Gegen Einsamkeit an den Feiertagen
Wie ein Mann Fremde zu Weihnachten zusammenbringt
Christian Fein hat sich als „Einsamkeitsvermittler“ einen Namen gemacht – jedes Jahr aufs Neue bringt er über die sozialen Medien Menschen zusammen, die an Weihnachten und Silvester sonst allein wären.
Von Janina Link
Es war einmal ein Unternehmensberater, der jedes Jahr zur Weihnachtszeit einsame Menschen zusammenbrachte. Klingt wie der Plot eines Weihnachtsmärchens, ist aber eigentlich Christian Feins Geschichte. Der 39-jährige Mannheimer hat 2017 eine Initiative namens #Keinerbleibtallein ins Leben gerufen, die jährlich zu Weihnachten und Silvester einsame Menschen zusammenbringt. Knapp 300 bis 400 Nachrichten trudeln derzeit über Facebook und Instagram Tag für Tag bei Fein ein. In Hochphasen sind es auch gern einmal 1000 Nachrichten.
Im vergangenen Jahr hat die Initiative knapp 70 000 Anfragen erhalten. Feins ersten Prognosen zufolge könnten es dieses Jahr sogar noch mehr werden. Er selbst feiert Weihnachten dadurch schon länger nicht mehr. Stattdessen sitzt er Heiligabend oft noch bis 17 Uhr vor seinem Bildschirm und verteilt die letzten Einsamen aufeinander, bevor dann auch schon das Gleiche für Silvester ansteht. Dabei melden sich bei ihm sowohl Gastgeber, die bereit sind, ihre Tür an Weihnachten oder Silvester für Fremde zu öffnen, als auch Gäste, die an den Feiertagen Gesellschaft suchen.
Ein Hobby mit „gesellschaftlichem Impact“
„Im Grunde ist es eine Dienstleistung, die wir da anbieten“, sagt Fein. Gemeinsam mit einem vierköpfigen Team aus ehrenamtlichen Helfern hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Gastgeber und Gast passend nach dem Wohnort und etwaigen Präferenzen zusammenzubringen. Den Kontakt vermittelt die Initiative – alles Weitere bleibt dann den Menschen selbst überlassen. „Die meisten Begegnungen finden, ich sage jetzt mal, sehr normal statt“, so Fein. Das einzig Ungewöhnliche daran: „Man kennt die andere Person in der Regel nicht. Vielleicht hat man vorher ein bisschen geschrieben, vielleicht telefoniert, aber das war es auch schon.“
Die Idee mit der Einsamenvermittlung kam ihm im Dezember 2016, als er nach einer Trennung selbst allein Weihnachten feiern musste. Seitdem sei das Ganze neben seinem Job als Unternehmensberater ein Art Hobby geworden – und zwar eines, „das auch gesellschaftlichen Impact hat“, wie Fein sagt. Einsamkeit ist ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftliches Problem. So hat eine bundesweite Studie der Bertelsmann-Stiftung im März 2024 ergeben, dass sich knapp die Hälfte der 16- bis 30-Jährigen einsam fühlt.
Die Initiative setze ihren Fokus vor allem auf junge Erwachsene und Menschen mittleren Alters, so Fein. „Dadurch, dass die Vermittlung eben digital stattfindet, sprechen wir diese Zielgruppe schon ganz automatisch an. Prinzipiell kann jedoch jeder bei uns mitmachen, der ein Facebook- oder Instagram-Profil hat“, sagt der 39-Jährige. „Facebook hat ja inzwischen auch einen gewissen Alterungsprozess durchlebt. Die Menschen, die uns darüber kontaktieren, sind in der Regel zwischen 40 und 60. Bei Instagram ist es anders, da sind die Leute eher zwischen 20 und 50.“
Mehr als reiner Automatismus
Unter den Tausenden von Menschen, die Fein in den vergangenen Jahren bereits kontaktiert haben, hätte sich noch kein klares Bild herausgezeichnet – die eine einsame Person gibt es also nicht. „Da ist so ziemlich alles dabei, was man sich denken kann: von der alleinerziehenden Mutter über den Frührentner bis hin zu Studenten, die wegen des Studiums in eine neue Stadt gezogen sind und noch Schwierigkeiten haben, Anschluss an die Kommilitonen zu finden. Es gibt auch Menschen, die sich einsam fühlen, weil in ihrem Leben ein unerwarteter Umstand eingetreten ist – wie ein Arbeitsplatzverlust oder eine Trennung vom Partner.“
Während sich zu Weihnachten eher mehr Gastgeber melden würden, trudeln laut Fein zu Silvester vermehrt Anfragen von Menschen ein, die Gesellschaft suchen. „Wir hatten das schon oft zu Silvester. Wenn dann einige Personen aus der gleichen Gegend kommen und idealerweise in ungefähr dem gleichen Alter sind, stellen wir sie meistens einfach zusammen, und dann ziehen die gemeinsam um die Häuser und haben eine sehr gute Zeit.“
Hört Christian Fein eigentlich noch einmal von den Menschen, die er zusammenbringt, und erfährt, wie es nach dem ersten Treffen weitergegangen ist? „Selten“, sagt der 39-Jährige. „Das liegt daran, dass die meistens uns tatsächlich einfach nur als Dienstleister wahrnehmen. Und wenn man jetzt über Facebook eine tolle Person kennenlernt, dann wird man sich ja auch nicht bei Facebook dafür bedanken, dass dieser Kontakt stattgefunden hat.“ Aus diesem Grund habe er in diesem Jahr versucht, der Initiative durch verschiedene Werbemaßnahmen mehr Persönlichkeit zu verleihen. Das Ziel: Die Menschen sollen erkennen, dass dahinter mehr als reiner Automatismus steckt.
Manche Geschichten bleiben im Gedächtnis
Ab und zu erreiche ihn und sein Team aber doch auch Feedback. Und das „ist in der Regel sehr, sehr positiv“. Manche der Begegnungen, die sie schaffen, bleiben ihnen auch noch lange nach den Feiertagen im Gedächtnis. „Ich erinnere mich, da waren es einmal nur noch wenige Stunden bis Silvester, als noch eine Anfrage von einer Dame eingetrudelt ist, die jemanden gesucht hat, mit dem sie den Abend verbringen kann. Aufgrund ihrer sozialen Phobien hatte sie drei Therapiehunde, aber wie es der Zufall will, hatte sich kurz zuvor ein älteres Ehepaar mit ebenfalls vier Hunden bei uns gemeldet. Ja, und dann haben wir sie zusammengebracht. Nicht nur sie haben sich prima verstanden, sondern auch ihre Hunde.“
Ein anderes Mal wandte sich ein jüdisch-orthodoxes Pärchen an die Initiative. Sie feierten selbst kein Weihnachten, wollten aber jemandem Gesellschaft leisten, der ebenfalls keinen Bezug zum Fest hat. Der Initiator brachte sie mit einer Muslima zusammen, die die Feiertage als schwierig empfand, da sie sich oft einsam fühlte, während ihre deutschen Freunde Weihnachten feierten. Auch dieses Treffen sei ein voller Erfolg gewesen, so Fein. Tja, manchmal beginnt ein Weihnachtsmärchen eben mit einer einzelnen Nachricht.