Weihnachtliche Legenden
Warum Rentiere den Schlitten vom Weihnachtsmann ziehen
An Heiligabend hat der Weihnachtsmann ein Mammutprogramm zu bewältigen. Und nicht nur er: Auch seine Rentiere sind im Dauerstress und düsen rund um Erdball, um Geschenke zu verteilen. Doch warum zieht ausgerechnet diese Hirschart Santa Claus Schlitten?
Von Markus Brauer
Während der Weihnachtsmann seinen beleibten Körper durch enge Kamine zwängt, um im Haus die Geschenke zu verteilen und sich an Milch und Keksen zu laben, warten seine Rentiere geduldig auf dem Dach. Aber warum gerade Rentiere? Hätte der Weihnachtsmann nicht einfach rassige Pferde vor seinen Schlitten spannen können?
Christkind und Weihnachtsmann
Als Papst Gregor im Jahre 354 n. Chr. den 25. Dezember offiziell zum Geburtstag Jesu erklärte und damit die heidnische Feier der Wintersonnenwende christianisierte, spielte der Weihnachtsmann noch keine Rolle für die Festivitäten.
Über Jahrhunderte hatte das Christkind das Monopol auf das Verteilen der Geschenke, welche die Gaben der Heiligen Drei Könige an das Jesuskind – Gold, Myrrhe und Weihrauch – smbolisieren. Erst im 19. Jahrhundert setzte sich der Weihnachtsmann zunächst im protestantischen norddeutschen Raum durch.
Das erste Bild des Weihnachtsmannes entstand im Jahr 1847, als Moritz von Schwind einen weißbärtigen, beleibten Mann mit langem Kapuzenmantel zeichnete: Herrn Winter. Dieser Herr Winter setzte sich zunehmend durch, wohl auch, weil er leichter in Schokoladenform zu pressen war als das Christkind. Rentiere besaß der Weihnachtsmann zu dieser Zeit aber noch nicht.
Der erste Besuch vom Nikolaus
Der erste Rentierschlitten tauchte im Jahre 1868 in einer Zeichnung im amerikanischen Harper’s Magazine auf. Aus den USA stammt auch die Vorstellung, dass der Weihnachtsmann durch den Kamin in die Häuser steigt.
In dem Weihnachtsgedicht „Ein Besuch vom Nikolaus“ (englischer Originaltitel: „A Visit from St. Nicholas“) von Clement Moore aus dem Jahr 1822 werden die Rentiere, die den Schlitten ziehen, erstmals schriftlich erwähnt. Im deutschsprachigen Raum erlangte das Gedicht vor allem durch die Übersetzung von Erich Kästner aus dem Jahr 1946 unter dem Titel „Als der Nikolaus kam“ große Bekanntheit.
In der deutschen Übersetzung von Kästner heißt es über die Rentiere:
„Die Rentiere kamen daher wie der Wind,
und der Alte, der pfiff, und er rief: „Geschwind!
Renn, Renner! Tanz, Tänzer! Flieg, fliegende Hitz‘!
Hui, Sternschnupp‘! Hui, Liebling! Hui, Donner und Blitz!
Die Veranda hinauf, und die Hauswand hinan!
Immer fort mit euch! Fort mit euch! Hui, mein Gespann!“
Möglicherweise wurden Rentiere einfach deshalb gewählt, weil sie als Zugtiere für Schlitten bei den nordischen Nomaden eine lange Tradition haben.
Nomaden und ein Derwisch
- Nordsibirische Nomaden: Korjaken, Tschuktschen und Kamtschadalen und andere nordostsibirischen Stämme verehren den Geist des großen Rentiers. Unter Zuhilfenahme von Fliegenpilzen, als Sud oder in getrocknetem Zustand verzehrt, konnten Schamanen mit dem Geist in Kontakt treten. Von den halluzinogenen Pilzen berauscht, „schwebten“ sie durch das Rauchabzugsloch ihrer Hütten in die Welt der Rentiergeister, aus der sie Tänze, Geschichten und Lieder als „Geschenke“ mitbrachten.
- Wanderprediger Sari Saltuk: Eine andere Theorie basiert auf einem muslimischen Wanderprediger namens Sari Saltuk. Er war ein türkischer Derwisch aus dem 13. Jahrhundert, der auf dem Balkan und in Anatolien verehrt wird. Die zahlreichen Legenden decken sich teilweise mit den Erzählungen vom Nikolaus in Europa. Vermutlich flossen in die Gestalt des Weihnachtsmanns Elemente dieses Wanderpredigers mit ein. Sari Saltuk gelangte auf seinem geflügelten Pferd Ankabil nach Lappland, wo er unsterblich weiterleben soll. Möglicherweise entstanden aus diesem geflügelten Rappen die fliegende Rentiere.
Können Rentiere fliegen?
Im Internet haben Experten mal nachgerechnet: Der Weihnachtsmann müsste an Heiligabend weltweit 91,8 Millionen Häuser ansteuern, um alle Familien mit Kindern unter 18 Jahren zu versorgen, die rein theoretisch an ihn glauben – Moslems, Hindus und Angehörige anderer Religionen nicht eingerechnet.
Das ergibt in 24 Stunden 1062,5 Besuche pro Sekunde, für jede Stippvisite bleibt also gerade eine knappe tausendstel Sekunde. Um dieses Pensum zu schaffen, müssten die 214.200 Rentiere des Weihnachtsmannes pro Sekunde 650 Meilen, umgerechnet 1046 Kilometer, durch die Luft düsen – rund 3 000-mal schneller als der Schall. Ein handelsübliches irdisches Rentier schafft maximal 15 Meilen pro Stunde.
Santa Claus Problem mit der Reibungshitze
Neben seinen Zeitproblemen muss der Weihnachtsmann auch mit der Reibungshitze kämpfen, die bei dieser Geschwindigkeit so stark wäre wie bei einer Raumkapsel während des Eintritts in die Erdatmosphäre.
Die Folge: Weihnachtsmann, Rentiere, Schlitten, Geschenke – sie alle würden in Bruchteilen von Sekunden verdampfen. Sollte es den Weihnachtsmann also tatsächlich geben, er würde den Weihnachtsabend nicht überleben, denn spätestens bei der Fahrt zur Geschenke-Auslieferung bliebe von ihm nur ein Feuerschein am Himmel übrig.