Wie beurteilt ein Kritiker Kulturveranstaltungen?
So arbeitet die Redaktion (32): Die Einschätzungen beruhen auf der Erfahrung, dem Wissen und der Haltung des Autors
Von Ingrid Knack
BACKNANG. Eines sei vorweggenommen: Eine Gebrauchsanweisung dafür, was gute Kunst und Kultur ist, gibt es nicht. Allein dies macht es deutlich: Wäre dem nicht so, kämen Avantgardisten, die gegen Regeln und vermeintliche Qualitätskriterien verstoßen, ganz schlecht weg.
Eine Kulturkritik basiert auf fundiertem Wissen über die betreffenden Genres und den Kulturbetrieb. Geht es um eine Theaterinszenierung, ist es hilfreich, die Rezeptionsgeschichte des Stücks zu kennen. Auch Uraufführungen stehen im Kontext der Theatergeschichte. Sachkenntnis ist also gefragt. Es ist deshalb unerlässlich, viele Theaterstücke anzuschauen, um Vergleiche anstellen zu können. Ohne diese Herangehensweise gerät man schnell in eine ungute Spirale. Hat man zuvor in Superlativen gesprochen und sieht später eine noch faszinierendere Inszenierung, gibt es ein Problem. Nicht nur, weil einem die Worte ausgehen. Auch die Bewertung, die in Relation zu vorherigen Kritiken steht, bekommt eine Schieflage. Das heißt: Erfahrung ist Voraussetzung dafür, überhaupt zu einer adäquaten Wertung gelangen zu können.
Es heißt oft: Amateure und Profis soll man nicht in einen Topf werfen. Dies ist auch in vielen Fällen richtig: Ein Musikschulvorspiel darf nicht mit den gleichen Maßstäben wie ein Konzert eines Staatsorchesters gemessen werden. Die Regel kann aber nicht kategorisch angewandt werden. Denn es gibt viele Beispiele von Autodidakten, die so manchen Profi auf allen Ebenen überholt haben.
Wer sich mit Kultur beschäftigt, wird immer auch Lieblingskünstler haben. Hier lauert die Gefahr, sich als verlängerter Arm der Werbeagentur des Künstlers instrumentalisieren zu lassen. Nur aus einer Distanz heraus ist es möglich, zu glaubhaften Analysen, seien sie nun negativ oder positiv, zu kommen. Hat man andererseits kein Faible etwa für ein bestimmtes Genre, darf dies in der Beurteilung keine Rolle spielen. Allgemein aber wird wohl jeder Kritiker eine Leidenschaft für die Kultur mitbringen. Ist dies nicht der Fall, wird er sich eher nicht die Mühe machen, sich in die komplexe und vielfach hochanspruchsvolle Welt der Künstler hineinzudenken, die sich dem Besucher oder Betrachter vielleicht nicht sogleich erschließt und die es zu vermitteln gilt. Die Basics, die der Ausgangspunkt jeder Kritik sein sollten, sind also: Ich muss sehr viel wissen und sehr viel gelesen und gesehen haben, wenn ich Kritik üben will. Denn nie darf man vergessen: Die Menschen, die da auf der Bühne stehen, ihre Bilder ausstellen oder ein Buch präsentieren, haben sich intensiv mit ihrer Kunst beschäftigt, sie sind darin Experten. Sie verdienen eine Kritik, die auf Kenntnis des Genres, der Geschichte, zeitgenössischer Strömungen sowie Unvoreingenommenheit beruht.
Kritisieren heißt nicht sezieren, sondern das große Ganze im Blick zu haben. Nehmen wir einmal ein Konzert. Ludwig van Beethoven sagte einmal: „Eine falsche Note zu spielen ist unwichtig, aber ohne Leidenschaft zu spielen, ist unverzeihlich!“ Ein Kritiker wird immer im Blick haben, ob Leidenschaft im Spiel ist und die Musiker das Publikum dadurch erreichen. Oder ob etwas an der Performance nicht stimmt, obwohl keine musikalischen Schwächen erkennbar sind. Dies könnte der Fall sein, wenn sich die Musiker zu sehr in eine Routine hineingespielt haben. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass an einer Stelle eine kleine Panne passiert, das Konzert aber insgesamt ganz wunderbar ist. In einem solchen Fall geht es darum, die Atmosphäre des Konzerts zu vermitteln. Dann kann ein uneitler Kritiker, der nicht beweisen muss, dass er die kleine Unsauberkeit bemerkt hat, auf eine Erwähnung derselben verzichten. Um nicht einen Wurm zu einer Schlange mutieren zu lassen und dadurch das Gesamtbild zu verfälschen.
Freilich sehen erfahrene Kritiker, ob diejenigen, die sich als Künstler exponieren, ihr Handwerk auch verstehen, wieviel Eigenes das Werk beinhaltet, welche Ideen dahinterstecken und ob auch gehalten wird, was in der Eigenwerbung versprochen wurde. Ein Kritiker ist sich aber sehr wohl darüber bewusst, dass sein Urteil nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Vielmehr gehört zu seinen Aufgaben, das Gespräch über Kunst und Kultur anzustoßen beziehungsweise aufrecht zu erhalten und dabei seine, bei höchst möglicher Objektivität, immer subjektive, aber eindeutige Haltung deutlich zu machen. Die nicht, wenn ein Fachmann um die Ecke kommt, wie ein Kartenhaus zusammenfallen darf. Über Kunst und Kultur lässt sich, wie wir wissen, trefflich streiten. Am besten mit Spaß und vielfältigen Erfahrungen im Hintergrund.
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