So lebt es sich vegan in Backnang
Am 1. November ist der Weltvegantag. Immer mehr Menschen in Deutschland wechseln zu einer pflanzlichen Ernährung. Doch wie sind die Angebote für Veganerinnen und Veganer in der Region? Wir haben nachgefragt.
Von Lorena Greppo
Backnang. Welche Produkte im Supermarkt vegan sind und welche nicht, ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Klar, das Vegan-Label hilft, doch es ist nicht verpflichtend. „Mein Tipp an Menschen, die vegan leben möchten, ist daher, bei allem auf die Inhaltsstoffe zu schauen“, sagt Tanja Seid. Die Backnangerin lebt seit mehr als drei Jahren vegan und weiß: Manche Zutaten tierischen Ursprungs sind unerwartet oder schwer zu erkennen – etwa wenn echtes Karmin (aus Schildläusen hergestellt) Getränke rot färbt. Dass sie sich rein pflanzlich ernährt und auch bei Kosmetik, Kleidung und Co. darauf achtet, keine tierischen Produkte zu kaufen, sei ein schleichender Prozess gewesen. „Ich mache es vor allem aus ethischen Gründen“, sagt Tanja Seid. Viel Fleisch habe sie auch zuvor nicht gegessen, aber manche Gerichte wie beispielsweise Spaghetti Bolognese habe sie zu Beginn vermisst. „Jetzt koch ich die Soße stattdessen mit roten Linsen“, sagt sie. Und: „Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder Fleisch essen werde.“
So geht es auch Andreas Holz. „Wenn man es nüchtern betrachtet, gibt es außer dem Geschmack kein Argument für Fleischkonsum.“ Auch er sieht Veganismus als ganzheitliches Lebenskonzept. Was er noch an Lederkleidung oder Ähnlichem hat, das wolle er auftragen. Neuanschaffungen hingegen sind vegan – etwa ein Gürtel aus Kork oder Kunstledersitze im neuen Auto. Wie und warum er Veganer geworden ist, kann Andreas Holz gar nicht mehr genau sagen. „Ich hatte es mir nicht bewusst vorgenommen.“ Er habe mit Menschen aus seinem Umfeld darüber gesprochen, warum sie auf Fleisch und Co. verzichten. Und ihre Argumentation habe Sinn gemacht. Und mit der Umstellung seiner Ernährung hat der Backnanger positive Effekte festgestellt. „Ich hatte Bluthochdruck, der ist jetzt viel besser. Meine Blutwerte sind so gut wie nie und das mit 53“, berichtet er.
In manchen Restaurants gibt es keinerlei vegane Speisen
Doch wie lebt es sich als Veganerin oder als Veganer im nördlichen Rems-Murr-Kreis, wo diese Ernährungsweise (noch) nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist? Der Einkauf, da sind sich beide einig, ist überhaupt kein Problem. „Ich bin froh, dass es mittlerweile viele und gute Ersatzprodukte gibt. Das ist fast schon ein Paradies“, sagt Tanja Seid. Und sie entdecke immer wieder neue Produkte. Ihr ist klar, dass viele der Ersatzprodukte nicht unbedingt gesund sind, „aber man ernährt sich ja nicht nur davon“. Was die Einschätzung der regionalen Gastronomie angeht, sind Tanja Seid und Andreas Holz verschiedener Auffassung. „Da ist es nicht so einfach“, so Tanja Seids Sicht. Ein rein veganes Restaurant gibt es in Kaisersbach-Ebni, nicht aber in Backnang. Nur wenige Restaurants haben hier eine Auswahl veganer Gerichte auf der Speisekarte – vor allem asiatische und mediterrane Lokale. In vielen schwäbischen Wirtschaften sei es für sie katastrophal, da tun sich selbst Vegetarier schwer, etwas anderes als Käsespätzle zu finden. „Ich bin öfters auswärts essen, da bin ich manchmal inkonsequent und esse vegetarisch.“
Andreas Holz hat da eine andere Herangehensweise. „Ich habe bewusst meine Ansprüche heruntergeschraubt“, erklärt er. Salat und Pommes könne er meistens bekommen oder man brät ihm dort Gemüse in der Pfanne. „Ich finde immer etwas Veganes und bin auch bisher immer zufrieden damit gewesen.“ Eine der wenigen Ausnahmen, die er macht, ist, wenn seine Mutter Linsen mit Spätzle macht. „Aber das kann ich dann auch verschmerzen.“
Was schon vorgekommen sei: dass er in Gespräche zu seiner Ernährungsweise verwickelt wurde. Und dabei bleibt der Ton nicht immer sachlich. In einem VfB-Forum hatte sich Andreas Holz jüngst höflich erkundigt, ob man im oder am Stadion vegan essen kann. Die Rückmeldung: zu einem Großteil spöttische, teilweise auch beleidigende Kommentare. „Manche Leute fühlen sich vom Wort ‚vegan‘ richtig getriggert“, hat er festgestellt. Viele fangen dann an, über Ernährung zu streiten.
Diskussionen kommen oft von der Gegenseite
„Dabei will ich diese Diskussionen gar nicht führen. Wenn ich im Café nach Hafermilch frage, reicht mir ein einfaches Ja oder Nein.“ Der 53-Jährige betont, dass er die Gespräche nicht etwa deshalb meidet, weil er den Argumenten der anderen Seite nichts entgegenzusetzen habe. Im Gegenteil: „Ich bin gut vorbereitet mit belegbaren Zahlen und Studien.“ Und falsche Behauptungen lasse er nicht stehen. Ähnlich geht es Tanja Seid. „Mein Mann wirft mir vor, ich würde Leute missionieren, aber wenn sie mich fragen, antworte ich eben.“
Und wie kommt es im eigenen Umfeld an, wenn man auf eine vegane Lebensweise umstellt? „Meine Frau war sehr nachsichtig, mein Sohn etwas weniger“, erinnert sich Andreas Holz. Inzwischen essen beide selbst kaum mehr Fleisch, auch trinken sie nun Hafermilch. Sie leben nicht vegan – das lasse sich aber gut vereinbaren. Ähnlich ist es bei Tanja Seid. Ihr Mann isst weiterhin Fleisch. „Wenn er etwas unbedingt möchte, dann muss er es aber selbst kochen oder auswärts essen“, sagt sie. Denn bei ihr komme kein totes Tier in den Kochtopf.
Kochbücher, Blogs und Apps erleichtern den Umstieg
Bei der Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung haben beide auf Hilfsmittel zurückgegriffen – allem voran Kochbücher. Zudem gibt es verschiedene Blogs, Youtube-Tutorials und Rezeptseiten. In der Facebook-Gruppe „Backnang Vegan“ tauschen sich beide mit Gleichgesinnten in der Region aus. Tanja Seid empfiehlt beispielsweise die Kochbücher von Ilja Lauber, auch zu finden unter „Vegan Takeover“. „Das ist etwas für Leute, die wenig Zeit haben, aber trotzdem gesund kochen wollen“, sagt sie. Damit räumt sie auch gleich mit dem Vorurteil auf, dass veganes Kochen kompliziert ist. Andreas Holz hat sich inzwischen einen Thermomix zugelegt. In der App zum Gerät gibt es viele vegane Rezepte, weiß er. Im Alltag nutzt er zudem die App „Daily Dozen“ (tägliches Dutzend). Dort finden sich Checklisten von Inhaltsstoffen und Lebensmittelgruppen wie etwa Hülsenfrüchte, die man täglich konsumieren sollte. „Die hakt man ab und hat so den Überblick“, sagt er.
Trotzdem raten beide Anfängern in Sachen Veganismus dazu, sich nicht zu überfordern und nachsichtig mit sich selbst sein. „Es ist besser, nicht perfekt vegan zu leben, als gar nichts zu ändern. Ausnahmen sind kein Beinbruch“, macht Tanja Seid Mut.
Inhalte Veganismus ist eine Ernährungs- und Lebensweise, bei der auf Produkte tierischen Ursprungs verzichtet wird. Am bekanntesten ist Veganismus als Ernährungsform. Hier wird, anders als bei Vegetarismus, neben Fleisch und Fisch auch auf Tierprodukte wie Milch und Eier verzichtet. Viele Veganerinnen und Veganer meiden darüber hinaus auch andere Tierprodukte – etwa in der Kosmetik oder der Kleidung – und lehnen die Ausbeutung von Tieren etwa für Tierversuche oder in Zoos ab.
Entwicklung Immer mehr Menschen in Deutschland leben vegetarisch oder vegan. Das zeigt der Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem Jahr 2021. Demnach verzichten mehr Menschen teilweise oder ganz auf Lebensmittel vom Tier. Der Anteil an Befragten, die sich vegetarisch ernähren, ist gegenüber dem Vorjahr von fünf auf zehn Prozent, der Anteil der Veganerinnen und Veganer von einem auf zwei Prozent gestiegen. Tendenziell leben eher jüngere Menschen vegan, ebenso wie Veganismus in Großstädten verbreiteter ist als auf dem Land.
Aktionstag Erstmals am 1. November 1994 –zum 50-Jahr-Jubiläum der englischen Vegan Society – wurde der internationale Aktionstag „Weltvegantag“ gefeiert. Im Vordergrund steht an diesem Tag vor allem die Aufklärungsarbeit: Menschen, die bisher noch keinen oder nur wenig Zugang zur veganen Lebensweise haben, sollen zum Nach- und Umdenken gebracht werden.