Rechtsextremismus und Literatur

Was Bücher in den Händen der „Neuen Rechten“ bewirken

Deutschlands „Neue Rechte“ will den Rechtsextremismus intellektuell erneuern und sucht Querverbindungen ins konservative Spektrum. Ein zentrales Agitationsfeld dieser politischen Strömung ist die Literatur, die ideologisch instrumentalisiert wird, wie Stuttgarter Forscher aufzeigen.

Unter dem Begriff „Neue Rechte“ wird eine geistige Strömung verstanden, deren Ziel die intellektuelle Erneuerung des Rechtsextremismus ist.

© Imago/Steinach

Unter dem Begriff „Neue Rechte“ wird eine geistige Strömung verstanden, deren Ziel die intellektuelle Erneuerung des Rechtsextremismus ist.

Von Markus Brauer

Keine politische Strömung arbeitet gegenwärtig so intensiv mit Literatur wie die „Neue Rechte“. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Universität Stuttgart. Sie haben die Entwicklung erstmals umfassend analysiert und zeigen: Die ideologische Instrumentalisierung von Prosa und Lyrik hat im deutschsprachigen Raum ein beachtliches Ausmaß angenommen.

Durch Literatur will die neu-rechte Szene „kulturelle Deutungshoheit gewinnen und breiten gesellschaftlichen Anschluss finden“. Wie sie vorgeht und wie weit sie gekommen ist, erklärt die Gruppe um Torsten Hoffmann zusammen mit Wissenschaftler in einem Themenheft der „Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte“.

Literatur wird ideologisch instrumentalisiert

„Literaturpolitik ist im 21. Jahrhundert kein Nebenschauplatz politischer Arbeit mehr. Sie ist zu einem der wichtigsten Interventionsgebiete neu-rechter Think Tanks avanciert“, sagt Torsten Hoffmann, Professor für Neuere deutsche Literatur am Institut für Literaturwissenschaft (ILW) der Universität Stuttgart.

Im Rahmen des Projekts „Neurechte Literaturpolitik“ untersuchen Hoffmann und sein Team Bücher, Rezensionen, Lektüreempfehlungen, Videos, Podcasts, Blogbeiträge, Verlagsprogramme und Zeitschriftenartikel der „Neuen Rechten“ und ihres Umfeldes sowie Parteiprogramme und Reden, in denen Literatur ideologisch instrumentalisiert wird.

Genutzt werden nicht nur Bücher und Gedichte aus der Feder rechter oder neu-rechter Autoren, sondern auch Werke aus dem etablierten Kanon der klassischen und Gegenwartsliteratur. Umstrittene Essayisten und Schriftsteller wie Ernst Jünger, Gottfried Benn oder Botho Strauß stehen ebenso auf der Literaturliste der Neuen Rechten wie Friedrich Schiller, J. R. R. Tolkien oder Autoren von der Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Was ist die „Neue Rechte“?

  • Unter dem Begriff „Neue Rechte“ wird laut Bundeszentrale für politische Bildung eine geistige Strömung verstanden, deren Ziel die intellektuelle Erneuerung des Rechtsextremismus ist. Sie versucht, sich von der deutlich am historischen Nationalsozialismus orientierten „Alten Rechten“ abzugrenzen.
  • Als Ausgangspunkt der Strömung gilt demnach ein Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre entstandener Kreis französischer Akademiker um den Philosophen Alain de Benoist – dem Vordenker der „Neuen Rechten“ –, der sich „Nouvelle Droite“ („Neue Rechte“, englisch: New Right) nannte. Als Gegenmodell zur linken Studentenbewegung entstanden bald auch in Deutschland Zirkel rechtsextremer Intellektueller.
  • Im Verfassungsschutzbericht 2022 heißt es: „Unter die Bezeichnung Neue Rechte wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen.“

In neue Milieus vorstoßen

„Die ‚Neue Rechte‘ will in neue Milieus vorstoßen – von jungen Menschen über das literaturbegeisterte Bildungsbürgertum bis in die akademische Landschaft. Dabei finden sich in den vermeintlich literaturbezogenen Texten oft deutlich radikalere Positionen als in den ausdrücklich politischen Essays“, erklärt Hoffmann.

Er und seine Ko-Autoren definieren die „Neue Rechte“ als eine Strömung innerhalb der rechtsextremen Szene, die sich schon lange um Intellektualisierung bemüht, um das „metapolitische“ Feld zu bespielen.

Welche Rolle die Metapolitik bei der „Neuen Rechten“ spielt

Ein zentraler Begriff in diesem Konzept der Neuen Rechten ist „Metapolitik“. Das Wort beschreibt eine gesellschaftliche Einflussnahme, die sich nicht an Wahlen und der Beteiligung an Regierungen orientiert.

„Metapolitik“ könne man übersetzen mit „vorpolitischer Raum“, erläutert der Tübinger Soziologe Felix Schilk („Die neu-rechte Erzählgemeinschaft. Eine Soziologie konservativer Krisennarrative“, transcript Verlag, Bielefeld 2024). Der Erfolg rechtsextremer Parteien wie der AfD müsse, so die neu-rechte Idee, von einer „Hegemonie im kulturellen Bereich“ begleitet werden.

Diese „Metapolitik“ ziele nicht auf kurzfristige Wahlerfolge ab, sondern darauf, die Gesellschaft, ihre Werte, Denkweisen und Narrative ideologisch zu beeinflussen und so indirekt Einfluss auf die Politik zu nehmen, erläutert Hoffmann. „Bestrebungen der Neuen Rechten, auch nicht politische Felder der Gesellschaft zu bespielen, sehen wir schon länger. Neu ist das Ausmaß, mit dem das inzwischen geschieht.“

Hinter dem Agieren der „Neuen Rechte“ steht eine langfristige Strategie. Ziel ist es, ihre Ideologie, Welt- und Feindbilder auch in Deutschland mehrheitsfähig zu machen. Kunst und Kultur, Lifestyle und popkulturelle Phänomene spielen dabei eine große Rolle.

Bildungssystem und Hochschulen im Visier

Ein Massenphänomen sehen die Wissenschaftler zwar noch nicht, aber sie beobachten, wie die „Neue Rechte“ zunehmend das Bildungssystem und akademische Milieus ins Visier nimmt und sich beispielsweise um die Gründung rechter Lesekreise in Universitätsstädten bemüht.

Wie dabei Literatur im eigenen Sinne umgedeutet wird, zeigt den Autoren zufolge zum Beispiel der neu-rechte Umgang mit dem dystopischen Romanklassiker „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury. Er beschreibt eine Diktatur, in der Bücher verboten sind und verbrannt werden, weil sie die Menschen zum selbstständigen Denken anregen und die öffentliche Sicherheit gefährden.

„Die Neue Rechte‘ vergleicht dieses Regime mit unserer Gesellschaft und inszeniert sich als Freiheitsbewegung gegen eine vermeintliche Meinungsdiktatur“, sagt Hoffmann.

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Erstellt:
12. März 2025, 16:06 Uhr

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