Attentat von Aschaffenburg
Warum war Enamullah O. noch in Deutschland?
Am Tag nach der Messerattacke auf eine Kindergartengruppe in Aschaffenburg beginnen die Schuldzuweisungen. Unter anderem geht es um die Frage, warum der wegen Gewalttaten bekannte, psychisch auffällige Mann aus Afghanistan nicht ausgereist war.
Von Patrick Guyton
Riesiges Entsetzen und große Trauer bestimmen den Tag danach in Aschaffenburg, in ganz Bayern, in Deutschland. Im Park Schöntal, dem Ort der Bluttat in der 73000-Einwohner-Stadt, ist ein großer Kranz mit weißen Blumen aufgestellt, Teddybären liegen auf dem Boden, viele Kerzen brennen, Botschaften sind geschrieben wie: „Wir Mamas, Papas, Kinder, Menschen aus AB denken an euch Kinder und Erwachsene aus dem Schöntal.“
Der Oberbürgermeister Jürgen Herzig (SPD) sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass mich eine Tat so berührt hat und ich so aufgewühlt bin wie sicherlich viele andere auch.“ Es sei für ihn, „als sei mein eigenes Kind gestorben, mein eigener Bruder gestorben“. Im Rathaus der Stadt tragen sich die Bürger in ein Kondolenzbuch ein, am kommenden Sonntag soll um 10.30 Uhr eine Trauerfeier in der Stiftskirche stattfinden.
Am Mittwoch war ein 28-jähriger Mann aus Afghanistan in dem Park mit dem Messer auf eine Kindergartengruppe losgegangen. Ein zweijähriger Junge aus Marokko starb, ebenso wie ein 41-jähriger Passant, der einschreiten wollte. Drei weitere Menschen wurden verletzt: ein zweijähriges Mädchen aus Syrien, ein 72-Jähriger sowie eine 59 Jahre alte Erzieherin. Ein islamistisches Motiv schließen die Ermittler aus, vielmehr soll der Täter psychisch krank sein. Nach den Attacken verfolgten ihn Menschen im Park, kurz darauf konnte ihn die Polizei festnehmen.
Drei Mal wird Enamullah O. durch Straftaten auffällig
Über Enamullah O. weiß man, dass er in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht war. Er sei dort, so sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), „drei Mal durch Straftaten auffällig geworden“, von denen andere Geflüchtete betroffen waren. Laut „Focus“ hat er etwa eine Ukrainerin gewürgt. Herrmann und auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wirken bei der Pressekonferenz über die Geschehnisse am Donnerstag in München ziemlich angefasst. „Das bricht unsere Seele“, sagt Söder. Die Tat sei „das schäbigste, ekligste Verbrechen, das man sich vorstellen kann“.
Söder verweist darauf, dass ein Mann ermordet wurde, „der helfen wollte, der Zivilcourage gezeigt hat“. Tatsächlich hat der 41-Jährige womöglich ein noch viel schlimmeres Blutbad an den kleinen Kindern verhindert. Über seine Identität ist nichts offiziell bekannt. Laut Berichten soll es sich um einen Vater handeln, der selbst zwei Kinder hat. Das bayerische Innenministerium teilt auf Anfrage dieser Zeitung mit, dass es sich zu den Identitäten der Opfer „auch aus Schutz der betroffenen Familien“ nicht äußert. Söder kündigt an, dass der Mann posthum die Bayerische Rettungsmedaille erhalte.
Späte Information der bayrischen Behörden
Doch wie konnte es in dem Fall so weit kommen, dass ein Flüchtling als psychisch krank und gefährlich wahrgenommen wird, dass er selbst ausreisen will nach Afghanistan – aber nichts geschieht? Joachim Herrmann hat Mühe, die verschiedenen Stränge um Enamullah O. zu ordnen und zu erklären.
Als so genannter Dublin-Flüchtling war O. demnach am 19. November 2022 in Deutschland eingereist und zwar über Bulgarien, was laut EU-Asyl-Bestimmungen sein Aufnahmeland hätte sein müssen. Am 9. März 2023 stellte er in Deutschland einen Asylantrag. Dieser wurde nach rund drei Monaten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) abgelehnt. Bayerns Behörden, die für Ausreise oder Abschiebung zuständig sind, erfuhren von dieser Ablehnung erst fünf Wochen später.
Da war dann aber die Frist für eine Rückführung nach Bulgarien von sechs Monaten fast abgelaufen. „So knapp konnte das nicht organisiert werden“, sagt Herrmann. Bleibt ein Dublin-Asylbewerber länger als sechs Monate in Deutschland, hat er Anspruch auf ein reguläres deutsches Asylverfahren. In dieses rutschte O. dann am 8. August 2023.
Herrmann: „Die Verantwortung liegt allein beim Amt“
16 Monate lang, so der Minister, habe das Bamf keine Entscheidung getroffen. „Die Verantwortung liegt allein beim Amt.“ Im Dezember 2024 erklärte O. dann, dass er freiwillig ausreisen will. Das Verfahren wurde damit beendet. Doch er erhielt keine Ausweispapiere vom afghanischen Konsulat in Frankfurt. Unklar ist, ob er sich bemüht hatte.
Wegen seiner Gefährlichkeit aufgrund der psychischen Erkrankung erhielt er auch im vergangenen Dezember eine gerichtlich bestellte Betreuerin. Was diese gemacht hat, bleibt bislang unklar. Einsperren habe man ihn nicht können, meint Herrmann. Mehrfach wurde er in Bezirkskrankenhäuser für psychisch kranke Gewalttäter eingewiesen, seine Medikation wurde eingestellt, dann entließ man ihn wieder.