TV-Dokumentation
Was ist dran am DNA-Hype um Kolumbus?
Christoph Kolumbus könnte ein sephardischer Jude aus Valencia gewesen sein, verkündet ein spanischer Molekularbiologe nach langen Forschungen medienwirksam. Aber wie fundiert ist diese Aussage, und gibt es überhaupt so etwas wie „jüdische Gene“?
Von Michael Maier
Mit einer gewissen Ernüchterung ist für die spanischen TV-Zuschauer am Wochenende die lang erwartete Fernseh-Dokumentation um genetische Spuren in den Knochen von Christoph Kolumbus zu Ende gegangen. „Colón ADN. Su verdadero origen“ (zu Deutsch etwa „Kolumbus-DNA. Seine wahre Herkunft“, so der Titel der RTVE-Produktion im Stil einer Telenovela oder Reality Show.
Acht von 25 Theorien hatten es dabei ins Finale geschafft, doch letzten Endes konnte mit den seit 2002 laufenden Forschungen keine einzige davon wirklich untermauert werden. Zu schlecht war offenbar die Qualität der untersuchten Knochenreste aus halb Spanien, zu unzulänglich „absolut sichere naturwissenschaftliche Methoden“. Sogar die mutmaßlichen Gebeine von Kolumbus waren für das Projekt vor über 20 Jahren aus der Kathedrale von Sevilla exhumiert worden. 2005 mussten die Forschungen dann auf Eis gelegt werden, weil das Material für die damaligen Methoden nicht taugte.
Kolumbus - Vater und Sohn
Ein Versuch mit neuen Techniken ab 2020 brachte nun aber auch keine weltbewegenden Ergebnisse. Bestätigt scheint durch eine Art historischen Vaterschaftstest lediglich, dass zumindest ein Teil der sterblichen Überreste von Kolumbus in Sevilla ruhen – ebenso wie die seines Sohnes Hernando (1488-1539).
War im Vorfeld noch angedeutet worden, dass Christoph Kolumbus womöglich als uneheliches Kind auf Mallorca geboren wurde, so hat sich eine Verwandtschaft des genuesischen Seefahrers zum Prinzen Karl von Viana und zum aragonesischen Königshaus Trastámara letzten Endes nicht bestätigt – falls man den Untersuchungen des Gerichtsmediziners José Antonio Lorente von der Universität Granada diesbezüglich Glauben schenken darf.
Kolumbus aus Valencia?
Fundamentale Zweifel am ganzen Prozedere äußert indes die führende spanische Tageszeitung „El País“. Lorente habe bei dem Projekt zu viel Protagonismus beansprucht, Methoden und gewonnene Erkenntnisse seien teilweise sehr fragwürdig, auch wenn Lorente bis November noch die Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift anstrebe. Bisher sei die Arbeit auf dieser Ebene offenbar noch nicht angenommen worden, schreibt „El País“.
Als Ergebnis im TV präsentiert wurden dennoch vermeintlich „jüdische Kolumbus-Gene väterlicherseits und mütterlicherseits“. Spekuliert wird auf dieser Grundlage, dass der Entdecker Amerikas der Nachkomme von Juden aus Valencia sein könnte, die ihre wahre Religion vor den Christen verbergen mussten, wie es im Spanien des 15. Jahrhunderts durchaus an der Tagesordnung war. Bis heute sollen viele auf der iberischen Halbinsel dieses Erbe in sich tragen, meinen Anthropologen.
„Jüdische Haplogruppe“
Dass solche biologistischen Aussagen für eine Einzelperson nach 500 Jahren viel Sinn machen, wird allerdings von ernsthaften Forschern bestritten – auch wenn die Genetik unter Umständen Anhaltspunkte zur Hautfarbe und Herkunft aus Afrika, Asien oder Europa liefern kann und in den USA Gentests mit „jüdischer Haplogruppe“ in Mode sind.
Letzten Endes liefern solche Tests meist aber nur grobe Wahrscheinlichkeiten, denn die Bevölkerung auf der Welt hat sich über Jahrtausende hinweg stark vermischt, was sich entsprechend in den Genen widerspiegelt.
So gelten als engste Verwandte der Juden ausgerechnet ihre Erzfeinde, die Araber. Und in Italien sollen Juden im frühen Mittelalter besonders viele genetische Spuren hinterlassen haben, heißt es. Man kann also getrost davon ausgehen, dass Christoph Kolumbus ein Genuese war, wie er auch in seinem eigenen Testament schreibt – und es darüber hinaus in diversen italienischen Quellen belegt ist. Deren Echtheit gilt in der Geschichtsforschung als unbestritten.
Ei des Kolumbus?
Dass eine Religions- oder Kulturzugehörigkeit über Gene definiert werden kann, lässt sich im Übrigen schon mit dem gesunden Menschenverstand ausschließen – auch eine „kryptojüdische“. Man braucht dafür keinen Doktortitel in Molekularbiologie.
Je nach Gebiet können die Geisteswissenschaften offenbar sinnvollere und präzisere Ergebnisse liefern als manche Naturwissenschaftler oder Medienleute, die das „Ei des Kolumbus“ gefunden zu haben meinen und die Welt damit beglücken wollen...