Alice Weidel auf AfD-Parteitag in Riesa
Wenn das Radikale schleichend normal wird
Als frisch gekürte Kanzlerkandidatin der AfD setzte Alice Weidel auf dem Parteitag in Riesa bei ihrer Rede auf einen besonders scharfen Tonfall. Sie arbeitet daran, ihre Wähler ans Extreme zu gewöhnen, meint Hauptstadtkorrespondentin Rebekka Wiese.
Von Rebekka Wiese
Anschlussfähig oder radikal? Lange sah es aus, als müsste die AfD sich zwischen diesen Richtungen entscheiden. In der in Teilen rechtsextremen und verschwörungsideologischen Partei wurden viele Kämpfe darum gefochten, wie man nun auftreten darf, ohne abschreckend zu wirken oder den Verfassungsschutz fürchten zu müssen.
Auf ihrem Parteitag in Riesa konnte man nun beobachten, dass die Partei einen Weg gefunden hat, bei dem sie sich nicht entscheiden muss: Sie hat aus dem Dilemma eine Strategie gemacht. Es geht darum, sich selbst, ihre Wähler, dieses Land ans Extreme zu gewöhnen und Radikalität anschlussfähig zu machen.
„Schande“, „niederreißen“, „rot lackierte Nazis“
Bei der Rede, die Weidel in Riesa hielt, musste die Bundesvorsitzende ihre Partei nicht mehr von sich überzeugen. Zur Kanzlerkandidatin der AfD hatten die Delegierten sie schon vorher gekürt. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, welche scharfe Rhetorik sie anschlug. Sie setzte einen noch krasseren Tonfall, als man es von ihr kennt. „Schande“, „niederreißen“, „rot lackierte Nazis“: Selbst für Weidel waren das auffallend viele brachiale Begriffe.
Besonders bemerkenswert war aber, dass Weidel über „Remigration“ sprach. Sie forderte „Rückführungen im großen Stil“ und fügte dann hinzu: „Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration!“ Der Begriff, für den sich die Parteichefin da stark machte, stammt aus Kreisen der Neuen Rechten. Dort wird er verwendet, um die Ausweisung all jener zu bezeichnen, die nach Auffassung dieser Ideologie nicht deutsch sind. Das kann auch Staatsbürger meinen.
Begründete Aufregung
Vor ziemlich genau einem Jahr noch sorgte der Begriff für bundesweite Proteste. Damals berichtete das Recherche-Netzwerk „Correctiv“ über ein Treffen rechtsradikaler Kreise in Potsdam, bei dem über Pläne für „Remigration“ diskutiert wurde. Die AfD tat sich zunächst schwer damit, sich zu dem Begriff zu positionieren. Es dauerte mehr als eine Woche, bis die Bundestagsfraktion ein Papier verschickte, in dem sie klarstellte, dass man mit „Remigration“ vor allem Abschiebungen meine.
Doch wenn Weidel den Begriff nun auf großer Bühne setzt, hat das einen Grund. Sie verfolgt eine Strategie, die Rechtsexperten in einem Gutachten zur AfD mal als „Plausible Deniability“ bezeichnet haben – also als „plausible Bestreitbarkeit“. Politiker verwenden dabei bewusst Formulierungen, die mehrdeutig und vielseitig interpretierbar sind – sehr radikal oder vollkommen legitim. „Remigration“ impliziert radikalen Anhängern der AfD, dass die Partei zu allem bereit ist. Und ist gleichzeitig vage genug, um empört abzustreiten, dass man Illegitimes vorhabe – und damit auch bürgerliche Kreise zu erreichen.
Eine Parole, die schnell missverstanden werden kann
Noch ein Beispiel: Auf dem Parteitag verteilte die AfD herzförmige Plakate mit dem Spruch: „Alice für Deutschland“. Das ist eine an sich legitime Aufschrift. Aber es ist eben kein Zufall, dass sie sehr nah an der verbotenen SA-Parole „Alles für Deutschland“ dran ist – besonders, wenn man sie laut ausspricht, oft wiederholt, wie es auf Wahlkampfveranstaltungen eben passiert. Ob man „Alice“ oder „alles“ ruft, das wird dann schwer unterscheidbar.
Damit umzugehen, ist herausfordernd. Für Medien, die bei der Berichterstattung sehr genau darauf achten müssen, was gesagt wurde. Für andere Parteien, die leider zu oft den Fehler machen, rhetorisch aufzurüsten, um neben der AfD nicht unterzugehen und damit letztlich auch dazu beitragen, dass sich der Tonfall verschärft. Und für Wählerinnen und Wähler, die in diesen Zeiten ganz besonders genau hinhören und noch mehr mitdenken müssen.