Familienstreit beim Weihnachtsfest
Was tun, wenn der Verschwörungsonkel loslegt?
Wenn an den Feiertagen die Verwandten krude Verschwörungserzählungen zum Besten gibt, muss der Rest der Familie entscheiden: Widersprechen oder schweigen und die Harmonie wahren? Fünf Dinge, die Sie vorher wissen sollten.
Von Florian Gann
„Alle wollen Friede, Freude, Eierkuchen, und dann wirft einer diese Stinkbombe unter den Tannenbaum“ – so sieht Familienberater Mathias Voelchert die unangenehme Situation, in der sich so manche Familie an den Feiertagen wiederfinden dürfte. Die Stinkbombe: eine Verschwörungserzählung. Der Werfer: dieses eine Familienmitglied, das auch den Rest der Verwandtschaft von seinen verqueren Weltanschauungen überzeugen möchte – ausgerechnet an Weihnachten.
Von diesen „Onkeln“ dürfte es einige an den Festtagstischen in Deutschland geben. Immerhin neun Prozent der erwerbstätigen Deutschen stimmten in einer Befragung der Hans-Böckler-Stiftung verschwörungstheoretischen Aussagen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu. Die Wahrscheinlichkeit ist aber groß, dass der Rest der Familie das anders sieht. 74 Prozent der Deutschen stehen beim Beispiel Ukrainekrieg den Verschwörungserzählungen ablehnend gegenüber.
So klar für viele die eigene Position, so schwierig die Entscheidung: widersprechen oder schweigend hinnehmen? Immerhin steht das harmonische Fest auf dem Spiel. Eine pauschale Lösung gibt es nicht. Fünf Dinge, die Sie bedenken sollten, bevor Sie entscheiden.
1. Sie werden den Verschwörungstheoretiker nicht überzeugen
Wer hofft, den Onkel mit sachlichen Argumenten und Gegenbeweisen von der Verschwörungserzählung abzubringen, wird vermutlich enttäuscht. Zum einen macht es die Struktur von Verschwörungserzählungen schwer, Menschen vom Gegenteil zu überzeugen, sagt der Philosoph Daniel-Pascal Zorn: „Bei Verschwörungserzählungen wird von vorneherein davon ausgegangen, dass sie wahr sind. Es wird nach Beweisen für etwas gesucht, von dem man bereits weiß, dass es stimmt.“ Dabei könne alles als Beweis gedeutet werden – selbst die Tatsache, dass die Familie widerspricht. „Eine Verschwörungserzählung ist nicht nur eine komische Meinung. Es ist ein Schema, das darauf ausgerichtet ist, jede Art von Gegenwind zu entkräften“, sagt Zorn.
Zum anderen handelt es sich bei Verschwörungserzählungen meist um Einstellungen, die für die eigene Identität und das Weltbild hochrelevant sind, sagt Marc-André Reinhard, Professor für Sozialpsychologie. Diese Einstellungen wollen Menschen aufrechterhalten und verteidigen. Die Forschung zeige: Mit Gegenargumenten lässt sich daran nur schwer rütteln.
2. Widersprechen heißt, einen Streit zu beginnen
Wer dennoch diskutiert, endet vermutlich im Streit. Darin sind sich Voelchert, Reinhard und Zorn einig. Denn für den Attackierten könne sich auch sachliche Kritik nach einem Angriff auf die eigene Kompetenz und Identität anfühlen, so Reinhard: „Menschen schützen ihren Selbstwert. Stelle ich die Kompetenz einer Person in Frage, fühlt sich das nie gut an. Es blamiert die Person.“
Dabei wollten sich Menschen besonders im Familienkreis sozial anerkannt fühlen, weshalb es laut Reinhard in der Debatte kein Vorteil sein muss, dem Verschwörungstheoretiker nahe zu stehen.
Auch zu viel Verständnis, das den Onkel womöglich adelt, hält Zorn für wenig sinnvoll: „Eine Motivation für Verschwörungserzählungen kann Anerkennung sein. Solche Menschen bestätigen sich in den sozialen Netzwerken oft gegenseitig, bekommen Aufmerksamkeit.“
3. Wer sitzt mit am Tisch?
Von betretenem Wegschauen bis zu aggressiver Gegenrede – wie die Familie reagiert, lässt sich laut Familienberater Voelchert kaum verallgemeinern. Klar sei aber: „Will einer den anderen überzeugen, kann das auch die restliche Familie zwingen, Stellung zu beziehen, obwohl sie das vielleicht nicht möchte. Dann gibt es eine Frontenbildung.“ Besonders Kinder hätten ein Recht auf friedliche Feiertage, so Voelchert. Der Konflikt lasse sich auch an den übrigen Tagen klären.
Andererseits könnte Widerspruch auch ein Signal an den Rest der Familie senden, sollte der noch keine Position haben, sagt Reinhard: Diese Meinung ist weder ein Fakt noch mehrheitsfähig! Ist die Familie das Publikum des eigenen Widerspruchs, können laut Reinhard wenige und sachliche Argumente überzeugen. Wer dagegen emotional wird und ausufert, wirke eher unterlegen.
4. Schweigen kann belastend sein
Wie Sie sich entscheiden, hat nicht nur Folgen für die anderen. Schweigen kann – ebenso wie Streit – für die eigene Psyche belastend sein, geschieht es aus den falschen Gründen. Man sollte abwägen: Wie wichtig ist mir der Wert, den die Aussage des Onkels verletzt, und wie wichtig ist mir ein friedliches Fest? „Wenn ich schweige, weil mir harmonisches Zusammensein mehr wert ist, dann ist das eine berechtigte Reaktion“, sagt Mariela Jaffé, die an der Universität in Basel erforscht, wie Menschen Wahrheit wahrnehmen.
Wer aber aus Angst nichts sage oder weil er einen Konflikt vermeiden wolle, obwohl die Verschwörungserzählung massiv den eigenen Werten widerspricht, den könne Schweigen über die Situation hinaus belasten: „Wenn mir Nachhaltigkeit wichtig ist, und dann leugnet einer den Klimawandel und ich sage nichts, passt das nicht zu meiner Einstellung. Das kann eine Dissonanz auslösen, die sich belastend anfühlt. Denn Menschen streben danach, Verhalten und Einstellungen in Einklang zu bringen“, erklärt Jaffé. Weil jeder solche Dissonanzgefühle loswerden möchte, könnte das Schweigen im schlimmsten Fall dazu führen, dass man den Verschwörungstheoretiker in Zukunft meide.
Hinzu kommt laut Jaffé: Es kostet Energie, eine Reaktion zu unterdrücken – sodass man selbst das Zusammensein nicht mehr genießen könnte.
5. Es gibt einen Kompromiss
Besonders Eltern empfiehlt Familienberater Mathias Voelchert, zu deeskalieren, ohne die eigenen Grenzen zu missachten. Sein Vorschlag: Klar sagen, dass man es selbst anders sieht, über das Thema an Weihnachten aber nicht diskutieren möchte. Wer sich an diese Regel nicht halten könne und weiter die Grenzen der anderen überschreitet, müsse gehen, so Voelchert.
Dieses Ultimatum sollten Sie nicht bereits vorab stellen, sagt Voelchert: „Ich würde allen eine Chance geben.“ Ein Vorabgespräch könnte sogar einen gegenteiligen Effekt haben: „Wenn ich sage: Du darfst während der Feiertage nichts von deinen Ideen sagen, dann kommt die Person entweder nicht oder sagt vielleicht: ‚Dir werde ich es zeigen, den Mund lasse ich mir nicht verbieten!‘“
Ein Angebot für eine Diskussion im Familienkreis abseits der Weihnachtstage, könne aber sinnvoll sein, so Voelchert: „Es ist wichtig, den anderen anzuhören.“