Anstellung beim Staat
Wertschätzung durch ein Pflegegehalt
Viele Erwerbstätige reduzieren ihre Arbeitszeit, um sich um pflegebedürftige Familienmitgliedern zu kümmern – mit finanziellen Einbußen und Risiken. Die SPD in Baden-Württemberg fordert daher, dass pflegende Angehörige künftig vom Land angestellt werden.
Von Bettina Hartmann
Gerade mal 48 war Alexandra D. (Name geändert), als ihr Mann zum Pflegefall wurde. „Alzheimer im jüngeren Lebensalter“ lautete die Diagnose. Ihn ins Heim geben? Das kam für sie nicht in Frage. Stattdessen pflegt sie ihren Mann seit Jahren daheim, hat ihren Job aufgegeben. Zum Glück hatte das Paar mit einer Pflegezusatzversicherung vorgesorgt. Das Geld ist trotzdem knapp. Wie sie im Alter mit einer knappen Rente über die Runden kommen soll, mag sich Alexandra D. gar nicht vorstellen.
Meist sind es Frauen, die die Hauptlast tragen
So wie ihr geht es vielen pflegenden Angehörigen in Deutschland. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch bekannt gab, haben 24 Prozent der rund 12,6 Millionen Erwerbstätigen in Teilzeit ihre Stundenzahl verringert, um sich um ein Familienmitglied zu kümmern. In erster Linie sind es Frauen, die noch immer die Hauptlast tragen und dadurch teils von Armut bedroht sind. Ein untragbarer Zustand, findet die baden-württembergische SPD-Landtagsfraktion – und fordert ein Gehalt für pflegende Angehörige im erwerbsfähigen Alter.
„Wir setzen uns für ein Anstellungsmodell in der Zuständigkeit des Landes ein. So sind die Empfänger des Pflegegehalts auch sozialversichert“, sagte Florian Wahl, SPD-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Integration des Landtags unserer Zeitung.
Ob der pflegebedürftige Vater, die Schwiegermutter, das Kind oder der Enkel: In einem Positionspapier, das am Mittwoch verabschiedet wurde und unserer Redaktion vorliegt, stellt die Partei ein umfangreiches Konzept vor, mit dem häusliche Pflege in der Familie künftig erleichtert werden könnte. „Dieses Angebot kommt einer Revolution gleich und könnte Vorreiter für ganz Deutschland sein“, ist sich Wahl sicher. Als Vorbild dient das österreichische Burgenland. Dort ermöglicht es die sozialdemokratische Regierung Angehörigen bereits seit 2019, sich beim Land anstellen zu lassen und netto bis zu 2033 Euro im Monat zu verdienen. Ganz so viel hat die Landes-SPD in Baden-Württemberg nicht vorgesehen. Die Leistung orientiert sich am Mindestlohn und soll sich nach investierter Zeit sowie Pflegegrad des Bedürftigen berechnen: Maximal ergibt sich so ein monatliches Gehalt von 2250 Euro, aber brutto.
„Das professionelle Pflegesystem ist an seine Grenzen gestoßen. Bis zum Jahr 2040 werden in Baden-Württemberg bei der jetzigen Teilzeitquote um die 200 000 Fachkräfte fehlen“, führt Wahl aus. Gleichzeitig steigt die Zahl der Pflegebedürftigen. Das geht auch aus dem Altersbericht der Bundesregierung hervor, über den das Bundeskabinett am Mittwoch beraten hat. Bundesweit sind fünfeinhalb Millionen Menschen auf Unterstützung angewiesen. In Baden-Württemberg waren es im Jahr 2021 etwa 540 000. Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl bis 2060 auf 800 000 steigt.
Viele Angehörige fühlen sich überlastet
Doch wer soll die Hilfsbedürftigen pflegen, wenn immer mehr Fachkräfte fehlen? Derzeit wird der Großteil, etwa vier Fünftel, zuhause versorgt – teils mit Unterstützung durch ambulante Dienste. Um den Großteil jedoch, etwa 300 000 Menschen im Land, kümmern sich allein die Angehörigen. Das entspricht dem Wunsch der meisten Pflegebedürftigen und Pflegenden. Auch weil dadurch ein Umzug ins teure, unbeliebte Heim verzögert oder gar verhindert wird. Viele Angehörige fühlen sich durch die Mehrfachbelastung von Pflege, Beruf und Familie jedoch überlastet, allein gelassen, ja nicht mal wertgeschätzt.
Von Sozialverbänden und Selbsthilfegruppen wird der Vorstoß grundsätzlich begrüßt. „Ein Gehalt wäre eine gute Sache“, sagt Gabriele Hönes, Leiterin der Abteilung Gesundheit, Alter und Pflege im Diakonischen Werk Württemberg. „Professionelle Kräfte reichen ja schon jetzt kaum aus.“ Wobei die SPD-Landtagsfraktion betont, dass Angehörige keine Pflege durch Fachkräfte ersetzen, sondern diese ergänzen und entlasten sollen. Bärbel Kehl-Maurer, Vorstandsvorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe BW, sieht im Pflegegehalt eine Anerkennung der enormen Leistung von Angehörigen. Die Pflegesituation werde sich nicht von selbst verbessern, man müsse endlich neue Wege gehen. „Ein Weiter-so darf es nicht geben“, ergänzt Hönes.
Häusliche Pflege ist herausfordernd
Die Einführung einer derartigen Absicherung ist allerdings mit hohen Kosten verbunden. In ihrem Papier veranschlagt die SPD jährlich etwa 100 Millionen Euro für das Anstellungsmodell. „Wir haben alles akkurat durchgerechnet“, sagt Florian Wahl. Die Ausgaben für das Gehalt „können und sollten wir uns leisten“. Die Finanzierung sei eine Frage „der politischen Prioritätensetzung bei Haushaltsverhandlungen“. Keine Landesregierung werde umhinkommen, der Pflege mehr Bedeutung zuzumessen.
Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) hingegen kritisiert die Initiative auf Anfrage unserer Zeitung unter anderem als zu bürokratisch. Das Papier erschöpfe sich zudem darin, „von der Verantwortung des Bundes“ abzulenken – und damit vom SPD-geführten Bundesgesundheitsministerium, „das eine umfassende Finanz- und Strukturreform der Langzeitpflege bislang schuldig geblieben ist“. Laut Lucha bleibt die SPD „eine Antwort zur Gegenfinanzierung der Pflegegehälter genauso schuldig wie zu den Kosten für die zu errichtende Agentur“. Das Land setze seine Schwerpunkte anders und investiere „in nachhaltige Strukturen, etwa den Ausbau der Kurzzeitpflege“.