Krise bei VW
Weil: „Betriebsbedingte Kündigungen sind Gefahr für sozialen Frieden“
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil dringt auf eine Lösung bei Volkswagen – und zwar vor Weihnachten. Im Interview spricht er auch über die Lage der SPD nach dem Bruch der Ampel und seine Wünsche in der Wirtschaftspolitik.
Von Tobias Peter
In Stephan Weils Büro in der Staatskanzlei in Hannover sieht es aufgeräumt aus. So gibt sich der niedersächsische Ministerpräsident auch im Gespräch – trotz großer Herausforderungen für die SPD und, wegen der VW-Krise, auch für ihn selbst.
Herr Weil, die Ampel hat viele Menschen mit ihrem Dauerstreit genervt. Sind Sie auch froh, dass es vorbei ist?
Ja, ich war erleichtert, als Olaf Scholz die Ampel beendet hat. Diese nicht enden wollenden Ketten von Dissonanzen und Fouls waren schwer erträglich.
Da könnten Sie der FDP fast dankbar sein.
Im Gegenteil. Mittlerweile wissen wir, dass die FDP gezielt auf das Scheitern der Koalition hingearbeitet hat. Ihr Verhalten ist ein bitteres Lehrstück dafür, wie eine Partei das Vertrauen in die Demokratie beschädigen kann. Ich kenne viele ehrenwerte Menschen in der FDP. Aber jede andere Partei wird sich künftig drei Mal überlegen, ob sie mit dieser Bundesspitze um Christian Lindner noch Koalitionen schließen kann.
In der SPD haben sich einige drei Mal überlegt, ob Sie noch einmal mit Olaf Scholz antreten wollen. Wäre ein Neuanfang mit Boris Pistorius nicht eine Chance gewesen, dem Umfragetief zu entkommen?
Olaf Scholz hat bewiesen, dass er das Land nervenstark und klug durch Krisen führen kann. Die Entscheidung, erneut mit ihm als Kanzlerkandidat anzutreten, ist richtig. Bislang musste er versuchen, eine Koalition zusammenzuhalten, aus der ein Partner rauswollte. Jetzt kann und wird er den Menschen zeigen, wie die SPD-Politik ohne den Mühlstein FDP ausschaut.
Das Land ist in einer Wirtschaftskrise. Was muss jetzt geschehen?
Nach meinen Erfahrungen bei vielen Unternehmensbesuchen sind vor allem drei Punkte wichtig. Erstens braucht es ein klares Zeichen an die Unternehmen, dass Politik sich intensiv für ihre Wettbewerbsfähigkeit einsetzt. Dabei geht es insbesondere darum, die Energiekosten für die Industrie spürbar zu senken. Zweitens müssen wir die Überregulierung abbauen, das schreckt inzwischen von Investitionen ab. Drittens brauchen wir dringend mehr Investitionsanreize. Das ist wirtschaftlich und psychologisch wichtig. Momentan haben wir eine Stimmung, die noch schlechter ist als die Lage. Das müssen wir drehen.
Schauen wir auf das Thema Überregulierung. Die Ampel hat sich gerühmt, viel gegen Bürokratie und für Planungsbeschleunigung getan zu haben.
Das hat sie auch in einem wichtigen Bereich: Die Regierung hat die Planung von Infrastrukturvorhaben und für den Ausbau Erneuerbarer Energien deutlich beschleunigt. Gleichzeitig kommen aber in anderen gesellschaftlichen Bereichen immer neue Regeln nach – gerade auch von der europäischen Ebene. Wir haben insgesamt eine viel zu große Zahl an Vorschriften, die viel Dynamik aus unserer Gesellschaft rausnehmen. Wir müssen in allen Bereichen einfacher, schneller und günstiger werden.
Das Anreizen von Investitionen wird teuer. Geht das alles nur auf Pump?
Ich war zehn Jahre lang Stadtkämmerer und weiß, dass man Kredite zurückzahlen und verzinsen muss. Dennoch ist vollkommen klar: Wir müssen die Schuldenbremse so reformieren, dass es in Deutschland mehr Investitionen gibt. Der Rest der Welt beobachtet erstaunt, wie Deutschland sich selbst jeden Spielraum nimmt. Das hat etwas von einer ökonomischen Geisterfahrt.
Muss die Politik auch bereit sein, den Menschen etwas zuzumuten, um das Land aus der Krise zu holen?
Bezogen auf Gering- und Normalverdiener kann ich nur sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Große Teile der Bevölkerung fragen sich angesichts der Preissteigerungen ohnehin schon, wie es bei ihnen weitergehen kann. Viele Menschen müssen beim Einkaufen scharf rechnen und sich enorm anstrengen, um ihre Wohnung weiter bezahlen zu können. Diese Menschen können wir nicht immer mehr belasten.
Die Wirtschaftskrise ist auch eine Autokrise. Als Aufsichtsrat bei VW müssen Sie einerseits Interessen des Unternehmens vertreten, als Sozialdemokrat wollen Sie an der Seite der Beschäftigten stehen. Geht das noch zusammen?
Ja. Wettbewerbsfähigkeit ist sowohl für den wirtschaftlichen Erfolg als auch für sicherere Arbeitsplätze eine unabdingbare Voraussetzung. Die Arbeitsplätze in einem Unternehmen sind nur dann sicher, wenn es im Markt mithalten kann. VW muss seine volle Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Dafür müssen Unternehmen und Beschäftigte möglichst schnell einen gemeinsamen Weg finden.
Was bedeutet das konkret?
Die Kosten müssen gesenkt werden. Ich habe die Erwartung, dass das auch ohne Werkschließungen funktionieren kann. Stilllegungen würden für die entsprechenden Städte und Regionen bedeuten, dass diese Industriearbeitsplätze dort für immer weg sind. Ich bin zuversichtlich, dass Unternehmen und Arbeitnehmervertretung zusammen andere Wege finden werden.
Lassen sich betriebsbedingte Kündigungen diesmal vermeiden?
Betriebsbedingte Kündigungen sind eine echte Gefahr für den sozialen Frieden im Unternehmen. VW war immer stolz darauf, beim Arbeitsplatzabbau einen sozial fairen Weg gefunden zu haben. Das sollte auch diesmal möglich sein. Es braucht aber jetzt vor allem auch eine schnelle Einigung! Wir müssen unbedingt vermeiden, dass Hunderttausende Menschen mit einer tiefen persönlichen Verunsicherung in die Weihnachtsfesttage gehen.
Sie sind seit 11 Jahren Aufsichtsrat bei VW. Haben Sie Fehler gemacht, die zur Krise beigetragen haben?
Fehler und falsche Einschätzungen gibt es überall, aber aktuell haben wir es mit einer Krise der europäischen Automobilindustrie insgesamt zu tun. Volkswagen hat darauf schon im letzten Jahr mit einem ambitionierten Plan zur Kostensenkung reagiert, der jetzt erweitert werden muss. Die Verschärfung der Lage, die in Deutschland eingetreten ist, steht aber auch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Entscheidung, Kaufprämien für Elektroautos zu stoppen.
Damit haben Olaf Scholz, Christian Lindner und Vize-Kanzler Robert Habeck von den Grünen Haushaltslöcher gestopft.
Ich habe diese Streichung immer als einen politischen Fehler kritisiert. Die Ampel hat – als Reaktion auf ihren eigenen Fehler – die steuerliche Förderung von Dienstwagen stärker in den Blick genommen. Das ist richtig. Es braucht aber auch Anreize für private Käufer.
Das Gespräch führte Tobias Peter.