Horror und Gehirn

Warum wir uns so gerne gruseln

Obwohl sie uns zu Tode erschrecken, lieben wir Schauer- und Gruselgeschichten genauso wie Horrorfilme mit Gespenstern und Monstern, Zombies und Hexen – und das nicht nur an Halloween. Weshalb haben wir eigentlich so viel Spaß daran? Was macht den psychologischen Kick des Grauens aus?

Erst wenn die Blutströme endlos fließen, können  Horrorfans mitleidlos genießen.

© Imago/Dreamstime

Erst wenn die Blutströme endlos fließen, können Horrorfans mitleidlos genießen.

Von Markus Brauer

Bald werden sie uns wieder heimsuchen: Horror-Clowns, Monster, Vampire, Zombies - all die Kreaturen aus Horrorfilmen, die zu Halloween auf Streamingportalen Hochkonjunktur haben. Anlass genug, sich wohlig zu erschrecken. Aber was passiert eigentlich im Gehirn, wenn wir uns gruseln?

Welche Rolle spielen Hirnareale beim Gruseln?

Ein vorbeihuschender Schatten, ein markerschütternder Schrei, ein Toter, der blutüberströmt im Rinnstein liegt: Die menschlichen Sinne reagieren instinktiv auf potenzielle Bedrohungen. Wir ducken uns weg, schützen den Kopf mit den Armen, stöhnen vor Ekel.

 

 

Hierbei hilft die Amygdala, das aus einem Bündel Neuronen bestehende, mandelförmige Angstzentrum über dem Stammhirn. Sofort nach dem Eintreffen der sensorischen Reize im Thalamus – der größten Ansammlung von Nervenzellen im Gehirn - werden alle Sinneseindrücke aus der Um- und Innenwelt des Körpers gesammelt, sortiert und zur Bewusstwerdung an die Großhirnrinde weitergeleitet.

Wie werden schaurige Sinnesreize verarbeitet?

Vom Thalamus gelangen die Sinneseindrücke dann an die Amygdala und werden von dort aus auf zwei verschiedenen Wegen weitergeleitet:

  • Alarmanlage: Der schnellere der beiden Rezeptionswege funktioniert wie der Bewegungsmelder einer Alarmanlage und setzt spontan Reaktionen im ganzen Körper in Gang. Erstarren, Fliehen oder Kämpfen sind die Optionen, die je nach Bedrohungslage folgen. Und zwar noch bevor beispielsweise der vorbeihuschende Schatten genau identifiziert wird.

 

 

  • Abwehrreaktion: Das Signal der Sinnesreize gelangt aber auch über einen Sekundenbruchteile langsameren Umweg zum sensorischen Kortex. Dieser Hirnbereich verschafft ein einordnendes, klareres Bild über die potenzielle Bedrohung und verstärkt dann die Abwehrreaktion oder entlarvt sie als Fehlalarm.

Was bewirken Hormone beim Gruseln?

  • Glutamat: Die Erwartung, dass uns selbst Schlimmes zustoßen kann, setzt eine biochemische Kaskade in Gang. Vor allem über den Botenstoff des aufputschenden Glutamat werden Alarmsignale in andere Hirnteile wie den Hypothalamus und dann weiter in den ganzen Körper gesendet.
  • Adrenalin: Das Nebennierenmark stößt große Mengen des Stresshormons Adrenalin aus. Der Blutzuckerspiegel steigt, das Herz schlägt schneller, die Handinnenflächen werden feucht.
  • Endorphin: Bleibt das Schlimmste dann aus, strömt das beruhigende Wohlfühlhormon Endorphin durch den Körper.
  • Dieser Hormon-Mix ist es auch, den viele Menschen am gruseligen Gefühl so mögen. Denn es kann selbst bei der harmlosen Gespensterstory vor dem Kamin einsetzen.

 

 

Wie verhält es sich mit optischen Täuschungen?

Manchmal ist der Körper aber auch selbst schuld, wenn er sich erschreckt. Denn manche vermeintliche Geistererscheinung ist schlicht eine optische Täuschung. Wer etwa 30 Sekunden auf das Bild eines Totenkopfs starrt und danach auf eine leere Fläche, sieht dort für eine Weile ebenfalls einen Totenkopf – das sogenannte Nachbild. Es kommt zustande, wenn die Lichtrezeptoren des Auges durch das Starren ermüdet sind und nicht mehr flexibel reagieren.

 

 

Wie wichtig ist Distanz zum Geschehen?

Eigentlich erscheint es paradox, dass viele von uns immer wieder bewusst nach furchteinflößenden Erlebnissen lechzen und sich nicht automatisch abgeschreckt fühlen von Horrorfilmen mit markerschütternden Schreien und spritzendem Blutfontänen. Doch die durchaus unterhaltende Wirkung von Horror ist einer simplen Tatsache geschuldet: der Distanz zum Geschehen.

Wenn wir Horrorfilme schauen oder in der Geisterbahn sitzen, wissen wir, dass uns währenddessen nichts passieren kann. Wir sind vollkommen sicher. Aus dieser gefestigten Position heraus können wir uns unserer natürlichen Neugierde am Düsteren hingeben.

Warum können Schauergeschichten unseren Horizont erweitern?

Unser Interesse am Schrecklichen gleicht keineswegs nur einer ethisch fragwürdigen Blutlust, sondern kann uns im Notfall sogar nützlich sein.

„Obwohl die meisten Menschen mit der Absicht in einen Gruselfilm gehen, unterhalten zu werden, anstatt etwas zu lernen, bieten Gruselgeschichten reichlich Lernmöglichkeiten. Die Fiktion ermöglicht es dem Publikum, ohne großen Aufwand eine imaginäre Version der Welt zu erkunden“, erklärt Coltan Scrivner von der University of Chicago. Der Psychologe bezeichnet sich selbst als „Leading expert on the science of horror, truecrime, and morbid curiosity“. Scrivner hat auch einen „Morbid Curiosity Test“ entwickelt.

Wie helfen Gruselfilme, das Leben besser zu meistern?

Zuschauer können durch Gruselfilme beispielsweise lernen, wie sie sich in verschiedenen Katastrophenszenarien am besten verhalten – vom Bürgerkrieg über  Zombie-Apokalypsen bis hin zur Flucht vor einem Raubtier. Eingefleischten Horrorfans kam dieses fiktive Bootcamp zum Beispiel während der Corona-Pandemie zugute.

 

 

Wie Scrivner herausgefunden hat, fühlten sich Menschen, die regelmäßig Horrorfilme schauten, deutlich weniger psychisch von Lockdowns, Infektionsraten und Impfdebatten belastet als der Durchschnitt der Bevölkerung. So schliefen sie besser und wiesen weniger depressive Symptome auf.

Warum sind ängstliche Menschen häufig Horrorfans?

Dass der Konsum gruseliger Inhalte die psychologische Widerstandsfähigkeit stärken kann, erklärt vielleicht auch, warum überdurchschnittlich ängstliche und neurotische Personen Umfragen zufolge häufiger Horrorfans sind als ihre seelisch gefestigteren Mitmenschen.

Das Genre hilft ihnen womöglich dabei, Ängste abzubauen, wie Peter Zwanzger von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München erklärt.„Je häufiger man sich bedrohlichen Reizen aussetzt, desto mehr gewöhnt man sich daran – und sieht diese nicht mehr als Gefahr an.“

Was hat die Erbkrankheit Porphyrie mit Vampir-Storys zu tun?

Zum festen Inventar des Horror-Genres gehören Vampire wie Graf Dracula und aus Toten erschaffene Kreaturen wie Frankenstein. Schon vor tausenden von Jahren erzählte man sich in Südosteuropa Geschichten von bluttrinkenden Dämonen. Wie die Geschichte vom Blutsauger mit Furcht vor Kruzifixen, Knoblauch und Tageslicht einst entstanden ist, bleibt allerdings rätselhaft.

Eine Theorie besagt, dass Menschen mit Porphyrien – also erbliche Stoffwechselkrankheiten, welche die Synthese des roten Blutfarbstoffs Häm beeinträchtigen – als Inspiration für den Vampir-Mythos gedient haben könnten.

 

 

Genau wie die Vampire der Legenden müssen die Erkrankten häufig das Sonnenlicht meiden, weil sie sonst schwere Hautschäden erleiden. Auch der Konsum einiger Lebensmittel – darunter Knoblauch – kann die Symptome der Betroffenen verschlimmern.

Zu den typischen Symptomen einer akuten Porphyrie zählen bräunlich-rötlich verfärbte Zähne. Erkrankten soll früher sogar dazu geraten worden sein, Tierblut zu trinken, obwohl das nach heutigem Kenntnisstand nichts an ihrer Lage verbessert hätte. Stoffwechselkranke haben also durchaus Gemeinsamkeiten mit Vampiren.

Welche historische Basis hat der Frankenstein-Mythos?

Dass es heute einen ausgeprägten Hype um Vampire gibt, haben wir auch Bram Stokers Roman „Dracula“ zu verdanken. Der im Jahr 1897 veröffentlicte Roman hat unsere Vorstellungen von blutsaugenden Untoten maßgeblich mitgeformt.

Ein anderer Schauerroman, der bis heute Wellen schlägt, ist Mary Shelleys „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ aus dem Jahr 1818. Darin erschafft der junge Mediziner Victor Frankenstein ein Wesen aus Leichenteilen. Von der Gesellschaft und ihrem eigenen Schöpfer verstoßen, wendet sich die Gestalt schließlich dem Bösen zu.

 

 

Interessanterweise steckt in der Geschichte neben Lektionen über den Gottkomplex des Menschen auch einiges an wissenschaftlichem Denken. Denn zu Shelleys Zeiten diskutierten Gelehrte über das „Lebensprinzip“: Was ist es, das uns lebendig macht? Für den englischen Chirurgen William Abernethy vom Royal College of Surgeons war das Leben eine Art „Funke“, der der körperlichen Hülle hinzugefügt werden muss, um ihr Leben einzuhauchen.

Auch in Shelleys Roman ist von einem „Funken des Seins“ die Rede, den Frankenstein dem leblosen Körper seiner Schöpfung einhaucht. Verfilmungen des Schauerromans nehmen den Begriff „Funken“ traditionellerweise sehr wörtlich und interpretieren ihn als Stromstoß oder sogar als Blitzeinschlag.

Wieso war Mary Shelleys „Frankenstein“-Roman seinerzeit brandaktuell?

Das ist vor dem Hintergrund der Zeit, in der Shelley lebte, tatsächlich gar nicht so abwegig. Denn Wissenschaftler versuchten damals, Tote mithilfe der neu entdeckten Elektrizität wieder zum Leben zu erwecken. Anfangs waren es nur tote Frösche, deren Gliedmaßen man mit gezielten Stromstößen zum Zucken brachte, irgendwann dann die Leichen hingerichteter Krimineller.

 

 

Im Jahr 1803 fand im Londoner Newgate-Gefängnis sogar eine öffentliche Darbietung statt. Im „Newgate Calendar“, einer Sammlung von Verbrechergeschichten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, heißt es dazu: „Die Kiefer des verstorbenen Verbrechers begannen zu zittern und die angrenzenden Muskeln waren schrecklich verformt, und ein Auge wurde tatsächlich geöffnet. Im weiteren Verlauf des Vorgangs wurde die rechte Hand angehoben und geballt, und die Beine und Oberschenkel wurden in Bewegung gesetzt." (mit dpa-Agenturmaterial)

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Erstellt:
27. Oktober 2024, 13:42 Uhr
Aktualisiert:
28. Oktober 2024, 07:29 Uhr

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