Krebs-Screening, Hormonmessung und Co.

Wenn Self-Tracking zum Stressfaktor wird

Ist der Cortisolspiegel zu hoch? Könnte das Muttermal Hautkrebs sein? Sind die Tiefschlafphasen lang genug? Apps zum Self-Tracking und Hormontests für zuhause werden immer besser – und das macht sie problematisch. Psychologen warnen vor den Folgen, die deren Nutzung haben kann.

Fitnessarmbänder und Smartwatches überwachen die Körperfunktionen.

© imago//Jean Schwarz

Fitnessarmbänder und Smartwatches überwachen die Körperfunktionen.

Von Jörg Zittlau

Ausgelaugt, müde und unkonzentriert? Liegt es vielleicht am Stress? Kein Problem, das herauszufinden. Man bestellt sich einen Cortisol-Test aus dem Internet, füllt dann dessen Röhrchen mit etwas Speichel und schickt es in das Labor des Anbieters, wo die Probe auf Cortisol untersucht wird. Denn das Nebennierenhormon gilt als zuverlässiger Indikator für Stress. Ist der Cortisolspiegel hoch, sollte man sein Arbeitsleben entzerren, einen Yoga-Kurs buchen, oder gleich in den Urlaub gehen. Oder was auch immer. In jedem Falle weiß man aber durch den Hormontest, dass man etwas gegen den Stress tun sollte.

Wer sich Gedanken um seine nachlassende Männlichkeit macht, kann sich auf Testosteron checken lassen; und wer nachts nicht zur Ruhe kommt, auf Melatonin, und wer sich antriebsschwach und traurig fühlt, auf Serotonin und das Schilddrüsenhormon Thyroxin. Wenn Frauen nicht schwanger werden, können sie ihre Östrogenwerte abklopfen lassen.

Hormontests für zuhause sind im Trend. Denn sie sind einfach durchzuführen, man braucht dazu nur eine Blut-, Speichel- oder Urinprobe nehmen und sie einschicken. Dafür sind immer mehr Interessenten bereit, 50 oder – wenn gleich mehrere Substanzen gemessen werden sollten – mehr als 200 Euro zu berappen.

Experten warnen: die Selbsttests haben nur geringe Aussagekraft

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) warnt jedoch vor den Hormon-Selbsttests. Sie seien „nicht valide“, würden also nicht unbedingt eine wirkliche Aussage über das liefern, was von ihnen erwartet wird. Der Frankfurter Endokrinologe Alexander Mann bemängelt, dass die Patienten bei den Selbsttests in der Regel allein gelassen werden, sie also niemand dabei berät, wie sie ihre Tests bewerten sollen: „Dadurch haben sie im günstigsten Fall erstmal geringe oder keine, im schlimmsten Fall eine irreführende Aussagekraft.“ Der Mediziner kritisiert zudem, dass bei vielen kommerziellen Hormon-Selbsttests nicht nachverfolgt werden könne, welche Qualität die Tests und somit auch die Ergebnisse besäßen.

Bleibt festzuhalten, dass die Patienten im normalen ärztlichen Alltag auch oft mit ihren Testergebnissen allein gelassen werden. Denn sonst würden im Buchhandel nicht all die Ratgeber verkauft werden, in denen der Leser etwas über seine Laborwerte erfahren kann. Außerdem bieten einige Selbsttest-Anbieter mittlerweile eine – wenn auch in der Regel gesondert kostenpflichtige – Hotline an, auf der sich der Kunde über die Bedeutung seiner auffälligen Laborwerte erkundigen kann. Die Hormon-Selbsttests verstärken allerdings einen Trend, den nicht wenige Kritiker als Problem der Medizin sehen: Dass nämlich Laborwerte einseitig und vorschnell mit gesundheitlichen Problemen in Zusammenhang gebracht werden. So glauben derzeit viele Menschen, dass sie unter Hashimoto, einer Unterfunktion der Schilddrüse und einem entsprechenden Hormondefizit leiden würden. Der Grund: Sie fühlen sich müde und unkonzentriert, leiden möglicherweise auch unter Haarausfall und Übergewicht. Das könne zwar, wie Felix Beuschlein vom Universitätsspital Zürich erläutert, die Folge eines Thyroxinmangels sein. „Doch letztendlich sind es allesamt unspezifische Symptome, die auch bei vielen anderen Krankheiten auftreten.“ Da müsse man also diagnostisch mehr in die Tiefe gehen, warnt der Schweizer Endokrinologe.

Mit Sleep-Trackern können Anwender ihren Schlaf überwachen. Die etwa im Armband oder einer Matte integrierten Geräte können Herz- und Atemfrequenz, Schlafzyklen (Tief-, Leicht- und REM-Schlaf), Bewegungen sowie Geräusche (wie etwa Schnarchen) aufzeichnen und speichern. Ein daraus errechneter Index, der Sleep-Score, zeigt, wie der individuelle Schlaf im Vergleich zum Durchschnittswert ausfällt.

Experten warnen: Zahlen zeigen nur einen Bruchteil dessen, was in unserem Innern los ist

Insgesamt lassen die Self-Tracker technisch kaum noch Wünsche offen. Philosophen, Soziologen und Psychologen macht aber das Self-Tracking an sich große Sorgen. Denn es bleibt nicht ohne Folgen für unser Leben, wenn wir tagsüber die Zahl unserer Schritte und nachts die Länge unserer Tiefschlafphasen erfassen. Die Mediensoziologin Nicole Zillen spricht in diesem Zusammenhang von einer „Selbstverwissenschaftlichung“: Anstatt sich mit unseren Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen, sammeln wir Daten aus unserem Körper. Nach dem Muster: Gedanken und Gefühle können lügen, doch Zahlen nicht. Dass diese Zahlen aber letzten Endes nur ein Bruchteil von dem sind, was in unserem Innern los ist, wird gerne übersehen.

Benigna Gerisch von der Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin betont, dass es beim Self-Tracking nicht nur um Erkenntnisgewinn geht, sondern auch darum, in einer als schwankend empfundenen Welt etwas zu haben, was Gewissheit liefert: „Zählen, Messen und Vergleichen – das gibt praktische Orientierung und kann auf der psychischen Ebene für Halt und Stabilität sorgen.“ Doch wehe, wenn die Daten nicht wie erwünscht ausfallen: Dann ist Frust programmiert.

Exzessives Self-Tracking kann bis zur Zwangsstörung führen

Ganz zu schweigen davon, dass exzessives Self-Tracking in die Zwangsstörung münden kann, so wie man sie vom lähmenden Immer-wieder-Nachschauen kennt, ob das Auto oder die Wohnungstür abgeschlossen ist. Man will Sicherheit und bekommt am Ende das genaue Gegenteil davon: nämlich Ungewissheit und Verzweiflung. „Zugespitzt formuliert“, so Gerisch, „kann exzessives Self-Tracking genauso wie selbstverletzendes Verhalten, Drogenkonsum oder eine Essstörung den Versuch darstellen, unbewusste Ängste, innere Konflikte, Leere oder depressive Gefühle in den Griff zu bekommen“.

Apps sollen beim Erkennen von Hautkrebs helfen

HautkrebsAuch andere Methoden des Self-Trackings boomen, wie etwa Hautkrebs-Apps. Der Anwender schießt per Handykamera Bilder von seinen Muttermalen, Hautflecken und anderen Hautauffälligkeiten, um sie dann hochzuladen und – entweder von einem Arzt oder einer KI – diagnostizieren zu lassen.

ProblemeSchwierig ist die Vorauswahl: Denn die Apps können nur jene Hautstellen beurteilen, die von den Benutzern ausgewählt wurden. „Doch Hautkrebs tritt ja auch an schlecht sichtbaren Stellen auf, zum Beispiel am Rücken oder sogar an der Fußsohle“, warnt Gunnar Schwan, der im Dezember 2022 für die Stiftung Warentest 17 Hautscreening-Apps überprüft hat.

ErkennungDie Warentester fanden zudem keine App, die frei von Fehlern war. Insgesamt schlüpfte jeder siebte Hautkrebs durch das Erkennungsraster. Die arztbasierten Apps schnitten etwas besser ab als die KI-basierten Konkurrenten.

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Erstellt:
13. Dezember 2024, 17:06 Uhr

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