Lorek zur Lage in Flüchtlingsheimen: „Wir sind am Limit“
dpa/lsw Stuttgart. Es wird eng in den Flüchtlingsheimen. Die Zahl der Zuwanderer steigt - gleichzeitig fehlt Platz wegen der Coronakrise und die Infektionszahlen machen Sorgen. Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek schlägt Alarm. Kritik kommt dagegen von den Flüchtlingshilfen.
Die Corona-Krise und ansteigende Zugangszahlen verschärfen die Lage in den Flüchtlingsunterkünften im Land. „Wir sind am Limit“, sagte der neue Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Wegen Ansteckungsgefahren könne man in den Erstaufnahme-Einrichtungen nicht alle Plätze belegen. „Wir gehen im Moment davon aus, dass uns lediglich rund 40 bis 50 Prozent der Plätze zur Verfügung stehen.“
Eigentlich will das Land 10 400 Plätze anbieten - dann hätte man das „atmende System“, das man brauche, und einen Puffer, sagt Lorek. „Aktuell stehen aber bei der Regelbelegung nur 6400 Plätze zur Verfügung - coronabedingt davon dann auch nur weniger als die Hälfte.“ Deshalb müssten die Ankommenden schneller umverteilt werden in die vorläufige Unterbringung in den Kommunen.
Die Zahl der Schutzsuchenden in Baden-Württemberg ist zuletzt wieder gestiegen. Im ersten Halbjahr 2021 stellten 4689 Menschen einen Antrag auf internationalen Schutz, wie das Migrationsministerium vor kurzem mitteilte. Das sei ein spürbarer Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, als in den ersten sechs Monaten 2953 Menschen in den Südwesten kamen. Fast die Hälfte der Schutzsuchenden im Südwesten kam in der ersten Jahreshälfte aus Syrien, rund 500 aus Afghanistan. „Wir haben gestiegene Zugangszahlen, sind jetzt etwa auf dem Level von 2019, und die Zahlen könnten weiter steigen“, sagte Lorek.
Der neue Staatssekretär verweist auf den Druck durch die sogenannte Sekundärmigration, besonders aus Griechenland. Die Zahl der Flüchtlinge aus Griechenland im Südwesten sei von 1350 Anfang Mai auf 2550 Ende Juni gestiegen. Sehr viele Menschen würden das Asylverfahren dort schnell durchlaufen, dann könnten sie sich mit einem anerkannten Schutzstatus 90 Tage in der EU bewegen. „Sie setzen sich in Griechenland in ein Flugzeug und kommen bei uns an, ganz legal“, sagte Lorek. „Und wir können sie nicht nach Griechenland zurückführen, weil mit ihnen dort nach Feststellungen der Gerichte nicht menschenwürdig umgegangen wird.“
Außerdem fliege Weißrussland mittlerweile gezielt Menschen etwa aus dem Irak ein und bringe diese an die litauische Landesgrenze. „Auch hier wird der Migrationsdruck auf Deutschland oder auf Mitteleuropa mit Sicherheit massiv steigen“, sagte Lorek. „Da werden Menschen von einem Machthaber gezielt als Waffe und als Rache für die EU-Sanktionen eingesetzt.“
Neben dem Platzmangel in den Unterkünften und den steigenden Flüchtlingszahlen ist die Impfung der Geflüchteten nach Schilderung Loreks eine große Herausforderung. „Bislang waren die Menschen, die zu uns kamen, nachvollziehbar zum größten Teil nicht geimpft“, sagte er. Stand 4. August seien 1181 Infektionen bei 20 193 Tests registriert worden. 36 Prozent der Infektionen seien in den Erstaufnahmeeinrichtungen durch Neuzugänge aufgetreten. „Die Bereitschaft zur Impfung hält sich in Grenzen“, sagte Lorek. Es gebe viele Impfmythen, die auch von Menschen, die zu uns kämen, geglaubt würden. Man versuche, die Impfbereitschaft zu steigern - etwa durch das Verteilen von Merkblättern in der jeweiligen Landessprache und gezielte Ansprachen oder Info-Filme.
Auch das grün geführte Gesundheitsministerium berichtet von Vorbehalten gegenüber Impfungen. Dennoch gelinge es vor Ort, diese etwa mit Hilfe von Sozialarbeitern teilweise abzubauen. Den Asyl- und Flüchtlingsunterkünften würden regelmäßige Impf-Angebote gemacht, unter anderem durch mobile Impfteams, berichtet das Gesundheitsministerium. Eine landesweite Impfkampagne speziell für Geflüchtete gebe es bisher nicht. Das Ministerium konnte nicht sagen, wie viele Geflüchtete geimpft sind, da der Flüchtlingsstatus bei Impfungen von den Statistiken nicht erfasst werde.
Die lokalen Flüchtlingshilfen haben da andere Erfahrungen gemacht: „Die Menschen in den Unterbringungen sind misstrauisch, weil sie auf ihrem langen Weg schlechte Erfahrungen gemacht haben mit den Behörden und Regierungen“, sagt Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Sie seien zudem nicht weniger skeptisch als deutsche Impfgegner, viele hätten auch keinen Zugang zu Informationen und vertrauten daher auf Mundpropaganda. „Deshalb brauchen wir dringend eine bessere Beratung durch muttersprachliche Vertrauenspersonen oder Sozialarbeiter“, sagt er.
Auch die hohen Ansteckungszahlen überraschen den Flüchtlingsrat als Dachverband der lokalen Hilfen nicht. „Das ist nicht verwunderlich in so einer Unterkunft“ sagt McGinley. „Das politisch gewollte System der Massenunterbringung ist aus Infektionsschutzgründen nicht menschenwürdig.“ Die Geflüchteten müssten schneller als bislang dezentral untergebracht werden, dazu mangele es aber nach wie vor und trotz großen Leerstands an verfügbarem Wohnraum, kritisierte er.
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