ARD-„Wahlarena“

Wie Normalbürger Kanzlerkandidaten ins Schwitzen brachten

Sie alle bewerben sich für das mächtigste Amt der Bundesrepublik Deutschland, aber konfrontiert mit den Sorgen und Nöten von Normalbürgern wirkten die Spitzenkandidaten nicht immer souverän. Eine Analyse zur ARD-Sendung „Wahlarena“ von Sascha Maier.

Louis Klamroth (hier im Bild) und Jessy Wellmer moderierten die ARD-„Wahlarena“.

© IMAGO/HMB-Media/IMAGO/Uwe Koch

Louis Klamroth (hier im Bild) und Jessy Wellmer moderierten die ARD-„Wahlarena“.

Von Sascha Maier

Blickt man eine Woche zurück, waren da ein anderer Olaf Scholz und ein anderer Friedrich Merz im „TV-Duell“ bei ARD und ZDF zu sehen. Die Moderatorinnen Sandra Maischberger und Maybrit Illner sorgten dafür, dass Bundeskanzler Scholz (SPD) und sein aussichtsreichster Herausforderer Friedrich Merz (CDU) die Redezeit einhielten, sonst waren die beiden Profi-Politiker auf ihrem Terrain: In Bundestagsdebatten schon etliche Male direkt miteinander konfrontiert, wirkten sie fast wie ein eingespieltes Team, wirklich Boden gut machen in der Wählergunst konnte keiner.

Am Montag gaben die beiden und außerdem Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck, AfD-Spitzenfrau Alice Weidel in der ARD-„Wahlarena“ aber ein anderes Bild ab als auf dem ihnen vertrauten politischen Parkett. Grund dafür vermutlich das Format: Die „Wahlarena“, die von Louis Klamroth und Jessy Wellmer moderiert wurde, legte einen deutlich größeren Fokus auf die Konfrontation mit Normalbürgern aus dem Publikum, als dies andere große TV-Formate zur Bundestagswahl zuletzt taten – ausgenommen vielleicht der Bürgerdialog im ZDF vergangene Woche, der aber weniger Aufmerksamkeit generierte.

Scholz stellenweise schüchtern

So fand sich jeder Spitzenkandidat mit mindestens einem „Angstwähler“ aus dem Publikum konfrontiert, der an Stellen nachbohrte, an denen es den Spitzenpolitikern spürbar auch mal weh tat.

Der Erste, der sich dem Publikumsverhör stellte, war Olaf Scholz. Zu sehen war nicht der schlagfertige, angriffslustige Immernoch-Kanzler, den man aus den Rededuellen mit seinen Herausforderern kennt. Sondern der schüchterne Scholz, über den Beobachter des Berliner Politikbetriebs immer wieder schreiben, die nah am Kanzler dran sind, der im Austausch mit dem Publikum plötzlich nicht mehr größer wirkte als die 1,70 Meter, die er misst; anders, aber nicht unbedingt unsympathischer.

So ging er zunächst geduldig auf Fragen ein, versuchte zwar Anteilnahme zu zeigen. Als sich eine Bürgerin aber erkundigte, wie Scholz die immer weiter steigenden Mieten in den Griff bekommen wolle, auch mit Blick auf Senioren, die außer ihrer Rente kein Einkommen hätten, nutzte dieser die Steilvorlage nicht. Scholz verfiel in alte Muster, deutete das spezifische Problem als allgemeines und brachte eine „Verlängerung der Mietpreisbremse“ ins Spiel – wodurch er die Chance verpasste, einmal von einigen bei ihm vermisste Gefühlsregungen allzu deutlich zu zeigen.

Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der Union und in aktuellen Umfragen deutlich vorne, kann zwar mit Bürgern, aber eben nur mit solchen, die seiner Meinung sind. So punktete er sicher damit, als er bei der Befragung durch das Publikum die Wichtigkeit des Lehrerberufs hervorhob und den Berufsstand ehrte.

An anderer Stelle wirkte er forsch, etwa, als er von einer Zuschauerin über psychische Belastungen von Attentätern befragt wurde. „Das ist meine Antwort“, ließ er sich nicht auf weitere Diskussionen ein und unterstrich damit sein Image als Basta-Politiker. Eine Haltung, die sich nur Mächtige leisten können, mag zwar manche faszinieren. Dass sich der CDU-Politiker mit modernem, einfühlenderem Führungsstil weiterhin schwertut, dürfte zumindest jene bestätigt haben, die ihn ohnehin nicht besonders mochten.

Und zu betonen, in Berlin „relativ häufig S-Bahn und U-Bahn“ zu fahren, wirkte auch stark nach Kalkül, sich bürgernah zu geben. Selbst wenn das wirklich stimmen sollte, hat der Zusatz „meine Sicherheitsleute mögen das mittlerweile nicht mehr“ doch eher merkwürdige Bilder im Kopf erzeugt, wonach der durchschnittliche Bahnfahrer plötzlich einem von Security abgeschirmtem Friedrich Merz begegnen würde – was selbst für Berliner U-Bahn-Verhältnisse eine kuriose Szene wäre.

Auch AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel wurde mit Fragen konfrontiert, die in Parlamentarierdebatten eher nebensächlich sind: nämlich zu Persönlichem. Ein junger Zuschauer, der sich selbst als homosexuell outete, fragte, wie Weidel es zusammenbringe, für eine Partei zu kandidieren, die neben dem traditionellen Familienbild nichts dulde und dabei selbst in einer homosexuellen Beziehung mit einer anderen Frau zu leben. Weidel beharrte darauf, dass ihre Partnerschaft Heterosexuellen gegenüber absolut gleichwertig zu betrachten sei.

Dabei wirkte sie so, als meine sie das absolut ernst. Man merkte ihr aber durchaus an, dass sie in dieser Frage wahrscheinlich nicht für jeden Parteikollegen ins Feuer legen würde, das genauso zu sehen. Zumal es in der Vergangenheit genug abfällige Äußerungen aus Reihen der Rechtspopulisten gegenüber der Regenbogen-Community gab. Jetzt mag diese Community nicht die Anliegen aller queeren Menschen in Deutschland vertreten. Überzeugen davon, dass die AfD ihm Gutes will, konnte Weidel den Fragesteller aber vermutlich nicht.

Kaum besser erging es Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck. Besonders bei den Malochern haben die Grünen ohnehin einen schweren Stand. Als ein Arbeiter ihn fragte, wie er denn mit den für ihn zu erwartenden 1100 Euro Rente zurechtkommen solle, sprach Habeck von einem „Abwehrkampf“, der beim Druck auf das Rentensystem zu führen sei.

Das mag eine ehrliche Antwort sein. In ihr schwingt aber das mit, was den Grünen teilweise berechtige Kritik einbringt: Habeck inszenierte sich als „Kämpfer“ für die sozial Schwachen – dass sich der Arbeiter, der womöglich ein Leben lang ins System eingezahlt hat, vielleicht selbst als Leistungsträger versteht, der um seinen eigenen Verdienst gebracht wird, würdigte Habeck mit keiner Silbe. Wenn die „Wahlarena“ eine Gelegenheit war, das Vorurteil, die Grünen seien eine bevormundende Partei, etwas abzustreifen, hat der Grünen-Kandidat sie verstreichen lassen.

ARD zeigt Transparenz bei Auswahl der Fragen

Im Nachgang der „Wahlarena“ kamen Spekulationen im Netz auf, wonach die Befragungen bereits voreingenommen gewesen seien, vor allem zu Ungunsten der AfD. Die ARD hat vorsorglich auf ihrer Webseite ein Transparenzschreiben zur Sendung veröffentlicht, in dem klargestellt wird, wie die Fragen ausgewählt wurden, wer da im Publikum saß, inwieweit spontane Einwürfe möglich waren. Das liest sich alles so, als habe die ARD große Bemühungen um eine ausgewogene Sendung betrieben.

Sich nun daran zu stören, dass sich wahrscheinlich weiniger AfD-Sympathisanten ins Studio der „Wahlarena“ verirrten, als sie den Bevölkerungsanteil im Bundesdurchschnitt repräsentieren, dürfte aber auch ein hausgemachtes Problem sein. Es ist möglicherweise etwas scheinheilig von der AfD, einerseits öffentlich-rechtliche Sendeanstalten als „Mainstreampresse“, als „Lügenpresse“ zu bezeichnen und sich andererseits zu wundern, wenn die eigene Anhängerschaft Sendungen wie die diese im Livepublikum etwas meidet.

Weniger Parteibindung

Wenn sich eines aus der ARD-„Wahlarena“ herauslesen ließ, dann womöglich das: Viele Bürger passen nicht in die Schablonen der Parteien, was Politiker vor die Herausforderung stellt, dass viele Wähler ihr Wahlprogramm nicht mehr einfach als Gesamtpaket kaufen, weil das Parteilabel draufsteht, sondern in manchen Punkten zustimmen und in anderen eben nicht.

Auch Politikwissenschaftler wie Uwe Jun vom Trierer Institut für Demokratie- und Parteienforschung beobachten, dass die Parteibindung der Wähler zurückgeht und darum viele bis kurz vor der Wahl unentschlossen sind. Dieses „picky“ sein bei Politik ist vielleicht neu. Wollen Parteien aber wieder größere Stücke vom Kuchen und weniger wilde Koalitionen im Bund eingehen als zuletzt, wären ihre Kandidaten vielleicht gut beraten, ein bisschen weniger auf Parteilinie und ein bisschen mehr Bürgerkanzler sein zu wollen.

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Erstellt:
18. Februar 2025, 16:40 Uhr
Aktualisiert:
18. Februar 2025, 18:23 Uhr

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