Abbau von Regulierung

Wie zu viel Bürokratie in der EU Unternehmen bremst

Die Kommission in Brüssel hat den massiven Abbau der Bürokratie versprochen. Europas Unternehmer hören das gern, doch die Zweifel sind groß.

Aktenregale in einem Betrieb

© /imago stock&people

Aktenregale in einem Betrieb

Von Knut Krohn

Bürokraten haben einen schlechten Ruf. Der ist allerdings nicht immer gerechtfertigt. Denn ohne ihr Wirken würde die Wirtschaft im Chaos versinken. Gesetze und Regeln sorgen für Rechtssicherheit und schaffen erst den Rahmen, in denen unternehmerische Entscheidungen verlässlich gefällt werden können. Das ist die Voraussetzung für gesundes Wirtschaftswachstum. Wie in der Medizin ist allerdings auch im Fall der Bürokratie die Dosis entscheidend dafür, ob sie hilft oder schädlich ist.

Enormer Bürokratieaufwand

Glaubt man einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts, ist die Grenze zum Schädlichen in Deutschland inzwischen weit überschritten. So sei allein der Zeitaufwand enorm hoch, die Vorgaben zu bewältigen, kritisieren die Befragten. Fast ein Viertel der Arbeitszeit (22 Prozent) würde auf das Ausfüllen von Formularen, Statistiken, Dokumentationspflichten oder andere bürokratische Tätigkeiten verwendet.

Die Autoren der Umfrage rechnen vor, dass der Bürokratieaufwand sechs Prozent des Umsatzes der Unternehmen entspricht. Das bedeutet, dass viel Personal für unproduktive Tätigkeiten eingesetzet werden muss sowie langsamer agiert und investiert werden kann.

„Weniger Bürokratie bedeutet nicht, dass weniger Ordnung herrscht“, betonte Rainer Reichhold, Präsident der Handwerkskammer Region Stuttgart bei einem Wirtschaftsgipfel des Landes in Brüssel. Er äußert das Gefühl, dass die Politik den Betrieben in diesem Fall einfach zu wenig Vertrauen entgegenbringt. „Das System funktioniert nur, wenn jeder sich entfalten kann. Dazu brauchen wir aber eine gewisse Bewegungsfreiheit.“

Laut der vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebenen Ifo-Studie werden vor allem jene Vorgaben als wenig praxistauglich bewertet, die von weit entfernten Ebenen beschlossen wurden. Ganz oben rangiert in diesem Fall die Europäische Union. Nicole Hoffmeister-Kraut spricht auf dem Wirtschaftsgipfel von einem gewissen Hang zum Brüsseler Dirigismus. Die Landeswirtschaftsministerin ist der Meinung, dass es an der Zeit wäre, „systematisch zu prüfen, ob eine Regulierung überhaupt notwendig ist“ und das Regelwerk der EU auf „Wirksamkeit und Effizienz zu evaluieren“.

Ein Dorn im Auge der Ministerin sind offensichtlich die Regelungen im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit, wo nach ihren deutlichen Worten „marktwirtschaftliche Instrumente Vorrang erhalten sollen, anstatt durch Überregulierung oder Verbotspolitik Fortschritte zu erschweren“. Dann wird Hoffmeister-Kraut konkret und fordert „wichtige Justierungen an Rechtsakten“. Bereits deren Bezeichnungen lassen den bürokratischen Aufwand erahnen, der hinter ihnen steckt: Medizinprodukteverordnung, Lieferkettengesetz, Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Zumindest in einem Fall ist die Wirtschaftsministerin überraschend schnell erhört worden. Die von vielen Seiten kritisierte Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten ist vorerst vom Tisch. Das Europaparlament hat kurz vor Weihnachten die neuen Vorschriften für große Unternehmen auf Ende nächsten Jahres verschoben, für kleine und mittlere Firmen auf Mitte 2026.

Handelskammer macht Vorschläge

Massive Kritik an dem Gesetz zum Schutz des Regenwalds und anderen Vorgaben aus Brüssel kommt auch von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Sie will aber nicht nur meckern, sondern präsentierte jüngst einen Katalog von mehr als 50 Ideen für den Abbau von Bürokratie. Sie betreffen vor allem EU-Gesetze, die nach Einschätzung des Verbands zu hohem zeitlichem Aufwand oder anderen formalen Schwierigkeiten führen. Innovationen würden ausgebremst, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gemindert, heißt es in dem Bericht. Auch Digitalisierung und Nachhaltigkeit sieht die DIHK gefährdet: Lange Genehmigungsverfahren seien ein Problem, weil sie die Modernisierung der Infrastruktur und von Gebäuden hemmten.

Regelungen auf ihre Folgen überprüfen

Zu den für Unternehmen „besonders belastenden Rechtsakten“ zählt die DIHK neben dem Entwaldungsgesetz auch die Verordnung über grüne Werbeversprechen (Green Claims), mit der die EU das sogenannte Greenwashing von Produkten bekämpfen will. Es sei dringend notwendig, solche Regelungen zu überarbeiten. Denn anders als vom Gesetzgeber vorgesehen, träfen die Berichtspflichten auch kleine und mittlere Unternehmen. Auch sollten Regelungen künftig von Beginn an stärker auf Folgen für die Betriebe hin kontrolliert werden.

Eine Initiative der EU-Kommission, 25 Prozent der bestehenden Berichtspflichten abzubauen, bezeichnete die DIHK als „ersten Schritt in die richtige Richtung“. In der neuen Kommission soll Bürokratieabbau zu den Kernaufgaben des designierten Wirtschaftskommissars Valdis Dombrovskis gehören.

Ziel: Berichtspflicht um 25 Prozent reduzieren

Outi Slotboom, Direktorin für Strategie und Wirtschaftsanalyse in der Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission, betonte auf dem Wirtschaftsgipfel, das Problem sei erkannt. Sie sagte, die Vorbereitungsarbeiten zum Abbau der Berichtspflichten im gesamten EU-Rechtsbestand hätten bereits begonnen. In den sogenannten Mission Letters an die neuen Kommissare hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Team aufgefordert, zur Zielvorgabe beizutragen, die Berichtspflichten um 25 Prozent zu reduzieren. Für kleine und mittelständische Unternehmen sollen es sogar mindestens 35 Prozent sein. Man versuche von der „exzessiven Regulation“ wegzukommen, versprach Slotboom.

Bei diesem Satz spitzte Rainer Reichhold die Ohren. „Ich höre diese Botschaft sehr gern“, sagte der Stuttgarter Handwerkskammerpräsident, bleibt aber skeptisch. „Wir ziehen im nächsten Jahr die erste Bilanz.“

Zum Artikel

Erstellt:
26. Dezember 2024, 16:18 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen