Wird ein Komiker Präsident der Ukraine?

Wladimir Selenski spielt das Staatsoberhaupt in einer Serie und kandidiert jetzt auch im realen Leben für das Amt – Quereinsteiger liegt in allen Umfragen vorn

Kiew Die sonore Stimme ist ihm von Natur gegeben. Gesten und Mimik hat er sich abgeguckt. Kein Zweifel: Wladimir Selenski kann Präsident. Zumindest auf der Bühne. Dort schlüpft der Schauspieler und Komiker gern in die Rolle des Amtsinhabers Petro Poroschenko. Süßwarenfabrikant Poroschenko ist jener Mann, der nach der Kiewer Maidan-Revolution, der russischen Krim-Annexion und zu Beginn des Donbass-Krieges im Mai 2014 an die Staatsspitze gewählt wurde, um die Ukraine aus der tiefsten Krise ihrer Geschichte zu führen, der seinen süßen Versprechen aber kaum Taten folgen ließ.

Genau diesen Zustand will Selenski nun beenden. Der 41-Jährige hat das Fach gewechselt und die politische Bühne betreten, um Poroschenko bei der ukrainischen Präsidentenwahl an diesem Sonntag herauszufordern. Seinen Landsleuten präsentiert er sich in diesem wahrhaft komischen Wahlkampf als skandalfreier Quereinsteiger und Volksdiener. „Diener des Volkes“ heißt auch die Fernsehserie, in der Selenski einen Lehrer spielt, der nach einer im Internet geteilten Brandrede zum Präsidenten aufsteigt.

Und auch im realen Leben könnte er diesen Aufstieg schaffen. Der Schauspieler führt alle Umfragen an: Die jüngste Erhebung des unabhängigen Rejting-Instituts sieht Selenski in dem 20 Personen starken Bewerberfeld um die Präsidentschaft bei rund 25 Prozent der Stimmen, weit vor Julia Timoschenko (18,8), die nach zwei knappen Niederlagen zum dritten Mal in Folge antritt, sowie Poroschenko mit 17,4 Prozent. Doch damit nicht genug. Sollte Selenski in eine Stichwahl gegen Timoschenko oder Poroschenko einziehen, dann wäre er in der Abstimmung klarer Favorit.

Entschieden ist allerdings noch nichts. Selenski steht unter Verdacht, eine Marionette des mächtigen Geschäftsmanns und Medienmoguls Igor Kolomoiski zu sein, der zu Poroschenkos Intimfeinden zählt. Und ob die Ukrainer am Ende wirklich bereit sind, ihr Kreuz für einen „an Strippen baumelnden Clown“ als Präsidenten zu machen, wie Selenskis Gegner lästern, wird wohl bis zum Schluss offenbleiben. Zu ernst ist die Lage des Landes, in dessen östlichen Regionen noch immer ein separatistischer Krieg tobt, mit mittlerweile fast 13 000 Toten. Das ­Verhältnis zu Russland ist weiter extrem ­angespannt.

Auch in der Innenpolitik kann von einer Überwindung der Dauerkrise keine Rede sein. Die Korruption blüht unverändert, und die Wirtschaft hat den Absturz nach der Finanzkrise von 2009 noch nicht überwunden. Für das laufende Jahr musste der Internationale Währungsfonds dem zweitgrößten Flächenstaat Europas einen Großkredit in Höhe von 3,4 Milliarden Euro gewähren. Seit dem Kriegs- und Krisenjahr 2014 sind so bereits elf Milliarden zusammengekommen.

Für die Vielzahl der Probleme machen die Menschen im Land die politische Führung verantwortlich, sprich: Poroschenko. Der weltgewandte Präsident, der im Westen anfangs als Hoffnungsträger galt, ist zwar erst 53 – bei seinen Wahlkampfauftritten kann er die Menschen aber nur noch selten mitreißen und wirkt mitunter ausgebrannt. In seiner Amtszeit hat er keine der zentralen Aufgaben gelöst.

Poroschenko verweist zwar gern darauf hin, dass der einst umstrittene Assoziierungsvertrag mit der EU in Kraft getreten ist und die Ukrainer seit 2017 visumfrei in den Schengenraum reisen können. Aber von der versprochenen Vollmitgliedschaft ist die Ukraine weiter entfernt denn je. Die Visumfreiheit hat zudem zur Abwanderung vor allem junger und gut ausgebildeter Ukrainer geführt.

Sollten die Wähler Poroschenko abstrafen und Selenski durchfallen lassen, könnte am Ende Julia Timoschenko die lachende Dritte sein. Sie ist mit 58 die Älteste im Favoritenkreis und die erfahrenste Wahlkämpferin. Beliebt ist sie vor allem auf dem Land, bei Frauen und älteren Menschen.

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Erstellt:
3. April 2019, 14:18 Uhr

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