Wenn der Postmann auf sich warten lässt

Die Leute von nebenan (8): Familie Schunter wohnt auf einem Aussiedlerhof ganz ohne direkte Nachbarn

Wie funktioniert eine Nachbarschaft, wenn die nächste Wohnbebauung gut 300 Meter entfernt ist? Die Familie Schunter aus Burgstetten lebt auf einem Aussiedlerhof. Nachrichten aus dem Ort brauchen länger, bis sie zu ihnen durchgedrungen sind, erzählen die Eheleute. Die Abgeschiedenheit bringt aber auch Vorteile mit sich.

Wenn der Postmann auf sich warten lässt

© Jörg Fiedler

Von Lorena Greppo

BURGSTETTEN. Andere suchen sich für ihren Sonntagsspaziergang eine schöne Route in der Natur aus. Nicht so die Schunters. „Uns zieht es in den Ort“, sagt Andreas Schunter. „Wir schauen, was es Neues gibt, wo gebaut wird“, ergänzt seine Frau Regina. Denn nicht jede Neuigkeit aus Burgstetten erreicht sogleich den Aussiedlerhof der Familie. Etwa 300 Meter trennen den Hof der Schunters von der nächsten Wohnbebauung – eigentlich gar nicht viel. „Es passiert aber schon mal, dass ich eine Woche lang außer der Familie niemanden zu Gesicht bekomme“, erzählt Andreas Schunter. Dabei beschreibt er sich selbst als kommunikativen Menschen, der gerne unter Leuten ist. Manchmal fehle ihm daher eine richtige Nachbarschaft. Gleichzeitig weiß der Landwirt aber auch: Das wäre überhaupt nur denkbar, wenn eventuelle Nachbarn auch in der Landwirtschaft tätig sind. „Wenn wir morgens um sechs schon anfangen zu arbeiten, würde das andere sonst stören.“

Das Leben als Aussiedler hat für die Schunters, bei denen drei Generationen im Haus wohnen, aber auch sehr schöne Seiten. Während man in den Ortschaften immer weniger Insekten und Vögel zu Gesicht bekommt, leben sie viel naturnäher. Und die Abgeschiedenheit sei ideal für lange Sommerabende im Freien, ohne dass sich die Nachbarn über die Lautstärke beschweren. „Grillpartys finden grundsätzlich bei uns statt“, sagt Regina Schunter. Sie sei daher inzwischen auch schon richtig gut ausgestattet mit Geschirr, Besteck, einem extra Kühlschrank und sogar einem Beamer, mit dem man Filme an die Hauswand projizieren kann. Weil quasi rund um die Uhr jemand zu Hause ist, sei es auch kein Problem, wenn Freunde spontan vorbeikommen. Das gehe andersherum nicht. „Da müssen wir schon gezielt etwas ausmachen“, sagt Regina Schunter. Ihr Mann erklärt das näher: „Als Aussiedler überlegt man sich, was man an welchem Tag will. Wenn ich Kommunikation brauche, muss ich danach suchen.“

Den Schunters kommt es daher entgegen, dass es im Ort relativ häufig Festivitäten gibt. „Ich koche sonntags kaum noch, weil wir für gewöhnlich auf einem Fest sind und dort essen“, sagt die Frau des Hauses. Beide halten das Vereinsleben hoch, gehen gerne zu Treffen. So halten sie sich auch über den neusten Klatsch auf dem Laufenden. „Das klassische Fleckageschwätz kriegen wir in dem Maße nicht mit“, sagt Regina Schunter. Oder wenn, habe sich manches schon relativiert oder verlaufen, bis es auf dem Hof ankommt. Ähnlich ist es mit der Post. „Die Fahrer der Paketdienste wollen nicht immer rausfahren“, sagt Andreas Schunter. Dann heiße es, der Empfänger sei nicht angetroffen worden oder Ähnliches. Da warte man manchmal 14 Tage auf die Ankunft der Sendung. Die Schunters nehmen es gelassen. „Man ist es gewöhnt und stellt sich darauf ein.“ Immerhin habe es auch den Vorteil, dass nervige Wurfsendungen ausbleiben.

Die schlechte Anbindung erforderte Fahrdienste für die Kinder

Für die beiden Söhne des Paars war das Leben in der Abgeschiedenheit in der Kindheit und Jugend nicht immer einfach. „So oft sie irgendwo hinmussten, haben wir sie mit dem Auto gefahren“, sagt Regina Schunter. Und sei es nur zur nächsten Bushaltestelle. „Wenn das Wetter schlecht ist, ist der Feldweg dreckig“, bei Schnee hätten die Kinder sogar auch auf der Straße gehen müssen, erklärt die zweifache Mutter. Erst als die Kinder älter waren, konnten sie allein mit dem Fahrrad fahren und waren so unabhängiger. „Die Fahrerei war manchmal ein ziemliches Gschieß“, erinnern sich die Schunters. Denn auf Abruf als Chauffeur bereitzustehen, gehe eben auch nicht, wenn man auf dem Hof zu tun hat.

Weil die Söhne auch schon früh im landwirtschaftlichen Betrieb eingebunden wurden, habe sie das von den Klassenkameraden etwas abgekapselt. „Während andere ins Freibad sind, haben die Jungs auf dem Hof geholfen“, sagt Regina Schunter. Da habe es auch ab und zu Auseinandersetzungen gegeben. „Das Thema hatte sich aber erledigt, als sie den Schlepperführerschein hatten“, erzählt sie lachend. Das fanden die anderen Kinder so cool, dass sie zu den Schunters kamen, um auf den landwirtschaftlichen Maschinen mitzufahren.

Die Söhne der Schunters sind inzwischen erwachsen, wohnen aber noch im Haus der Eltern. Der ältere von beiden hat einen Beruf in der Metallbranche ergriffen. Er baue gerade ein Haus – im Backnanger Stiftsgrundhof, also auch auf dem Land. Der Jüngere möchte den elterlichen Hof weiterführen. Dem etwas abgeschiedenen Leben haben sie also nicht abgeschworen.

Dass aber ein wenig Abwechslung manchmal nicht schadet, erlebt Regina Schunter regelmäßig. Die gelernte Krankenschwester hat nämlich vor etwa anderthalb Jahren angefangen, wieder in Teilzeit im Krankenhaus zu arbeiten. Der Mix aus ruhigem Landleben und äußerst umtriebigem Arbeiten in der Stroke-Unit des Rems-Murr-Klinikums gefällt ihr. „Der Wechsel gelingt mir gut. Wenn es im Klinikum mal wieder sehr stressig war, bin ich froh, wenn ich bei unseren Säuen meine Ruhe habe. Ich bin mit Herzblut Bäuerin.“

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Erstellt:
2. März 2019, 06:00 Uhr

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