Weissacher Bürger möchten Flächenverbrauch stoppen
Um den ländlichen Charakter von Weissach im Tal zu erhalten, wendet sich eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern gegen die weitere Versiegelung von Flächen und Ausweisung von neuem Bauland. Die Gruppe nennt sich Offener Grüner Treff und fragt: „Wie viel Bauland wollen wir?“

© Alexander Becher
Weissach ist stark von Bauplatzverkäufen abhängig. Auch 2019 gelang der Haushaltsausgleich nur dank der Grundstückserlöse im Baugebiet Fuchsklinge. Im März 2019 begannen die Erschließungsarbeiten. Das Foto ist ein knappes Jahr später entstanden. Archivfoto: Alexander Becher
Von Melanie Maier
Weissach im Tal. Eine Gemeinderatssitzung ist der Grund dafür, dass sich eine Gruppe Weissacher Bürgerinnen und Bürger im vergangenen Jahr zum Offenen Grünen Treff zusammengeschlossen hat. In einer seiner letzten Sitzungen als Bürgermeister wollte Ian Schölzel, der seit Mitte März 2022 Erster Bürgermeister in Waiblingen ist, mögliche Zukunftsperspektiven für Weissach im Tal aufzeigen. Am 3. Februar 2022 hatte die Verwaltung deshalb vor, über potenzielle Gewerbe- und Wohnbauflächen mit den Rätinnen und Räten zu sprechen. Denn die Gemeinde ist nach wie vor stark von Grundstückserlösen abhängig, die den Haushalt seit Jahren stabilisieren.
„In der Sitzung sind mehr als 20 Hektar Baulandpotenziale vorgestellt worden – das entspricht fast 30 Fußballfeldern“, sagt Reinhard Knüdeler, der ehemalige Vorstand der Energiegemeinschaft Weissacher Tal, der den Offenen Grünen Treff mitgegründet hat. „Es hieß zwar, dass erst mal nur darüber diskutiert werden soll – aber wie schnell es dann auf einmal doch gehen kann, haben wir Ende des Jahres ja gesehen.“ Damit bezieht sich Knüdeler auf die beiden Bebauungspläne, die Schölzels Nachfolger Daniel Bogner im Dezember mit dem Gemeinderat aufgestellt hat: einmal für den Bereich „Ebene“, eine 2,8 Hektar große Fläche am Rand von Unterweissach, die sich an die Sandäcker anschließt. Und einmal für das Areal „Brüdenwiesen Nord“, das unterhalb des Alten- und Pflegeheims, ebenfalls am Rand von Unterweissach, liegt.
Die Sache mit dem Paragrafen 13b
Beide Bebauungspläne sind mithilfe des Paragrafen 13b des Baugesetzbuchs aufgestellt worden, der bis Ende 2022 ein beschleunigtes Verfahren ermöglichte. Schon in der Sitzung am 8. Dezember, in der der Bebauungsplan „Ebene“ aufgestellt wurde, forderte Knüdeler die Verwaltung auf, zu prüfen, ob man den Paragrafen in dem Fall überhaupt anwenden könne. Der 2021 in Kraft getretene Paragraf 13b habe seinen Ursprung in der Wohnungsnot, gegen die die Große Koalition damals angehen wollte, führte er in der Sitzung aus. „Ich habe Zweifel, ob wir in Weissach Wohnungsnot haben“, verdeutlichte er (wir berichteten).
Bereits nach der Sitzung im Februar 2022 habe es einen Kreis von Leuten gegeben, denen die Entwicklung Sorgen bereitete, berichtet Knüdeler. Zu den Gründungsmitgliedern des Offenen Grünen Treffs, wie sich die Gruppe nun seit Oktober nennt, gehören neben Reinhard Knüdeler selbst und seiner Frau Claudia Gollor-Knüdeler unter anderem Ingrid Teufel, Peter Haußmann, Dorothee Knaupp, Margrit Schatz, Alexander Ludwig, Sandra Pötzl sowie Manuela und Volker Genthner.
Gut besuchtes informelles Treffen
Sie luden im April zu einem informellen Treffen im Unterweissacher Tälesbräu ein, um zu schauen, ob Interesse an dem Thema besteht. Rund 20 Personen aus fast allen Weissacher Ortsteilen kamen zusammen. „Viele waren hochalarmiert“, so Knüdeler. Die Anwesenden beschlossen, sich gegen den weiteren Flächenverbrauch zu wenden und dafür zu werben, den hohen Gebäudebestand aus der Vergangenheit in den Ortskernen nicht verkommen zu lassen. Ihnen ist es wichtig, den ländlichen Charakter der Gemeinde Weissach im Tal zu erhalten.
Es folgten ein Treffen mit Bürgermeister Bogner Anfang Juli und ein weiteres mit dem Grünen-Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich im September. „Von ihm wurden wir mit offenen Armen empfangen“, sagt Knüdeler. Offener Grüner Treff nannte sich die Gruppe deshalb, weil sie sich zwar an die Grünen anlehnt, aber niemanden aus der Initiative ausschließen möchte. „Wir stehen für alle offen, die Interesse haben“, betont Knüdeler.
Großen Zulauf bekam ein Vortrag zum Thema Baulandverbrauch des Geografen Stefan Flaig im Unterweissacher Bürgerhaus Ende Januar, den die Gruppe organisiert hatte. Die Veranstaltung sollte das Thema einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen, erklärt Knüdeler. „Wir waren total überrascht, dass mehr als 120 Leute kamen. Wir hatten mit ungefähr 70 gerechnet.“
Viele Planungen gehen am Bedarf vorbei
An dem Abend erläuterte Stefan Flaig von dem Stuttgart Beratungsunternehmen Ökokonsult, warum die Wohnungsnot nicht mit Neubauten gestillt werden könne. „Das ist, als würde man den Spitzensteuersatz senken, um Geringverdiener zu entlasten“, verglich Flaig. In allen Gemeinden, führte er aus, werde eigentlich am Bedarf vorbeigeplant. Das große Problem dahinter sei der demografische Wandel. Die sogenannte Altersremanenz, also das Phänomen, dass Menschen auch im Alter in ihren großen Einfamilienhäusern wohnen bleiben, führe statistisch gesehen dazu, dass immer mehr Wohnraum benötigt werde. Sinnvoller wäre es, meinte er, Angebote zu schaffen, die dem Bedarf entsprechen. Also zum Beispiel mehr Geld in den Bau seniorenfreundlicher Wohnungen mit barrierefreier Dusche in Zentrumsnähe zu investieren, sodass mehr Ein- oder Zweifamilienhäuser mit Garten wieder für junge Familien zur Verfügung stünden. „Der Wohnraumanspruch liegt in Baden-Württemberg bei 47 Quadratmetern pro Kopf“, erläuterte Flaig. „Und er steigt um etwa 0,3 Quadratmeter pro Jahr.“ In den 1950er-Jahren seien es noch rund 15 Quadratmeter pro Kopf gewesen.
Weiterer Infoabend am Donnerstag
In den kommenden Jahren würden zwar zwangsläufig viele Ein- und Zweifamilienhäuser leer werden, die aktuell von über 70-Jährigen bewohnt werden. Das führe aber nicht zwingend dazu, dass die Häuser wieder auf dem Wohnungsmarkt verfügbar werden. „Sie werden quasi unausweichlich Leerstand bekommen, den Sie nicht wiederbeleben können“, prognostizierte Flaig. Er stellte aber auch verschiedene Lösungsansätze vor. Eine erste Maßnahme wäre für Reinhard Knüdeler zum Beispiel, einen kompetenten Ansprechpartner in der Gemeindeverwaltung zu haben, der sich mit dem Thema Baurecht auskennt und der etwa eine Bestandsaufnahme der Gebäude unternehmen könnte, aus der sich wiederum eine Wohnungs- oder Hausvermittlung ergeben könnte. „Diese Stelle könnte auch interkommunal geschaffen werden“, regt Knüdeler an. „Denn das Problem betrifft die Tälesgemeinden ja gleichermaßen.“
Aktuell überlegt der Offene Grüne Treff, wie es weitergehen soll. Am Donnerstag ist ein Infoabend geplant (siehe unten), durch den die Gruppe auch weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewinnen möchte.
Treffen Der Offene Grüne Treff kommt am Donnerstag, 16. Februar, ab 20 Uhr im Dorfhaus in Bruch zusammen. Dabei stellen die Mitglieder sich und ihre Initiative noch einmal vor und überlegen gemeinsam mit den Anwesenden die nächsten Schritte. Die Veranstalterinnen und Veranstalter freuen sich über Interesse, der Eintritt ist kostenfrei.