Quadrell bei RTL und ntv
„Wir halten uns die AfD vom Hals“ – Merz punktet mit Wut auf Weidel
Die Runde von vier Kanzlerkandidaten lieferte einen spannenden Schlagabtausch. CDU-Chef Merz verbittet sich darin Belehrungen vom US-Vizepräsidenten Vance. Und keiner will ins Dschungelcamp.
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© dpa/Kay Nietfeld
Bei RTL/ntv traten die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD, v. l.), Robert Habeck (Grüne), Friedrich Merz (CDU) und Alice Weidel (AfD) zum Quadrell an.
Von Christoph Link
Das war nach einer etwas drögen Anfangsphase zum Thema Migration ein munterer, unterhaltsamer Schlagabtausch beim zweistündigen Quadrell der Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU), Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD) bei den privaten Sendern RTL und ntv am Sonntagabend.
Zur Rezeptur der Sendung gehörten einerseits die zum Teil in trockene Ironie verpackten Fragen des Moderators Günther Jauch, der Merz beispielsweise fragte, ob denn eine möglich Ausweitung des Machtanspruchs von Wladimir Putin auf die baltischen Staaten und Polen – das war ja zum Teil auch mal russisches Großreich – auch die frühere Sowjetische Besatzungszone, also Ostdeutschland, treffen könnte. Und Merz murmelte, „könnte in die Richtung gehen“.
Oder Jauch fragte Scholz, ab wann man eigentlich „reich“ sei, wo die SPD doch die Reichen besteuern wolle, und der antwortete, gemeint seien so Einkommen die er selbst, Merz oder Weidel erzielten, so um die 300.000 Euro im Jahr, aber nicht die 3750 Euro netto, die ein Single verdiene, wie es mal kolportiert worden sei. Und dann setzte Scholz steuerpolitisch einen Seitenhieb auf die AfD-Chefin Alice Weidel, die in der Besteuerung der Bürger „ja noch mehr zuschlagen will als Herr Merz und die FDP“.
Thema Migration steht zu Beginn im Vordergrund
Auch die Moderatorin Pinar Ataly überzeugte mit präzisen, knappen Fragen und es fiel auf, dass sie es war, die fast alle an Alice Weidel gerichtete Fragen stellen musste, und so – von Frau zu Frau – irgendwie beruhigend wirkte auf die AfD-Vorsitzende.
Dass sich Weidel beim Thema Migration aufregte, war allerdings nicht zu verhindern. Ihre Partei werde die illegale Migration stoppen durch eine Überwachung der Grenzen, sie werde „konsequent“ illegale und ausländische Straftäter vom ersten Tag im Amt an abschieben und im Übrigen sei es die Politik, die die Ampel-Regierung „zu verantworten“ habe, wenn „beinahe tagtäglich Menschen auf der Straße umgebracht werden“.
Das war natürlich starker Tobak, die anderen drei Studiogäste versuchten es mit Sachlichkeit: Scholz betonte die bisher erfolgte Leistungsbilanz, 100.000 Asylanträge weniger im Jahr 2024 und 70 Prozent mehr Abschiebungen, ein Abschiebeflug nach Afghanistan, so wolle man weiter machen.
Habeck sagte, dass die Taliban in Afghanistan ein Terrorregime seien und die noch laufenden Rückführungen von Afghanen nach Deutschland Personen beträfen, die einst mal Mitarbeiter westlicher Truppen und Verbündete gewesen seien. Merz kündigte an, mit solchen Rückführungen Schluss zu machen. „Wir sind die einzigen in Europa, die immer noch ohne Kontrolle Flüchtlinge aus Afghanistan hineinlassen.“
Entsetzen über J. D. Vance
Drei zu eins – alle gegen Weidel - war das Stimmenverhältnis dann auch beim Thema Donald Trump und die neue Linie der USA. Merz, Habeck und Scholz äußerten Entsetzen über die Rede von US-Vizepräsident James David Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz, der vor einer Brandmauer gegen rechte Parteien in Europa gewarnt hatte, und Merz sagte deutlich: „Ich lasse mir von einem US-Vizepräsidenten nicht sagen, mit wem ich hier in Deutschland zu sprechen habe.“ Er verbitte sich solche Einmischungen in den deutschen Wahlkampf.
Scholz nannte die Rede von Vance „völlig inakzeptabel“ und Habeck sah darin gar einen „Frontalangriff auf die Wertegemeinschaft des Westens“, auf die Rechtsstaatlichkeit und die liberale Demokratie, im Prinzip einen Trend zum libertären, zügellosen System. Europa dürfe sich vor solchen USA auf keinen Fall „in den Staub werfen“.
Ganz anders sprach Alice Weidel. „Gott sei dank ist jetzt Trump am Ruder“, meinte die AfD-Chefin, sie begrüße es, dass Vance sich so deutlich gegen eine Brandmauer gegen Rechte und für Meinungsfreiheit in Europa ausgesprochen habe und die USA jetzt endlich für einen Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland einträten. „Für diese Forderung sind wir drei Jahre lange übelst beschimpft worden.“
Bei ihren späteren Ausführungen zum Verhältnis zu Russland ist Weidel dann mehrfach von Habeck unterbrochen worden, der ihr „Liebesgrüße nach Moskau“ und eine „Unterwerfung unter Russland“ vorwarf und einmal – als sie von der etwaigen Entsendung deutscher Soldaten in die Ukraine im Falle einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern sprach - rief er dazwischen: „Lüge! Ich mache das nicht länger mit.“
AfD - eine Natter am Hals?
Der energischste Widerspruch zu Alice Weidel kam in dieser Sendung allerdings von Friedrich Merz. Er warf Weidel vor, dass sie in einem Interview mit der „Bild“ den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke für ein Ministeramt geeignet gehalten habe. „Das zeigt, wes Geistes Kind Sie sind“, so Merz. Höcke sei ein Mann, den man ungestraft Nazi nennen dürfe, mit Höcke, so Merz, würde er sich „nicht einmal in einen Raum setzen“. „Die Wahrheit ist, dass Sie, Frau Weidel, außerhalb dessen stehen, was die Bundesrepublik in der Substanz braucht.“
Auf ein früheres Zitat von Friedrich Merz zur AfD, wer sich eine Natter halte, den beiße sie irgendwann mal tot, setzte Jauch die Frage an, wieweit denn die AfD ihm schon am Hals stehe nach dem gemeinsamen Abstimmen im Bundestag zu einem Migrationsantrag. Merz antwortete daraufhin: „Gar nicht. Wir halten uns die AfD vom Hals.“
Auf ein früheres Zitat von Friedrich Merz zur AfD, wer sich eine Natter halte, den beiße sie irgendwann mal tot, setzte Jauch die Frage an, wieweit denn die AfD ihm schon am Hals stehe nach dem gemeinsamen Abstimmen im Bundestag zu einem Migrationsantrag. Merz antwortete daraufhin: „Gar nicht. Wir halten uns die AfD vom Hals.“
Auffällig war zudem Merz’ klarer Kurs gegen Scholz, der gepaart war von gelegentlich indirektem Lob für den SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Scholz punktet im Sozialen
Scholz punktete wohl am meisten mit seinen sozialpolitischen Vorstellungen („Bin stolz auf das Zurückdrängen des Mindestlohnsektors“) und auch in der Demontage der Vorstellung der Union, wie sie die infolge ihres Wahlprogramms rund 100 Milliarden Euro jährliche Unterfinanzierung eigentlich decken wolle. „Wenn Sie das mit Wirtschaftswachstum machen wollen, brauchen Sie ein Wachstum von neun bis zehn Prozent“, sagte Scholz.
Unwidersprochen blieb in der Sendung, dass mögliche Koalitionsoptionen nach der Wahl Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün sein werden, und Merz sagte zum „Nein“ von CSU-Chef Markus Söder zu einer Koalition mit den Grünen: „Herr Söder schreibt mir gar nichts vor.“
Ein einziges Mal, bei der Wohnungspolitik und der Bebauung des Tempelhof-Geländes in Berlin, die gegen den Bürgerwillen durchzusetzen sei, herrschte auch Einvernehmen zwischen CDU und SPD: Er müsse das auch mal sagen, da sei man jetzt einer Meinung, bemerkte Scholz.
Im gesamten Quartett herrschte auch Konsens darüber, dass ein Aufenthalt in der Opposition auf jeden Fall besser sei als eine Reise ins Dschungelcamp. Einen Moment der Stille gepaart von einem leicht süffisantem Gesichtsausdruck von Alice Weidel gab es, als Günther Jauch davon sprach, dass sie, Alice Weidel, vielleicht 2029 Bundeskanzlerin werde, wenn die Parteien der Mitte es nicht schafften, ihre Grabenkämpfe zu überwinden und die Probleme des Landes in der nächsten Legislaturperiode lösen.
Friedrich Merz hatte da das Schlusswort, es handele sich hier nicht um Grabenkämpfe, sondern um einen wichtigen Austausch von Meinungen der Parteien, aber wenn man die Probleme des Landes – allen voran in der Wirtschaft und bei der Migration – nicht löse, dann werde das dem rechten und linken Populismus Vorschub geleistet.