Eurozone
Wie Europas Süden die EU vor der Rezession bewahrt
Anders als die nördlicheren Staaten, darunter Deutschland, glänzen die einstigen Problemländer Griechenland, Portugal und Spanien mit starkem Wachstum – auch dank des Reisebooms. Gerade dieser Faktor stößt allerdings an Grenzen.
Von Gerd Höhler
In der Eurokrise waren sie Pleitekandidaten. Jetzt sind sie Wachstumschampions. Die einstigen Krisenstaaten im Süden – Griechenland, Spanien und Portugal – verzeichnen mit die stärksten Wachstumsraten der Euro-Zone. Was sind die Gründe für den Boom? Und wie nachhaltig ist das Wirtschaftswunder in Südeuropa?
Die 27 Länder der EU kamen im vergangenen Jahr gerade mal auf ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte um 0,3 Prozent, Österreich verzeichnete sogar ein Minus von 0,8 Prozent. Auch Frankreich und Italien entwickeln bisher keine überzeugende Wachstumsdynamik. Dass die EU 2023 insgesamt nicht in die Rezession rutschte, verdankte sie vor allem dem starken Wirtschaftswachstum im Süden.
Griechenlands Bruttoinlandsprodukt legt ums Dreifache zu
In Griechenland legte die Wirtschaft im vergangenen Jahr zwei Prozent zu. Portugal meldete ein Wachstum von 2,3 Prozent. In Spanien waren es sogar 2,5 Prozent. Auch in diesem Jahr glänzen die einstigen Problemländer mit starkem Wachstum. Für die Euro-Zone errechnete Eurostat im ersten Quartal 2024 ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
In Griechenland legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit 2,1 Prozent mehr als dreimal so stark zu. Spanien kam sogar auf ein Plus von 2,6 Prozent, Portugal meldete 1,5 Prozent Wachstum. Im zweiten Quartal setzte sich der Trend fort: Spaniens Wirtschaft wuchs um 2,9 Prozent, Portugal verzeichnete 1,5 Prozent, Griechenland, das noch keine Zahlen vorgelegt hat, rechnet mit zwei Prozent.
Wiederum enttäuschend dagegen ist die Entwicklung in Deutschland mit einem Minus von 0,1 Prozent in den beiden ersten Quartalen. „Die deutsche Wirtschaft im freien Fall“, titelte diese Woche die griechische Wirtschafts- und Finanzzeitung „Naftemporiki“.
Dass die Wirtschaft in den Südstaaten jetzt brummt, hat mehrere Ursachen. Einer ist der Tourismus. Portugal, Spanien und Griechenland verzeichneten im vergangenen Jahr neue Reiserekorde. In diesem Jahr werden diese Zahlen wohl noch einmal übertroffen werden. In allen drei Ländern ist der Fremdenverkehr ein wichtiger Wachstumsmotor. In Spanien steuert er 14 Prozent zum BIP bei, in Portugal sind es knapp 16 Prozent und in Griechenland 18 Prozent.
Nachholeffekte aus den Covidjahren
Wegen der hohen Abhängigkeit vom Tourismus stürzte die Wirtschaft dieser Länder während der Pandemie besonders tief ab. Wenn es jetzt stark bergauf geht, ist das auch ein Nachholeffekt der Covidjahre. Nachholeffekte gibt es ebenfalls auf dem Immobilienmarkt, der während der Eurokrise in den 2010er Jahren stark gelitten hatte. Jetzt gibt es einen Bauboom, die Immobilienpreise steigen. Starke Wachstumsimpulse bekommen die Südländer auch aus dem Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“, den die EU nach der Pandemie auflegte. Sie profitieren stärker als die Nordstaaten von den Zuschüssen und den zinsgünstigen Krediten des Fonds.
Aber wie nachhaltig ist das Wirtschaftswunder im Süden? Griechenland, Spanien und Portugal kämpfen immer noch mit Strukturschwächen, auch wenn unter dem Druck der Schuldenkrise in den 2010er Jahren zahlreiche Reformen umgesetzt worden sind. Dennoch warnte jetzt der Gouverneur der griechischen Zentralbank, Yannis Stournaras, in Bezug auf sein Land vor Reformmüdigkeit. Es bleibe noch viel zu tun, mahnte der Notenbanker, vor allem in der Justiz und in der öffentlichen Verwaltung.
Bei der Digitalisierung und der Umstellung auf erneuerbare Energiequellen machen die Länder im Süden schnellere Fortschritte als viele Nordstaaten. Das ist eine gute Basis für nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Aber es gibt auch Risiken. Dazu gehört die hohe Abhängigkeit vom Fremdenverkehr. In Spanien, Portugal und Griechenland häufen sich in diesem Sommer bereits die Proteste der Bevölkerung gegen den „Übertourismus“. Das zeigt: Der Reiseboom stößt an seine Grenzen.
Die entscheidende Rolle des Klimawandels
Das hängt auch mit dem Klimawandel zusammen. Er wird zu einer immer größeren Herausforderung, nicht nur für den Tourismus, sondern ebenso für die Landwirtschaft, und spielt in den drei Ländern eine große Rolle. Im Mittelmeerraum steigen die Temperaturen 20 Prozent schneller als im globalen Durchschnitt, sagt der griechische Geowissenschaftler Costas Synolakis. Immer häufigere Hitzewellen und größere Waldbrände sind die Folgen. Der steigende Meeresspiegel bedroht viele Strände, Wassermangel, Dürre und Überschwemmungen machen den Landwirten zu schaffen. Damit ist der Klimawandel das größte Fragezeichen über der wirtschaftlichen Zukunft der Südstaaten.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
EinstWährend der Schuldenkrise war es vor allem Deutschland, das gegenüber den Griechen mit erhobenem Zeigefinger auftrat. Kanzlerin Angela Merkel galt als treibende Kraft hinter den strengen Sparauflagen, die das Land in die tiefste und längste Rezession der Nachkriegsgeschichte trieben. Hunderttausende griechische Familien gerieten in existenzielle Not.
Jetzt Nun kämpft Deutschland mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Seit 2019 ist die Wirtschaft in Griechenland, Spanien und Portugal etwa 20 Prozent schneller gewachsen als in Deutschland. Schadenfreude kommt deshalb aber im Süden nicht auf. Denn Deutschland ist für die drei Länder ein wichtiger Handelspartner. Auch für die Tourismuswirtschaft in Spanien, Portugal und Griechenland sind die deutschen Urlauber wichtige Kunden.