7000 Jahre alte Artefakte
Was Reibesteine über die Mythenwelt der Steinzeit verraten
Reibsteine gehören zu den wichtigsten Gerätschaften der frühen Bauern, die ab 5500 v. Chr. Mitteleuropa siedelten. In den letzten Jahren konnten in Mitteldeutschland erstmals Niederlegungen solcher Geräte dokumentiert werden.
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© J. Soldevilla/Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Reibsteine aus Goseck, zusammengehöriges Paar von Unterlieger und Läufer aus einer Deponierung.
Von Markus Brauer
Der Übergang vom Jagen und Sammeln zur nahrungsproduzierenden Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht ist einer der einschneidendsten Transformationsprozesse in der Geschichte der Menschheit. Erstmals greift der Mensch mit der Domestizierung von Pflanzen und Tieren massiv in seine Umwelt ein.
An die Scholle gebunden und Missernten ausgesetzt
Die nun planbaren Nahrungsressourcen führen zu Bevölkerungswachstum, jedoch auch zu Problemen. Bei krisenhaften Ereignissen, etwa Versorgungsproblemen oder Konflikten zwischen unterschiedlichen Gruppen können mobile Jäger und Sammler in andere Gebiete ausweichen. Die jungsteinzeitlichen Bauern sind jedoch an ihre Scholle gebunden und Missernten ausgesetzt, die zu Phasen des Mangels führen können.
Für die um 5500 v. Chr. aus Transdanubien nach Mitteleuropa einwandernden Bauern der Linearbandkeramik und der folgenden Stichbandkeramik sind daher Vorratshaltung und die zur Nahrungsproduktion benötigten Geräte von großer Wichtigkeit. Reibsteinen kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu, da erst dieser Gerätetyp es ermöglicht, Getreide effizient zu Mehl zu verarbeiten und damit für die menschliche Ernährung nutzbar zu machen.
Rituelle Niederlegung der Geräte
Jungsteinzeitliche Reibsteine bestehen immer aus zwei Teilen: einer Reibplatte, dem sogenannten Unterlieger, und einem zweiten Stein, dem Läufer, mit dem darauf das Getreide gerieben wird.
Dieser lange Zeit von der Forschung übersehenen Gerätegruppe widmet sich ein Kooperationsprojekt zwischen dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt und der Universitat Autònoma de Barcelona (UAB) unter Leitung von Roberto Risch und Harald Meller. Aktuelle Ergebnisse der Untersuchungen sind in der Fachzeitschrift „Journal of Archaeological Science Reports“ veröffentlicht.
Die Wichtigkeit der Reibsteine für die jungsteinzeitlichen Menschen drückt sich auch in der rituellen Niederlegung dieser Geräte aus. Deponierungen von Reibsteinen waren bislang vor allem aus Frankreich und Belgien bekannt.
Funde in Goseck und Sömmerda
Neufunde haben dies in den letzten Jahren geändert. Zwei Fundkomplexe stammen aus dem Umfeld der Kreisgrabenanlage von Goseck in Sachsen-Anhalt, die als eines der frühesten Sonnenobservatorien gilt:
- Der erste Fund datiert allerdings sogar vor den Bau dieser Anlage. In einem linearbandkeramischen Langhaus, das in die Zeit zwischen 5200 und 5000 v. Chr. datiert wird, lagen in einer Grube zwei Unterlieger. Ihre starke Abnutzung spricht gegen eine Deponierung mit dem Zweck, sie für eine spätere erneute Nutzung aufzubewahren, und für eine rituelle Niederlegung.
- Noch deutlicher ist dies bei dem zweiten Fund aus Goseck, der mittels Radiokarbondatierung in die Zeit zwischen 4795 und 4696 v. Chr. datiert wurde. Er ist damit zeitgleich mit dem stichbandkeramischen Sonnenobservatorium und wurde in dessen unmittelbarer Nähe gefunden. Drei Reibplatten und zwei Läufer lagen unterhalb von Skelettresten eines 50 bis 55 Jahre alten Menschen in einer Grube. Alle Geräte waren benutzt worden, sind jedoch in unterschiedlichen Stadien der Abnutzung erhalten.
- Eine dritte Deponierung wurde in Sömmerda im heutigen Thüringen wiederum in der Nähe eines linearbandkeramischen Hauses entdeckt. Hier waren mehrere Reibgeräte in unterschiedlichen Stadien der Abnutzung in zwei Schichten innerhalb einer Grube übereinandergelegt worden.
Frauen als Nutzerinnen der Geräte
Frühere Studien hatten die Reibsteinniederlegungen mit dem Rhythmus von Anbau und Ernte, Fruchtbarkeit und Festen verbunden. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen deuten nun ergänzend auf einen engen Bezug zum Leben von Frauen als Nutzerinnen der Geräte und ihren Vorstellungen von Zeit hin.
Dies schließen die beteiligten Forscher aus den ähnlich strukturierten Deponierungen, die jeweils Reibsteine in unterschiedlichen Abnutzungsstadien enthalten und damit möglicherweise den Zyklus von Herstellung/Geburt bis Nutzungsende/Tod symbolisch abbildeten.
Bezüge zu Zyklen von Geburt, Leben und Tod
„Die Ergebnisse der Studie spiegeln den hohen sozialen Wert wider, den diese Objekte hatten, und veranlassen uns zudem zu der Annahme, dass der Kerngedanke hinter den Deponierungen der Werkzeuge die Zeit ist, die in den unterschiedlichen Stadien ihrer „Biografie“ zum Ausdruck kommt. Die Reibsteine wurden überwiegend von Frauen benutzt. Es könnten sich damit Bezüge zu Zyklen von Geburt, Leben und Tod in den Deponierungen andeuten“, sagt Erik Zamzow.
Roberto Risch ergänzt: „Die Absicht hinter den Niederlegungen ist die Darstellung einer komplexen Vorstellung von Zeit, die über den Rhythmus der jährlichen Ernten hinausgeht, mit dem die Reibsteine bisher in Verbindung gebracht wurden. Die Symbolik bezieht sich auf das Leben bestimmter Frauen, denn die überlieferte Form jedes Reibsteins ist das Ergebnis täglicher Arbeit über Jahre und Jahrzehnte hinweg“.