Erdzeitalter des Kambrium
Wie Raubtiere vor 517 Millionen Jahren ihre Beute jagten
Paläontologen haben das älteste bekannte Beispiel für ein evolutionäres Wettrüsten entdeckt. Anhand fossiler Weichtierschalen aus dem Kambrium identifizierten sie eine Raubtier-Beute-Interaktion, die vor 517 Millionen Jahre im Ozean des heutigen Südaustraliens stattfand.
Von Markus Brauer
Wenn ein Tier im Laufe der Evolution seine Fähigkeiten verbessert, optimieren oft auch eine oder mehrere andere Arten im selben Ökosystem ihre Kompetenzen. Bei solchen evolutionären Wettrüsten passen sich auch Raubtiere und Beute kontinuierlich an und entwickeln ihre Schutz- und Angriffstechniken als Reaktion aufeinander weiter.
Wie Beutetiere direkt auf Raubtiere reagierten
„Solche Räuber-Beute-Interaktionen werden oft als Haupttreiber der ‚kambrischen Explosion‘ angepriesen.
Insbesondere im Hinblick auf die rasche Zunahme der Diversität und des Reichtums an biomineralisierenden Organismen zu dieser Zeit“, erklärt Russell Bicknell von der University of New England im australischen Biddeford , mit Blick auf muschelartige Weichtiere mit Schalen. „Dennoch mangelt es an empirischen Beweisen, dass Beutetiere direkt auf Raubtiere reagierten und umgekehrt.“
Die Studie ist im Fachmagazin „Current Biology“ erschienen.
#Fossil evidence from #SouthAustralia shows a 517-million-year-old evolutionary arms race, highlighting predator-prey dynamics as a key driver in early animal ecosystem development during the Cambrian Explosion. @currentbiologyhttps://t.co/edKjUb8TQZ — Phys.org (@physorg_com) January 3, 2025
Auffällig durchlöcherte Schalen
Ein Forscherteam um Bicknell hat jetzt zum ersten Mal einen Beweis für ein Wettrüsten während des Kambriums gefunden.
Zur Info: Das Kambrium ist das älteste Zeitalter des Erdaltertums und erstreckte sich von vor rund 540 bis vor etwa 485 Millionen Jahren. Diese Periode ist durch eine explosionsartige Zunahme der Lebensformen gekennzeichnet, die sogenannte „Kambrische Explosion“. Viele neuartige Tierstämme entstanden, von denen etliche bis heute existieren.
Fossile Schalen von Tommotiiden
Die Paläontologen untersuchten hunderte fossiler Schalen einer Tommotiiden-Art, Lapworthella fasciculata, die in acht Schichten einer 14 Meter dicken frühkambrischen Gesteinsformation in Südaustralien gefunden wurden. Die Größe dieser entfernt mit den Brachiopoden verwandten winzigen Weichtiere liegt zwischen der eines Sandkorns und der eines Apfelkerns.
Tommotiiden sind wirbellose Tiere, die im frühen Kambrium den Ozean im Gebiet des heutigen Südaustraliens besiedelten und entfernt mit den Brachiopoden (Armfüßer) verwandt waren.
Die gepanzerten Schalen von Lapworthella fasciculata bestehen aus Organophosphaten, einer Art von Biomineralien, und haben oft ein einzelnes kreisförmiges Loch, das wahrscheinlich von einem Raubtier ausgestanzt wurde. Welche Art von Tier dies war, ist unklar. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Art Weichtier oder Wurm. Bricknell und seine Kollegen haben nun analysiert, wie alt diese Schalen sind und wie sie aufgebaut sind.
Häufiger Löcher trotz dickerer Panzer
Die Panzer von Lapworthella fasciculata sind demnach rund 517 Millionen Jahre alt. Zudem stellten die Forscher fest, dass die Schalen innerhalb eines kurzen Zeitraums immer dicker wurden. Zugleich nahm allerdings auch die Anzahl der perforierten Schalen zu: Die Löcher wurden zwar nicht größer, fanden sich in der jüngsten untersuchten Gesteinsschicht jedoch fast viermal so häufig wie in der ältesten.
Dies deutet darauf hin, dass damals ein mikroevolutionäres Wettrüsten stattfand, bei dem Lapworthella fasciculata seinen Panzer zum Schutz gegen Raubtiere verstärkte und das Raubtier wiederum seine Fähigkeit verbesserte, seine Beute trotz des dickeren Panzers zu durchstechen, so das Team.
Beleg für evolutionäres Wettrüsten im Kambrium
„Diese äußerst wichtige evolutionäre Aufzeichnung zeigt zum ersten Mal, dass Prädation eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung früher tierischer Ökosysteme spielte und zeigt die rasante Geschwindigkeit, mit der solche phänotypischen Modifikationen während des kambrischen Explosionsereignisses entstanden“,erklärt Bicknell.
Der Fund markiert zudem das älteste bislang bekannte Beispiel für eine Räuber-Beute-Co-Evolution, wie die Forscher konstatieren.