Israel und Hisbollah

Wie wahrscheinlich ist ein neuer Krieg im Nahen Osten?

Die pro-iranischen Hisbollah-Miliz schießt Raketen in Richtung der israelischen Hafenstadt Haifa. Israel fliegt Luftangriffe im Libanon. Die UN sieht den Nahen Osten nach den neuen Gefechten „am Rande einer Katastrophe“.

Sicherheitskräfte untersuchen in der Stadt Kirjat Bialik nordöstlich von Haifa ein beschädigtes Fahrzeug nach einem angeblichen Angriff der pro-iranischen Hisbollah-Bewegung.

© dpa/Ilia Yefimovich

Sicherheitskräfte untersuchen in der Stadt Kirjat Bialik nordöstlich von Haifa ein beschädigtes Fahrzeug nach einem angeblichen Angriff der pro-iranischen Hisbollah-Bewegung.

Von Thomas Seibert

Raketen der Hisbollah-Miliz schlugen am Sonntag in der Nähe der israelischen Hafenstadt Haifa ein, verletzten Zivilisten, trafen einen israelischen Luftwaffenstützpunkt und transportierten eine Botschaft der Abschreckung: Die Hisbollah kann trotz der jüngsten israelischen Angriffe ihre Raketen vom Libanon aus tief nach Israel hineinschießen. Es war das erste Mal seit Beginn des Gaza-Krieges, dass die Hisbollah auf den Großraum Haifa zielte.

Israel musste wegen der Einschläge der Hisbollah-Raketen rund 70 Kilometer südlich der israelisch-libanesischen Grenze viele Schulen im Norden des Landes schließen, größere Versammlungen verbieten, Sicherheitsmaßnahmen für Krankenhäuser anordnen und den Luftverkehr einschränken. Pro-iranische Kämpfer im Irak schossen nach eigenen Angaben ebenfalls Raketen und Drohnen auf Israel ab. Der Beschuss folgte auf israelische Luftangriffe im Süden Libanons in der Nacht zuvor, die nach Angaben der israelischen Armee fast 300 Stützpunkte und Positionen der Hisbollah trafen.

Auch in den israelischen Angriffen lag eine Botschaft: Der jüdische Staat will die Hisbollah zum Rückzug von der israelischen Grenze zwingen. Die Angriffe auf die Hisbollah würden weiter verstärkt, erklärte die israelische Armee. Ziel sei eine „Deeskalation durch Eskalation“, ließen sich israelische Regierungsvertreter von der Nachrichtenseite Axios zitieren. Kurz vor den jüngsten Luftangriffen im Libanon hatte Israel die Führungsriege einer Hisbollah-Elitetruppe mit einem Luftangriff in Beirut getötet. Rund 40 Menschen starben bei Explosionen von Hisbollah-Funkempfängern und -Funkgeräten, die vom israelischen Geheimdienst manipuliert worden waren.

Warnung vor Eskalation des Konflikts

Derzeit gibt es keine Anzeichen für eine Bodenoffensive Israels im Libanon, doch die gegenseitigen Angriffe mit Kampfjets und Raketen könnten in einen neuen Krieg im Nahen Osten umschlagen. Die Region stehe „am Rande einer Katastrophe“, warnte die UN-Koordinatorin für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert. Es gebe keine militärische Lösung.

Israels Regierung sieht das offenbar anders. Mit den Luftangriffen und Geheimdienstaktionen will sie im Verhältnis zur Hisbollah den Zustand von vor dem 7. Oktober vorigen Jahres wieder herstellen: Vor dem Ausbruch des Gaza-Krieges bekämpften sich Israel und die Hisbollah an der israelisch-libanesischen Grenze, ließen die Gefechte aber nicht eskalieren. Seit dem 7. Oktober schießt die Hisbollah fast täglich Raketen und Drohnen auf Israel ab, um die Hamas in Gaza zu unterstützen. Israel antwortet mit Luftschlägen.

Rolle des Iran

Jetzt fühlt sich Israel wegen seiner militärischen und geheimdienstlichen Überlegenheit stark genug, um den Druck zu erhöhen. Bedenken des Partners USA, der eine diplomatische Lösung befürwortet, werden ignoriert. Trotzdem gilt nach Äußerungen aus der israelischen Regierung nach wie vor, dass ein neuer Krieg im Libanon vermieden werden soll. Auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte zwar Vergeltung für die jüngsten israelischen Angriffe angekündigt, Israel aber nicht den Krieg erklärt.

Nasrallahs Schutzherr, der iranische Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei, ruft ebenfalls nicht zu den Waffen. Khamenei und Nasrallah sind militärisch im Nachteil. „Khamenei steckt in der Klemme“, sagt der Iran-Experte Arash Azizi von der Universität Boston in den USA. Azizi sagte unserer Zeitung. Khamenei wisse, „dass seine militärischen Optionen begrenzt sind und dass eine Eskalation schlimme Folgen für sein Regime und seine Bemühungen um eine Erholung der iranischen Wirtschaft haben könnte“.

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Erstellt:
22. September 2024, 14:34 Uhr

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