„Flag“ in der Galerie Reinhard Hauff
Welche Flagge werden wir hissen?
Die Galerie Reinhard Hauff in Stuttgart beeindruckt immer wieder mit international orientierten Themenausstellungen. Lohnt sich die aktuelle Schau „Flag“?
Von Nikolai B. Forstbauer
Was ist nur mit den Sternen auf der doch leicht erkennbaren US-amerikanischen Flagge los? Sie tanzen buchstäblich aus der Reihe, machen sich auf und davon – heraus aus ihrer Ordnung, heraus aus ihrer Funktion. Das Ganze eher verschmitzt als trotzig, eher heiter denn von jedweder Wut erfüllt. Die Sterne tanzen nicht über weiß und rot, sondern über gelb und rot – den Farben nicht nur eines Landes, sondern eines Kontinents. „Alle Wege führen nach Afrika“ ist die Arbeit des in Guinea geborenen und in Paris lebenden Künstlers Nú Barreto betitelt, „Tous les chemins mènent en Afrique“.
Flaggen zu verändern, zu benutzen, Bild, Installation und Skulptur werden zu lassen, ist ein zentrales Thema der Kunst – und noch immer kann für die Gegenwartskunst Jasper Johns „Three Flags“ von 1958 als Initialzündung für eine immerwährende und anhaltende Auseinandersetzung mit Flaggen gelten. Darf dann Jasper Johns fehlen, wenn sich eine Ausstellung dem Thema Flagge nähert? Die Stuttgarter Galerie Reinhard Hauff löst die Unmöglichkeit, die Kunst-Ikone selbst präsentieren zu können, in Kunst über Kunst auf: Marc Brickmans Videoinstallation „May 1“ flimmert über den Köpfen des Publikums und umhüllt das Empire State Building mit Jasper Johns’ „Three Flags“.
Neue Zusammenhänge
Brickmann stellt damit eher nebenbei, aber doch unmissverständlich die entscheidende Frage: Welche Flagge werden wir hissen? Noch immer, dies macht diese mit Kunsthallenqualität hoch anspruchsvolle Schau deutlich, hat die Kunst die Kraft, diese einfache und so entscheidende Frage zu stellen. Und dies umso mehr, als manches Kunstwerk urplötzlich mit völlig neuen Zusammenhängen aufgeladen ist. So auch Josephine Mecksepers „German Flag No. 2“. Verwies das glitzernde Schwarz – rot – gold 2001 vielleicht noch auf einen Hort des Konsums, vibriert„German Flag No.2“ nun förmlich in den widerstreitenden Fragen und Energien zur Identität der Bundesrepublik Deutschland.
Die Kunst verdrängt das Hakenkreuz
Im intelligenten Spiel der Verweise wartet „Flag“ mit international Erstklassigem auf – und erinnert mit Matt Mullicans „Sign Flag 36“ x 72“ an den Flaggenwald des US-amerikanischen Konzeptkünstlers bei der Weltkunstschau Documenta IX, 1992 in Kassel. Die Gleichzeitigkeit von Schönheit und Schrecken ist mit diesem Werk auf eine abgründige Essenz verdichtet – die Farbsprache der Kunst verwandelt die Farbformation der Hakenkreuzfahne in einer Weise, die an die Verschiebung ins Absurde erinnert, die Charlie Chaplins „Der große Diktator“ erreicht.
Bitterer Impuls
Ganz selbstverständlich in die „Flag“ bestimmende erste Riege der internationalen Gegenwartskunst reiht sich der Stuttgarter Maler Frank Ahlgrimm mit seinen Bildern verschmutzter weißer olympische Flaggen ein. Der Gedanke „München 1972“ ist richtig. Bis heute prägt der mörderische Anschlag auf Sportlerinnen und Sportler Israels das Ende der Idee der „heiteren Spiele“ als Sinnbild eines umfassenden gesellschaftlichen Aufbruchs.
Finale am 31. Januar
Noch bis einschließlich diesen Freitag, 31. Januar, ist „Flag“ in der Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff in Stuttgart (Paulinenstraße 47, 13 bis 18 Uhr) zu sehen. Als wichtiger Beitrag nicht nur für den Kunststandort Stuttgart, sondern als Impuls, vielleicht gar – wie schon vor 55 Jahren in Rottweil – mit einem Fahnenfest internationaler Kunst Grenzen auf ihre Tauglichkeit hi zu überprüfen.