US-Wahl
Was versteht man unter „October Surprise“?
Wenn vor der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten eine Bombe platzt: 2016 sollen E-Mail-Ermittlungen gegen Hillary Clinton mitentscheidend gewesen sein. Gibt es auch 2024 wieder eine handfeste Überraschung zu Gunsten von Donald Trump?
Von Michael Maier
In der amerikanischen Politik bezeichnet der Begriff „October Surprise“ („Oktober-Überraschung“) ein unerwartetes Ereignis kurz vor einer Wahl, das den Ausgang maßgeblich beeinflussen kann. Typischerweise tritt dieses Phänomen im Oktober auf, dem Monat vor den Präsidentschaftswahlen, die in den USA traditionell Anfang November stattfinden.
Die Geschichte des Begriffs reicht bis in die 1970er Jahre zurück. Nach der Präsidentschaftswahl 1972 kam er in Gebrauch, als Henry Kissinger kurz vor dem Wahltag verkündete, der Frieden in Vietnam sei zum Greifen nahe. Diese Aussage wurde als strategischer Schachzug interpretiert, um die Wiederwahl von Präsident Richard Nixon zu unterstützen.
Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten
Seitdem wurde der Begriff bei verschiedenen Wahlen verwendet, um kurzfristig lancierte, öffentlichkeitswirksame Informationen als politisches Manöver zu entlarven. Bekannte Beispiele reichen von der Präsidentschaftswahl 1968, vor der Gerüchte über Friedensverhandlungen im Vietnamkrieg kursierten, bis hin zur Wahl 2016, als FBI-Direktor James Comey neue Ermittlungen im E-Mail-Skandal um Hillary Clinton ankündigte.
„October Surprise“ vor der US-Wahl 1980
Interessanterweise hatte der Begriff „October Surprise“ ursprünglich eine ganz andere Bedeutung. Jahrzehntelang wurde er in der Geschäftswelt verwendet, um herbstliche Sonderverkäufe in Kaufhäusern zu beschreiben. Erst in den 1980er Jahren setzte sich die politische Bedeutung durch, als Ronald Reagans Wahlkampfteam angeblich befürchtete, Präsident Jimmy Carter könnte von einem unerwarteten Ereignis profitieren.
Damals liefen Verhandlungen über eine Freilassung der Geiseln in der US-Botschaft in Teheran, die sich aber vorerst zerschlugen. Nur 20 Stunden nach der Regierungsübernahme von Ronald Reagan im Januar 1981 wurden die Geiseln dann überraschend freigelassen. Bis heute ranken sich Gerüchte um mögliche Absprachen hinter den Kulissen.
„October Surprise“ in Politik und Medien
Die Wirkung einer „October Surprise“ ist umstritten. Während viele Beobachter glauben, dass solche Ereignisse Wahlen entscheiden können, argumentieren andere, dass die meisten Wähler ihre Entscheidung bereits früher treffen. Dennoch bleibt der Begriff ein fester Bestandteil des politischen Vokabulars und wird von Medien und Kampagnenteams gleichermaßen verwendet.
US-Präsidenten seit 1961
- John F. Kennedy (1961-1963)
- Lyndon B. Johnson (1963-1969)
- Richard Nixon (1969-1974)
- Gerald Ford (1974-1977)
- Jimmy Carter (1977-1981)
- Ronald Reagan (1981-1989)
- George H. W. Bush (1989-1993)
- Bill Clinton (1993-2001)
- George W. Bush (2001-2009)
- Barack Obama (2009-2017)
- Donald Trump (2017-2021)
- Joe Biden (seit 2021)
October Surprise, Fake News, Social Media
In einer Zeit, in der Informationen schnell verbreitet werden und soziale Medien den politischen Diskurs prägen, gewinnt das Konzept der „October Surprise“ zusätzlich an Bedeutung. Politiker und ihre Teams müssen stets darauf vorbereitet sein, auf unerwartete Enthüllungen oder Ereignisse zu reagieren, die den Wahlkampf in letzter Minute auf den Kopf stellen können.
Ein größerer Krieg in Nahost könnte vor der US-Präsidentenwahl 2024 womöglich die Rolle einer „Oktober-Überraschung“ zu Gunsten von Donald Trump spielen. Allerdings scheinen die Märkte nicht so recht an direkte Auseinandersetzungen zwischen Israel und Iran zu glauben, denn der Ölpreis befindet sich aktuell auf einem Mehrjahrestief. Die meisten Umfragen sprachen zuletzt für Kamala Harris.