Prozess zum Mannheimer Polizistenmord
Wie Sulaiman A. nach Deutschland kam
Der Angeklagte im Prozess zum Mord am Polizisten Rouven Laur spricht über sein Leben, seine Flucht und seine Familie. Er will sich auch zur Tat äußern.
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© AFP/THOMAS KIENZLE
Der Angeklagte will reden, kündigen die Anwälte an.
Von Christine Bilger
Fast noch mit mehr Spannung als am ersten Prozesstag warten die Besucherinnen und Besucher im Stammheimer Hochsicherheitssaal am Tag zwei des Prozesses gegen Sulaiman A. auf den Start. Was wird er sagen? Wie wird er es sagen? Der Angeklagte, ein 26-Jähriger, der als Kind aus Afghanistan nach Deutschland kam, soll befragt werden. Zunächst zu seiner Person – wie in Strafverfahren ohnehin üblich. Er spricht. Ruhig, höflich, aufgeräumt. Und am Rande kommt eine überraschende Nachricht heraus – als er einmal aus Sicht seiner zwei Verteidiger beinahe zu viel sagt: Sulaiman A. wird sich auch zu den Tatvorwürfen äußern. Das ist neu. Wann, das steht noch nicht fest.
Beim Auftakt vor einer Woche hatte es noch geheißen, er werde nicht zur Tat sprechen. „Wir haben uns mit ihm besprochen und das jetzt so vereinbart“, erläutern die Anwälte Axel Küster und Mehmet Okur. Sulaiman A. soll am 31. Mai 2024 auf dem Mannheimer Marktplatz am Rande einer Kundgebung der islamfeindlichen „Bürgerbewegung Pax Europa“ mit einem Messer sechs Menschen schwer verletzt haben. Einer davon war der Polizist Rouven Laur, der an den schweren Verletzungen starb. A. soll Sympathien für die Terrormiliz Islamischer Staat gehabt haben. Ob die Tat islamistisch motiviert war, das soll der Prozess klären.
Der Angeklagte wurde mit elf Jahren auf die Flucht geschickt
Sulaiman A. nimmt auf dem Zeugenstuhl Platz. „Ja genau“, sagt er wieder und wieder. Leise spricht er, sein Deutsch ist gut, sein Bericht ausführlich. „Ja genau“ wird er unzählige Male sagen, wenn der Vorsitzende Richter des Senats, Herbert Anderer, ihn anspricht.
Die ersten Lebensjahre in Afghanistan habe er mit vier Geschwistern und seinen Eltern verbracht. Der Vater ist Teppichhändler, die Mutter Hausfrau. Fünf Jahre lang ging er dort in die Schule. Angst vor Schießereien, Entführungen und Messerattacken sei immer da gewesen. Als er elf war, schickte der Vater Sulaiman und einen Bruder auf die Flucht. Mehr als ein Jahr lang habe das gedauert. Fast strahlt er ein wenig, als er von der Ankunft in Frankfurt berichtet. „Das war es also, unser Ziel“, sagt er, hält kurz inne.
Die Anwälte stoppen ihren Mandanten, bevor er zu viel sagt
Er treibt Sport, macht Deutschkurse, einen Hauptschulabschluss – und lernt ein Mädchen kennen, inzwischen seine Ehefrau. Die wurde von ihrem Vater „ein bisschen geschlagen“, als der vom Freund erfuhr. Er will weiter auf die Abendschule gehen, war dort Klassensprecher. Dann lässt er sich von der Schule beurlauben, er ist inzwischen mit der Jugendfreundin verheiratet, das zweite Kind ist unterwegs. Als er gefragt wird, was die privaten Gründe für die Beurlaubung seien, stoppen ihn die Anwälte. Das gehöre zu den Äußerungen zur Tat. Das ist der Punkt, an dem auch der Richter erstaunt nachfragt: Ja, er wird dazu etwas sagen, erfährt auch der Vorsitzende Herbert Anderer hier erst.
Therapeutische Hilfe brauche er nicht, sagt Sulaiman A. Auf die Frage des Psychiatrischen Sachverständigen, ob es in seiner Familie psychische Erkrankungen gebe, sagt er bestimmt: „Das gab es in Afghanistan nicht. Seine Frau habe, so zitiert es Anderer aus den Akten, jedoch, als sie erfahren hatte, dass ihr Mann nach dem Angriff verhaftet wurde, den Notruf 110 gewählt und gesagt, er sei „psychisch nicht ganz stabil“.
Medizinische Hilfe bis zum heutigen Tag braucht der erste Zeuge, der in dem Verfahren spricht. Er war bei „Pax Europa“ als Aufbauhelfer und Ordner dabei. Als der Angriff an jenem Tag im Mai beginnt, findet das zunächst außerhalb seines Blickfeldes statt. Er hört einen Schrei, sieht Mitstreiter am Boden. Rennt hin, um den Mann festzuhalten. Da bekommt er selbst zwei Stiche ab. Tage später erfährt er, dass die Ärzte um sein Leben kämpfen mussten. Der Zeuge, ein großer Mann mit breiten Schultern, kämpft mit den Tränen. Klein und schmal wirkt gegen ihn der Angreifer, der das Messer geführt haben soll. Und zumindest nach außen ohne Regung die Aussage des Zeugen verfolgt.