Ost-West-Debatte

Weg mit dem Ostbeauftragten!

Im vierten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung kann man auf den Posten des Ostbeauftragten verzichten – und auf einige weitere dieser Zuständigen auch, meint Hauptstadtkorrespondent Tobias Heimbach.

Graffito in Berlin: Auch 35 Jahre nach der Wende wird über die Ost und West diskutiert.

© dpa/Rainer Jensen

Graffito in Berlin: Auch 35 Jahre nach der Wende wird über die Ost und West diskutiert.

Von Tobias Heimbach

Die Wiedervereinigung war einer der größten Glücksfälle der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Doch die Debatten über Ost und West halten weiter an. So fordert die Union, dass man künftig auf den Posten des Ostbeauftragten verzichten sollte. Der CDU-Politiker Sepp Müller aus Sachsen-Anhalt sagte, er halte das Amt für „überholt“ – und hat damit Recht. Der Ansatz, den Ostbeauftragten zu streichen, ist sinnvoll, ebenso wie die Idee, die Zahl der Beauftragten generell zu reduzieren.

Schon in wenigen Jahren ist Deutschland länger wiedervereint, als es in zwei Staaten geteilt war. Dennoch gibt es weiter unübersehbare Unterschiede: Ostdeutsche verdienen weniger, die Arbeitslosenquote im Osten ist im Schnitt höher – Einkommen, Renten und Vermögen niedriger. Ostdeutsche sind seltener in Führungspositionen vertreten, nur rund 20 der 500 größten Unternehmen haben ihren Sitz im Osten.

Nur wenig Verständnis im Westen für Umbrüche im Osten

Es gibt im Westen nur wenig Verständnis für die fundamentalen Umbrüche, die sich in den 1990er Jahren in Ostdeutschland abgespielt haben. Menschen verloren ihre Arbeit, mussten sich in einem neuen Wertesystem zurechtfinden. Über den Dialekt von Sachsen oder Thüringern machte man sich lustig. Laut Umfragen fühlt sich die Hälfte der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse. Es gibt weiter viel aufzuarbeiten. Doch ob ein Ostbeauftragter dafür zwingend notwendig ist?

Dessen Aufgabe ist es, „die Einheit zu vollenden – sozial, wirtschaftlich und gesellschaftlich“. Es gab eine Zeit, da mag das Amt durchaus sinnvoll gewesen sein, um dem Osten eine Stimme zu geben. Doch heute gibt es selbstbewusste Ministerpräsidenten, die diese Rolle übernehmen.

Was der Ostbeauftragte konkret tun sollte, wurde mit der Zeit immer unklarer. So wurde das Amt zwischen den Ministerien scheinbar wahllos hin- und hergeschoben. Aktuell ist der Ostbeauftragte im Kanzleramt angesiedelt. Was bewirkt er da? Carsten Schneider (SPD) scheint sich eher als „Bundespräsident für Ostdeutschland“ zu verstehen. Jeden 3. Oktober gibt er ein Interview mit mahnenden Worten, ansonsten hält er Festreden, reist zu Preisverleihungen, Bürgerdialogen, Jahresempfängen und Fabrikeröffnungen. „Hilflos“, nannte der ostdeutsche Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk das Agieren Schneiders.

Eine Ausnahme war Marco Wanderwitz (CDU), von 2020 bis 2021 im Amt. Er mutete den Ostdeutschen unbequeme Debatten zu. Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung seien viele „nicht in der Demokratie angekommen“. Das Resultat: Er war unter Ostdeutschen unbeliebt, unter vielen sogar verhasst.

Inflation der Beauftragten beenden

Auch wenn Unterschiede zwischen Ost und West bleiben: „Den Osten“ gibt es längst nicht mehr – ebenso wenig, wie es jemals „den Westen“ gab. Schließlich käme niemand auf die Idee, die Schwäbische Alb und Gelsenkirchen in einen Topf zu werfen. Es gibt längst andere Trennlinien in Deutschland, etwa zwischen Stadt und Land.

Schafft man den Ostbeauftragten ab, kann man zudem ein Exempel statuieren und die Inflation der Beauftragten der Bundesregierung beenden. Im aktuellen Kabinett gibt es 45 Beauftragte, darunter auch einen „Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ oder einen „Meeresbeauftragten“. Wahnsinnig groß ist das Einsparpotenzial nicht, auch weil Staatssekretäre einige der Ämter in Personalunion ausüben. Doch auch daran sollten Politiker sparen. Schon als Zeichen an die Bevölkerung: Wir setzen auch bei uns an. Zumal die Themen der Beauftragten in Ministerien und Behörden ja weiter bearbeitet werden, auch wenn es das Amt nicht mehr gibt. Und auch über „den Osten“ wird man weiter diskutieren, ob mit Ostbeauftragten – oder ohne.

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Erstellt:
17. Januar 2025, 16:46 Uhr

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