Europäischer Erfinderpreis

Erfinderin bringt Maschinen das Sehen bei

Die deutsche Informatikerin Cordelia Schmid ist zum Europäischen Erfinderpreis nominiert. Seit 1993 entwickelt sie Algorithmen, die KI autark erkennen lässt, was ein Bild zeigt.

Erfinderin Cordelia Schmid

© Europäisches Patentamt

Erfinderin Cordelia Schmid

Von Thomas Magenheim

Wenn ein modernes, mit Sensoren bestücktes Auto ohne Zutun des Fahrers vor einem Fußgänger bremst, ist das zum Großteil der 56-jährigen Mainzerin zu verdanken. „Als ich angefangen habe, war es für Computer schwierig, in einem Bild einen Würfel als solchen zu erkennen“, sagt Cordelia Schmid.

Das war 1993. Seitdem forscht sie daran, Maschinen derart zu Künstlicher Intelligenz zu verhelfen, dass sie selbstständig und ohne menschliche Hilfe erkennen, was auf einem Bild dargestellt ist. „Man kann das auch auf dreidimensionales Sehen ausweiten“, sagt die Informatikerin zu den von ihr und ihren Teams entwickelten Algorithmen. Dafür wurde sie 2024 zum Europäischen Erfinderpreis nominiert, den das Europäische Patentamt im Juli vergibt.

Der Preis nimmt für sich in Anspruch, Forscher auszuzeichnen, die Lösungen für die größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben und durch ihre Erfindungen tiefgreifende gesellschaftliche Auswirkungen auslösen. „Unsere Algorithmen können in vielen Bereichen von autonom fahrenden Autos, über Serviceroboter bis zur Medizintechnik Verbesserungen für viele Menschen erreichen“, sagt Schmid.

Pionierin des maschinellen Sehens

Zugleich ist die Pionierin des maschinellen Sehens überzeugt, dass man mit den Anwendungen, die ihre Algorithmen erlauben, mehr oder weniger noch am Anfang steht. Darüber, wohin das alles noch führen kann und wie schnell, will sie aber nicht viel spekulieren. Nur eine Perspektive für Blinde, maschinell sehend durch die Welt zu navigieren, spricht sie an.

Wie schwierig Voraussagen sind, erläutert die Forscherin am autonomen Fahren im Endstadium ganz ohne menschlichen Fahrer. Ein Auto benötigt dann nicht einmal mehr ein Lenkrad, weil algorithmusbasierte KI jede Fahrsituation sicher beherrscht. „Dazu braucht es in Echtzeit 100 Prozent Zuverlässigkeit“, erklärt Schmid. Zwar machten menschliche Fahrer Fehler. Einem selbstfahrenden Auto würden die aber nicht zugestanden. An diesen 100 Prozent sei man schon nahe dran, aber eben noch nicht ganz.

Wann es so weit sei, werde in Forscherkreisen unterschiedlich beurteilt. Zwei Jahre sagen die einen, 30 Jahre andere. „Wir müssen besser verstehen, warum ein Algorithmus mal was Falsches sagt“, erklärt sie. Diese Frage sei seriös nicht zu beantworten. Deshalb ist die Pionierin mit Prognosen in ihrem Metier so zurückhaltend.

Jahrzehntelanges Forschen am selben Thema hat sie demütig gemacht. Einer Maschine das Sehen auf menschlichem Niveau beizubringen, ist ein Großteil dessen, was heute als Künstliche Intelligenz verstanden wird und Wirtschaft gleichermaßen wie Gesellschaft oder Philosophie beschäftigt.

Von Karlsruhe nach Grenoble und Oxford

Daran geforscht hat die Mainzerin, die als Kind Pilotin werden wollte, große Teile ihres Berufslebens jenseits deutscher Grenzen. Vom Karlsruher Institut für Technologie führte der Weg nach ihrem Masterabschluss zur Promotion ins französische Grenoble ans Informatikinstitut INP. Dann zog sie zur Forschung weiter ins britische Oxford Robotics Institute. „In Deutschland war Computerforschung damals nicht so verbreitet“, begründet Schmid diesen Schritt.

Heute ist sie die Hälfte ihrer Arbeitszeit Forschungsdirektorin am Pariser Informatikinstitut Inria. Die andere Hälfte forscht die Frau, die KI das Sehen lehrt, für den US-Konzern Google, um akademische Theorie und industrielle Praxis zu verschmelzen. So schließt sich die Lücke zwischen theoretischer KI-Forschung und deren praktischer Anwendung immer mehr.

Wenn man die Erfinderin fragt, welche Nation auf ihrem Gebiet heute führend sei, nennt sie spontan die USA. „Aber China holt auf“, sagt Schmid. Wo das Land in der KI-Forschung genau steht, weiß man auch in Wissenschaftskreisen nicht. Dass die Errungenschaft des maschinellen Sehens und Erkennens dort zu Überwachungszwecken missbraucht wird, bedauert die Forscherin. Bedenken, dass sich KI von sich aus einmal selbstständig macht und sich menschlichem Zugriff entwindet, teilt sie dagegen nicht. „Solche Ängste halte ich für unbegründet, aber wir brauchen natürlich Kontrollmechanismen und einen verantwortungsvollen Ansatz“, sagt Schmid ernst.

Sehende Autos oder Assistenzroboter

Ihr Gesicht hellt sich dann von einer Sekunde zur anderen auf, wenn sie über die fundamentalen Fortschritte spricht, die sehende Autos oder Assistenzroboter, Bilder erkennende Suchmaschinen oder Röntgenaufnahmen diagnostizierende Maschinen für jedermann mit sich bringen. „Verantwortungsvoll entwickelt, hat die KI das Potenzial, unsere Gesellschaft zu revolutionieren, auf die gleiche Weise, wie es die Dampfmaschine und der elektrische Strom getan haben“, sagt die Erfinderin.

Was ihr schon eher Kopfzerbrechen bereitet, ist der geringe Anteil an Erfinderinnen in Deutschland im Verhältnis zu männlichen Forscherkollegen oder die geringe Anzahl von Frauen in Mint-Studiengängen wie Informatik. „Das ist wohl auch gesellschaftlich bedingt“, schätzt Schmid. Kinderbetreuung für berufstätige Frauen sei jedenfalls in Frankreich weit weniger problematisch als in Deutschland. Als Mutter weiß die Forscherin, wovon sie spricht.

Auszeichnung für Innovationen

AuszeichnungDer Europäische Erfinderpreis, den das Europäische Patentamt jährlich vergibt, zählt zu den renommiertesten Auszeichnungen für Innovationen der Industrie, des Mittelstands und forschender Institutionen. Seine Jury besteht aus Erfindern, die selbst schon für den Preis nominiert waren. 2024 sitzt ihr mit Wolfgang Heckl der Chef des Deutschen Museums in München vor.

KategorienNominiert wurden zwölf Forscherteams und Einzelpersonen, die in vier Kategorien aufgeteilt sind. Ausgewählt wurden sie aus gut 550 Vorschlägen. Die vier Kategorien sind Industrie, kleine und mittelständische Unternehmen, Forschung sowie Erfinder aus Staaten, die nicht Teil der europäischen Patentorganisation sind, die das Europäische Patentamt trägt.

ForscherinDie deutsche Informatikerin Cordelia Schmid wurde im Bereich Forschung nominiert. Sie konkurriert mit einem Forscherteam aus Malta und dessen Lösung für nachhaltige Offshore-Energiespeicherung sowie einem französischen Team, das eine innovative Parkinson-Behandlung entwickelt hat. tmh

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Erstellt:
3. Juni 2024, 13:28 Uhr
Aktualisiert:
3. Juni 2024, 17:46 Uhr

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