0,15 Prozent der Waldfläche betroffen. Robin Alexander immerhin bemerkte, dass die Windräder auch Besitzer haben und ihr Abriß eine Kapitalvernichtung darstelle, worauf Miosga fragte, ob die AfD jetzt Enteignungen wolle. Während das Thema Migration weitgehend ausgeklammert worden ist, gab es zur Außenpolitik immerhin zwei Aspekte. Zugunsten einer preisgünstigen Versorgung mit russischem Gas will die AfD die Pipelines von Nordstream I und II wieder in Betrieb nehmen. Robin Alexander wandte daraufhin ein, dass sich die AfD wirklich entscheiden müsse zwischen einer Nähe zu Wladimir Putin oder Donald Trump – denn der eine sei natürlich für Nordstream, der andere aber gar nicht. Im Verhältnis zu Washington hat Weidel in einem Interview kürzlich Deutschland als „Sklavenstaat“ der USA bezeichnet, was sie bei Miosga damit begründete, dass unser Land nicht seine eigenen Interessen vertrete sondern sich ein „Trittbrettfahrertum“ breit gemacht habe. Deutschland wolle auf Wunsch der USA hier Mittelstreckenraketen stationieren und Friedrich Merz wolle Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern: Damit werde Deutschland zur Kriegspartei und wenn die Raketen gen Russland abgefeuert werden, treffe der Zweitschlag nicht die USA, sondern Deutschland. „Ich will für dieses Land keinen Krieg. Wir müssen Frieden schaffen.“ Die deutsche Regierung müsse mit Moskau einen Dialog führen mit dem Ziel von Friedensverhandlungen. Auf Miosgas Frage am Ende der Sendung, ob die AfD mit ihren Positionen „anschlussfähig“ sei an die Union und geeignet für ein schwarz-blaues Bündnis, antwortete Robin Alexander mit einem klaren Nein. Die AfD habe begonnen als Anti-Merkel-Partei, sie sei gegen den Euro und damit gegen Helmut Kohl, und sie sei gegen Europa und damit gegen Konrad Adenauer. Und wenn sie gegen die Nato sei, dann sei sie gegen alles: „Da wird kein Friedrich Merz jemals hinfinden.“