Wieder Ansturm auf Mehl aus der Region

Wegen des Ukrainekriegs fürchten viele Menschen um die Versorgung mit Lebensmitteln – und kaufen unter anderem die Mehlregale im Supermarkt leer. Das führt dazu, dass sich in den Mühlenläden der Region lange Schlangen bilden.

Dennis Antony (rechts) bedient Kunden der Seemühle. Aktuell ist der Andrang in Unterweissach wieder extrem hoch. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Dennis Antony (rechts) bedient Kunden der Seemühle. Aktuell ist der Andrang in Unterweissach wieder extrem hoch. Foto: J. Fiedler

Von Kristin Doberer

Rems-Murr. Sonnenblumenöl und Weizenmehl sind die aktuellen Verkaufsschlager in den europäischen Supermärkten. Die Sorge vor Lieferengpässen wächst, da Russland und die Ukraine einen Großteil dieser Exporte abdecken und einige Menschen wieder zu Hamsterkäufen tendieren. Zum Teil sind diese Regale in Supermärkten wieder fast leer, einige Märkte beschränken die Kaufmenge. Und so versuchen viele, die im Supermarkt nicht mehr fündig werden, ihr Mehl direkt bei den Mühlen der Region zu besorgen. Bei der Rümelinsmühle in Murrhardt zum Beispiel standen die Kunden in den vergangenen Tagen immer wieder Schlange, die Einkaufsmenge habe sich extrem gesteigert. „Manche Leute haben für 400 Euro Mehl gekauft“, erzählt Müller Hartmut Kugler, der mittlerweile aber auch nicht mehr in so großen Mengen verkauft. „Es soll ja für alle noch etwas da sein.“ Für solche Hamsterkäufe hat er wenig Verständnis, Mehl werde in Deutschland bei normalem Einkaufsverhalten nicht knapp, nur eben teurer, da der Getreidepreis gerade durch die Decke geht und er das zumindest teilweise an die Kunden weitergeben muss (siehe Infokasten).

Und noch weniger Verständnis hat er für die Rücksichtslosigkeit einiger weniger Kunden. „Ich war geschockt, wie sich manche Leute aufführen. Wie respektlos manche waren, weil sie kurz warten oder eben etwas mehr als sonst zahlen mussten“, erzählt er. Zwar gebe es viele nette Kunden, aber gerade die wirklich unfreundlichen rauben die Kraft. So sehr, dass er am vergangenen Mittwoch kurzerhand seinen Mühlenladen für einen Tag geschlossen hat. Auf einem Zettel stand: „Die Mühle ist heute wegen Hamsterkäufen und teilweise recht unfreundlichen Kunden geschlossen.“ Aktuell arbeite er sieben Tage die Woche in der Mühle, von 3.30 Uhr morgens bis in den Abend. „Ich muss ja mehr machen als nur verkaufen“, sagt er. Das Mahlen selbst, Ware abpacken und einräumen, die Mühle reinigen, neue Ware bestellen, sich um den Bürokram kümmern und vieles mehr. „Und wenn sich dann jemand aufführt, weil er warten muss, dann finde ich das respektlos.“ Gerade auch mit Blick auf das Leid, das gerade in der Ukraine herrscht, findet Kugler solch ein Verhalten unangebracht und unverhältnismäßig. Nun hat sein Mühlenladen wieder ganz normal geöffnet.

„Diesmal haben wir vorher die Notbremse gezogen“

Auch bei der Seemühle in Unterweissach herrscht seit zwei Wochen Ausnahmezustand. Wo für gewöhnlich Zeit für eine ausführliche Beratung und auch ein Pläuschchen war, herrscht jetzt hektische Betriebsamkeit. „Leider bleibt für so was kaum Zeit, die Leute werden eher schnell abgefertigt, damit die Schlange kürzer wird“, sagt Christina Antony, die Tochter des Mühlenbetreibers Manfred Thiel. Aufgrund der hohen Nachfrage läuft die Mühle aktuell Tag und Nacht, die ganze Familie sei rund um die Uhr im Einsatz. Ganz ähnlich war der Ansturm bereits vor etwa zwei Jahren zu Beginn der Coronapandemie. Für zwei Monate stand die Mühle damals nie still (wir berichteten). Nie hätte die Familie Thiel gedacht, dass so etwas noch mal passieren könnte. Diesmal allerdings habe die Familie die Vorzeichen für den kommenden Ansturm erkannt. „Nach und nach sind auch Kunden gekommen, die normal nicht bei uns einkaufen, sondern in Discountern oder anderen Geschäften“, erzählt Antony. „Diesmal haben wir vorher die Notbremse gezogen und Lieferungen an Wiederverkäufer vorerst eingestellt.“ Das heißt, große Lebensmittelhändler, die normalerweise von der Mühle beliefert werden, bekommen vorerst nichts. Die Massen an Mehl, die diese zuletzt bestellt haben, seien für den kleinen Familienbetrieb schlicht nicht leistbar gewesen. Auch den Verschickdienst, den Kunden aus ganz Deutschland eigentlich gerne annehmen, mussten sie nun aussetzen. „Die Nachfrage war nicht mehr zu schaffen, zum Teil waren zwei Leute nur damit beschäftigt, Pakete zu packen und zu verschicken“, sagt sie. Durch die gestiegene Nachfrage sei es der Müllerfamilie vielmehr wichtig, dass zunächst die Kunden im Laden versorgt werden, „die gehen vor“. Sie hoffe nur, dass die Wiederverkäufer und die Online-Kunden dafür Verständnis haben und als Kunden erhalten bleiben.

Auch Hamsterkäufen in den Mühlenläden

In dem Mühlenladen kaufen nicht nur deutlich mehr Menschen ein, sie kaufen auch größere Mengen. Antony habe zum Teil Verständnis: „Die Leute haben Angst und wollen Sicherheit. Sie sehen wieder leere Regale und wollen einen Vorrat zu Hause haben.“ Dabei sei in Deutschland eigentlich genug Weizen vorhanden, bei normalem Einkaufsverhalten wäre Mehl nicht so schnell Mangelware, nur eben deutlich teurer.

Das bestätigt auch Michael Stuber, Leiter des Landwirtschaftsamts im Rems-Murr-Kreis. „Noch fehlt es nicht an Getreide.“ Dass die Preise gerade durch die Decke gehen, liege vielmehr daran, dass der Getreidepreis am Weltmarkt gemacht wird. Auch sei die Preissteigerung eine Folge der Angst, was die Zukunft bringt. „Es ist unklar, ob die Felder in der Ukraine in diesem Jahr bestellt werden können.“ Knappheit sei aber nicht zu befürchten, da Baden-Württemberg sich bei Getreide komplett selbst versorge. Trotzdem haben sich die Lagerräume der regionalen Mühlen durch die gestiegene Nachfrage und die gesteigerte Produktion deutlich geleert. „Eigentlich hatten wir so viel Weizen gelagert, dass es bis Weihnachten reicht“, sagt Christina Antony. Nun aber müsse sich die Müllerfamilie langsam nach Nachschub umsehen, um der hohen Nachfrage weiter gerecht zu werden. Allerdings können sie das Getreide nun nicht zu den üblichen Preisen nachkaufen, aktuell liegt der Einkaufspreis rund 60 Prozent darüber. Dabei verwenden sie gar keinen Weizen aus der Ukraine oder Russland. „Wie lange wir das durchhalten, kann ich nicht einschätzen“, sagt Antony.

Allgemein steigende Einkaufspreise machen Bäckern zu schaffen

Für Bäcker der Region ist der steigende Mehlpreis ein Problem, aber lange nicht das einzige. „Gerade wird alles teurer – ohne Ausnahme“, sagt Friedrich Mildenberger. Im Vergleich zum Oktober sei der Preis für Mehl um 60 Prozent gestiegen, der Preis für Butter um 120 Prozent. Und am gravierendsten seien die Energiekosten für die Öfen, der Preis für Gas beispielsweise sei um rund 200 Prozent gestiegen. „Aber auch Papier, Kaffee, Entsorgung, Fleisch – nichts bleibt verschont.“ Bisher habe es in den Mildenberger-Filialen noch keine Preissteigerung gegeben, aber wenn sich an der aktuellen Situation nicht bald Entspannung einstelle, werde er darum nicht herumkommen. „Das kann keine Bäckerei schaffen“, meint er. Am Personal könne und wolle er nicht sparen und lange Zeit könne man die gestiegenen Einkaufspreise nicht einfach so hinnehmen.

An anderer Stelle kann Mildenberger aber für Beruhigung sorgen. Aktuell mache er sich keine Sorgen um Lieferprobleme bei Weizenmehl, das Brot werde nicht ausgehen. „Wir haben schon lange die gleichen lokalen Mehllieferanten“, sagt er. Er habe Vertrauen in die Zusammenarbeit mit diesen und betont auch, dass man in der aktuellen Lage zusammenhalten muss. „Wir haben eigentlich einen Vertrag bis September mit gleichen Preisen. Aber unser Müller muss Weizen schon teurer einkaufen, als er Mehl dann an uns weiterverkaufen kann.“ Für ihn seien eher Lieferengpässe bei anderen Dingen ein Problem, zum Beispiel bei Öfen oder ähnlichen Dingen. „Das kommt noch zu den Preisen dazu.“

Preisanstieg und Versorgung

Russland und Ukraine Die beiden Länder gelten als Kornkammern der Welt, zusammen decken sie ein weltweites Handelsvolumen von 30 Prozent bei Weizen und 32 Prozent bei Gerste ab. Außerdem ist die Ukraine der Haupterzeuger von Sonnenblumen und daraus entstehenden Produkten.

Versorgungssicherheit Trotzdem sei die Versorgung mit Getreide in Deutschland vorerst gesichert, erklärte Björn Fromm, Vizepräsident des Handelsverband Deutschland. Deutschland ist in der EU nach Frankreich der zweitgrößte Getreideproduzent.

Weizenpreis Bereits zu Beginn des Jahres erlebte der Preis für das Getreide an den Agrarmärkten einen Höhenflug, der durch den russischen Angriffskrieg nochmals verstärkt wurde. Der Krieg hat eine Preisexplosion mit sich gebracht.

Landwirtschaft Noch dazu treiben die allgemein steigenden Preise auch die Herstellungskosten von regionalem Getreide in die Höhe. Zum einen belasten die hohen Dieselpreise die Landwirte, auch Saatgut ist teurer geworden. Bei den Düngemitteln sieht es laut Landesbauernverband noch ungünstiger aus. Hier machen sich fehlende Lieferungen aus Russland und der Ukraine bemerkbar, zum Teil habe sich der Einkaufspreis verdreifacht.

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Erstellt:
24. März 2022, 06:00 Uhr

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