Studie über Klimaveränderungen
Wie war der Sommer in Deutschland vor 300.000 Jahren?
Auf der Erde wird es aufgrund des Klimawandels immer wärmer. Um genauere Klimamodelle zu erstellen, blicken Forscher auch zurück in die Vergangenheit. Die TU Braunschweig hat nun die Temperaturentwicklung vor 300.000 Jahren in Norddeutschland rekonstruiert – anhand von fossilen Zuckermückenlarven.
Von Markus Brauer
Wie war der Sommer in Norddeutschland vor 300 000 Jahren? Wärmer oder kälter? Wie stark haben sich die Temperaturen verändert?
Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) Braunschweig Sedimente des ehemaligen Tagebaus Schöningen untersucht, der weltweit zu einem der wichtigsten Orte der Archäologie zählt. Im Fokus standen dabei Fossilien eines winzigen Insekts: der Zuckmücke. Die Studie ist im Fachmagazin „Boreas“ erschienen.
Summer temperatures from the Middle Pleistocene site Schöningen 13 II, northern Germany, determined from subfossil chironomid assemblages - Rigterink - Boreas - Wiley Online Library https://t.co/66mpLGf4rz — Boreas (@BoreasJ1972) April 15, 2024
Klima der Vergangenheit – Klima der Zukunft
Vor dem Hintergrund des Klimawandels wird ein Blick auf die Warmzeitperioden des Mittelpleistozäns (781 000 bis 127 000 Jahre vor heute) immer wichtiger, um das Klima der Vergangenheit besser zu verstehen.
Diese Zeiträume können als Vergleichsgrundlage für die natürlichen Klimaschwankungen der gegenwärtigen nacheiszeitlichen Warmzeit, dem Holozän, dienen und so wertvolle Erkenntnisse über die heutigen, vom Menschen verursachte Klimaerwärmung liefern. Damit können Wissenschaftler auch genauere Klimamodelle entwickeln.
Sedimente mit Speeren und Zuckmückenlarven
Der ehemalige Tagebau in Schöningen ist weltbekannt für die Entdeckung der ältesten, hölzernen Jagdwaffen der Welt. Die circa 300 000 Jahre alten Wurfspeere konnten sich in den kalkreichen Sedimenten eines ehemaligen Sees gut erhalten und bezeugen heute die außergewöhnlichen Fähigkeiten des „Homo heidelbergensis“, einem Vorfahren des Neandertalers, der zu dieser Zeit an den Ufern des Sees Jagd auf Waldelefanten und Wildpferde machte.
Neben den Speeren waren in den Sedimentschichten auch Mückenlarven konserviert, die Informationen zu vergangenen Umweltbedingungen mit einschlossen. Ein aktuelles Forschungsprojekt in Schöningen, unter Federführung des Instituts für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) der TU Braunschweig, befasst sich mit sogenannten Bioindikatoren.
Fossilien geben Aufschluss über Temperaturveränderungen
Die aquatischen Mikroorganismen – also Mikroorganismen, die in wässrigen Umgebungen leben und eine grundlegende Rolle in der ökologischen und biologischen Funktionalität von Gewässern spielen – können als „Frühwarnsysteme“ dienen, indem sie schnell und empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensraums reagieren.
Die fossilen Überreste von Zuckmückenlarven (Chironomiden), Muschelkrebsen (Ostrakoden) und Kieselalgen (Diatomeen), die in den Sedimenten erhalten geblieben sind, können somit Aufschluss über zum Beispiel Temperaturveränderungen und, Eutrophierung, also eine Nährstoffanreicherung im See oder Seespiegelschwankungen, geben.
Vor 300 000 Jahren zwischen 16 und 22 Grad warm
„Zuckmückenlarven eignen sich besonders, um die vergangene Temperaturentwicklung zu rekonstruieren, da ihr Stoffwechsel, ihre Ernährung und ihre Fortpflanzung maßgeblich durch die Wassertemperatur gesteuert werden“, erklärt Sonja Rigterink von der TU Braunschweig.
„Dabei vergleicht man mit statistischen Methoden die fossile Zuckmückenarten-Vergesellschaftung mit einem modernen Kalibrierungsdatensatz, der die Temperaturoptima der Zuckmückenarten, also den Temperaturbereich, in dem sich die jeweilige Art am wohlsten fühlt, enthält.“
Die Analyse der fossilen Zuckmücken aus den Sedimenten der sogenannten Reinsdorf Sequenz aus Schöningen ergab, dass die Sommer zwischen 16 und 22 Grad warm waren. Dabei lagen während kalter Steppe-Phasen die Temperaturen höher als in gemäßigteren Wald-Phasen aufgrund einer ausgeprägteren Kontinentalität mit heißen Sommern und kalten Wintern. Im Vergleich zu heute waren die Temperaturen vor 300 000 Jahren damit im Schnitt zwischen 0,5 Grad niedriger und bis zu 2 Grad höher.