Geheimwaffe von Tumoren

Wie hartnäckige Krebszellen sich Therapien widersetzen

Krebszellen mit Helfern: Forscher haben herausgefunden, warum einige Krebstumore kaum auf Krebstherapien und die Immunabwehr reagieren. Sie enthalten kleine, extrachromosomale DNA-Ringe, die diese Krebszellen widerstandsfähiger und aggressiver machen.

In Krebszellen gibt es neben dem Erbgut in Chromosomen zusätzlich extrachromosomale DNA – sogenannte ecDNA-Ringe –, die  Erbmaterial abseits der Chromosomen darstellt.

© Imago/Panthermedia

In Krebszellen gibt es neben dem Erbgut in Chromosomen zusätzlich extrachromosomale DNA – sogenannte ecDNA-Ringe –, die Erbmaterial abseits der Chromosomen darstellt.

Von Markus Brauer

Zellen sind die kleinste biologische Einheit jedes Organismus. Der Mensch besteht aus Billionen von Zellen. Erst durch ihr perfektes Zusammenspiel entsteht Leben. Damit die Zellen wissen, wie sie aussehen und funktionieren sollen, enthalten sie in verschlüsselter Form Informationen, die sich in ihrem Zellkern befinden. Dieses Datenmaterial, das für ein bestimmtes Merkmal des Organismus verantwortlich ist, nennt man Gen.

Rolle der Chromosomen für das Genom

Das Erbgut des Menschen – auch Genom genannt – besteht aus mehr als 22.000 Genen und enthält sämtliche Erbinformationen. Der Gen-Code – also die Erbinformationen im Zellkern – ist auf den Chromosomen gespeichert.

Jede menschliche Zelle besteht aus 46 solcher Chromosomen: 23 väterliche und 23 mütterliche Erbgutabschnitte, die in der befruchteten Eizelle zusammenfinden. Man muss sich Chromosomen als lange, fadenförmige Gebilde vorstellen, die aus DNA (Desoxyribonukleinsäure; englisch: DNA - „Deoxyribonucleic acid“) und Proteinen (Eiweißmolekülen) bestehen.

Die Chromosomen teilen den fast zwei Meter langen DNA-Strang in Pakete auf und sorgen dafür, dass das Genom bei der Zellteilung korrekt auf beide Tochterzellen verteilt wird.

DNA-Ringe enthalten extrachromosomale Krebsgene

Doch in Krebszellen ist es fundamental anders: In ihnen gibt es zusätzlich extrachromosomale DNA – sogenannte ecDNA-Ringe –, die Erbmaterial abseits der Chromosomen darstellt. Zu dieser Gruppe gehören ring- oder schleifenförmige DNA-Moleküle, die vergleichsweise klein sind.

Sie tragen in der Regel nur wenige Gene, oft aber solche, die Tumorerkrankungen fördern und deshalb als Krebs- oder Onkogene bezeichnet werden. Auffällig ist, dass Krebstumore mit vielen dieser DNA-Ringe oft besonders aggressiv wachsen und weniger gut auf Krebstherapien ansprechen.

Warum ecDNA-Ringe Krebs aggressiver machen

Warum und wie die DNA-Ringe Krebs hartnäckiger und aggressiver machen können, hat nun ein Forscherteam um Paul Mischel von der Stanford University aufgeklärt. Für ihre Studie untersuchten sie Tumorzellen von fast 15.000 Krebspatienten und 39 verschiedenen Krebsarten.

Sie bestimmten, ob und welche DNA-Ringe in den Krebszellen vorhanden waren, was diese extrachromosomalen Erbgutstücke kodieren und wie sie sich bei der Zellteilung verhalten. Ihre Studie ist im Fachmagazin „ Nature“ erschienen.

Coordinated inheritance of extrachromosomal DNAs in cancer cells | Nature https://t.co/5rH3Ffiub8 — Aurora Ruiz-Herrera (@A_RuizHerrera) November 7, 2024

ecDNA-Ringe bei aggressiven Krebsarten besonders häufig

Die ecDNA-Ringe kommen zwar im Schnitt nur in rund 17 Prozent aller Krebszellen vor, doch bei manchen Krebsarten sind sie erheblich häufiger. Beim aggressiven HER2+-Brustkrebs trägt beispielsweise fast die Hälfte der Krebszellen diese extrachromosomale DNA in sich, wie die Mediziner feststellten. Ähnliches gilt für Glioblastome des Gehirns – der häufigste bösartige Hirntumor bei Erwachsenen – und das ebenfalls aggressive, schnell metastasierende Liposarkom.

Zur Info: Das Liposarkom ist ein seltener bösartiger Tumor des Weichteilgewebes (Sarkom), der feingewebliche Merkmale von Fettzellen oder Fettzellvorstufen aufweist. Bei Adenokarzinomen des Darms – ein Subtyp des Speiseröhrenkrebses, der in den Drüsenzellen der unteren Speiseröhre am Mageneingang entsteht – sind es gut 37 Prozent und bei Blasenkrebs, Eierstockkrebs und einigen Lungentumoren noch gut 20 Prozent.

Die Analysen ergaben zudem, dass Krebszellen in späteren Stadien der Tumorentwicklung und auch nach einer Chemotherapie mehr DNA-Ringe enthalten als zuvor. Ihr Vorhandensein ist meist mit Metastasen und einer schlechteren Überlebenschance verknüpft, wie die Forscher feststellten. „Wir bekommen damit eine ganz neue Sicht auf einen häufigen und aggressiven Mechanismus, der Krebs antreibt“, erklärt Mischel.

Aktive Bremser für das Immunsystem

Die DNA-Ringe in den Krebszellen enthalten aber nicht nur Krebsgene und Verstärker, sondern auch Gensequenzen, die die Immunreaktion auf den Krebs aktiv hemmen. „34 Prozent der Tumore mit ecDNA tragen zusätzliche Kopien immunmodulatorischer Gene in den DNA-Ringen“, berichten die Forscher.

Diese Gene stören die Aktivierung der Lymphknoten, blockieren Immunbotenstoffe und hemmen die krebszerstörenden T-Killerzellen. Das könnte erklären, warum Krebstumore mit ecDNA schneller wachsen und metastasieren, aber auch, warum sie schlechter auf Immuntherapien ansprechen.

DNA-Ringe interagieren in Gruppen

Hinzu kommt: Die extrachromosomalen DNA-Ringe agieren nicht einzeln, sondern können sich gegenseitig ergänzende Gruppen bilden. „Mehrere ecDNAs, die ursprünglich aus verschiedenen Chromosomen-Genorten hervorgegangen sind, können in derselben Krebszelle koexistieren und lagern sich dann oft zu Mikrometer-großen Klumpen im Zellkern zusammen“, schreiben die Forscher.

Diese sich gegenseitig fördernden DNA-Ringe werden zudem bei der Teilung der Krebszellen überproportional gemeinsam vererbt. Michel: „Das war eine enorme Überraschung. Denn es widerspricht der Mendelschen Regel, nach der Gene, die nicht auf einem gemeinsamen Chromosom liegen, unabhängig voneinander vererbt werden.“ Stattdessen scheinen die Krebszellen bevorzugt die für sie günstigen ecDNA-Kombinationen an Tochterzellen weiterzugeben.

Neuer Wirkstoff tötet ecDNA-Krebszellen ab

Die Experten haben allerdings entdeckt, wie man Tumorzellen mit extrachromosomaler DNA abtöten kann: nämlich mithilfe eines Wirkstoffs – dem CHK1-Inhibitor –, der eine Schwäche der ecDNA-haltigen Krebszellen ausnutzt.

Zur Info: Ein Inhibitor (lateinisch: inhibere, unterbinden, anhalten) ist ein Hemmstoff – also ein Stoff, der eine oder mehrere Reaktionen chemischer, biologischer oder physikalischer Natur so beeinflusst, dass diese verlangsamt, gehemmt oder verhindert werden.

In ersten Tests hemmte dieser CHK1-Inhibitor das Tumorwachstum von Krebszellen mit ecDNA um 64 bis 97 Prozent. „Dies spricht dafür, dass die nächste Generation solcher CHK1-Hemmer eine vielversprechende Strategie gegen ecDNA-haltige Krebsarten sein könnte“, schreiben die Forscher. Erste klinische Studien damit haben bereits begonnen.

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Erstellt:
26. November 2024, 13:00 Uhr

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