Wirtschaftstag in Murrhardt: Aufruf für Bürokratieabbau

Beim sechsten Murrhardter Wirtschaftstag analysiert Professor Hans-Peter Burghof Ursachen und Auswirkungen der Überregulierung. In der Podiumsdiskussion zeigt Expertin Gisela Meister-Scheufelen dann ein „Fitnessprogramm“ mit konkreten, nachhaltigen Lösungsansätzen auf.

Hans-Peter Burghof war der Gastredner beim sechsten Murrhardter Wirtschaftstag. Das Thema des Tages: Bürokratieabbau. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Hans-Peter Burghof war der Gastredner beim sechsten Murrhardter Wirtschaftstag. Das Thema des Tages: Bürokratieabbau. Foto: Stefan Bossow

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Wie gelingt es, die übermäßige Bürokratie in den Griff zu bekommen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen? Dazu bekamen zahlreiche Gäste eine fundierte Analyse und konkrete Maßnahmenvorschläge beim sechsten Murrhardter Wirtschaftstag, der gemeinsam von Stadtverwaltung und Unternehmerforum Oberes Murrtal (Ufom) organisiert wurde. Kurzweilig und schlüssig erklärte Professor Hans-Peter Burghof in seinem Impulsvortrag die Hintergründe des „Riesenproblems“ der Bürokratisierung in Deutschland und der Europäischen Union.

Sie umfasst die sich verselbstständigende Überregulierung durch Vorschriften, Normen und Richtlinien für alles und jedes, ebenso die Verrechtlichung. „Wir glauben, wir müssen das gesamte Leben, ja die ganze Welt gesetzlich regeln, aber das funktioniert nicht auf Dauer“, verdeutlichte der Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim in seinem Gastbeitrag. Und: „Wir in Deutschland machen Monster aus bereits problematischen EU-Richtlinien.“ Ein weiteres Problem sei, dass Bürgerinnen und Bürger sich als „Kunden“ des Staates begreifen: „Wir müssen unsere Erwartungen an den Staat zurückschrauben, weil er nicht alles leisten kann.“

Die Politik muss flexibel reagieren können und darf sich nicht selbst binden

Politische Ziele gelte es sorgfältig abzuwägen, Prioritäten zu setzen und äußerst vorsichtig zu sein bei einklagbaren Tatbeständen: Die Politik dürfe sich nicht selbst binden, sondern müsse flexibel reagieren können. Problematisch seien jedoch das unterschiedliche Deregulierungsverständnis der Parteien und daraus folgende Konflikte innerhalb der regierenden Koalitionen. „Wir brauchen eine Entlastungsallianz für Deutschland und Europa, dazu müssen die Bürgerinnen und Bürger den Druck auf die Politik erhöhen“, forderte Burghof.

In der Podiumsdiskussion, die Bürgermeister Armin Mößner und Ufom-Vorsitzender Stefan Grotzke moderierten, brachte Claus Paal den Frust in der Wirtschaft zum Ausdruck. „Wir müssen den Kampf aufnehmen. Der Kipppunkt ist erreicht. Wegen der Bürokratiebelastung sind Unternehmer nicht mehr in der Lage, sich ums Geschäft zu kümmern“, so der Präsident der IHK Region Stuttgart. Größte Probleme seien die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel und die politischen Rahmenbedingungen.

Differenzierter sah Stefan Grotzke, Geschäftsführer eines global tätigen Unternehmens, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Vorteilhaft seien Infrastruktur, qualifizierte Mitarbeiter und Rechtssicherheit. Nachteilig sei eine Bürokratie, die sofort alles reglementiere, so zum Beispiel die „Riesenchance“ der künstlichen Intelligenz. Wirtschaftsfördernde Impulse wären Entbürokratisierung, bessere Planbarkeit und Berechenbarkeit. Kurzum: ein wirtschaftsfreundliches Klima, um frei für Innovationskraft und Kundenorientierung agieren zu können, fand der Ufom-Vorsitzende.

Bürokratieabbau sollte Chefsache sein

Hauptgründe für die unnötige Bürokratie seien Misstrauen, Einzelfallgerechtigkeit und Perfektionismus des Staates gegenüber Bürgern und Unternehmen, erklärte Gisela Meister-Scheufelen. Die ehemalige Vorsitzende des Landesnormenkontrollrats für Bürokratieabbau schul konkrete Lösungsansätze vor: „Bürokratieabbau sollte Priorität haben, Chefsache in Bund und Land sein, konkrete Ziele verfolgen und einen eigenen Bundestagsausschuss bekommen“. Sie schlug ein „Fitnessprogramm“ vor mit klaren Zielen und konkreten, nachhaltigen Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie.

Zum Beispiel könnte das eine Strukturreform der Landesbehörden beinhalten: „Es gibt zu viele kleine Einheiten, eine Bündelung der Zuständigkeiten ist erforderlich“, sagte Gisela Meister-Scheufelen. Die Bürokratiebelastung gelte es evidenzbasiert und faktenorientiert zu beurteilen und branchenspezifische Kostengrenzwerte einzuführen. Die Juristenausbildung umfasse bisher nur die Anwendung der Gesetze, aber: „Juristen müssen lernen, wie man gute Gesetze macht.“ Um „den Karren wieder flott zu bekommen“, müsse die Politik den Behörden wieder mehr Entscheidungsbefugnisse und -möglichkeiten geben, so Meister-Scheufelen weiter.

Nicht nur Unternehmen, auch Verwaltungen leiden unter Bürokratie

Auch für die Stadtverwaltung „ist fast nichts mehr möglich wegen immer neuer Gesetze und Verordnungen, mit denen wir kämpfen müssen. Es ist drei Minuten vor zwölf“, brachte der Murrhardter Bürgermeister die „haarsträubenden“ bürokratischen Veränderungen auf den Punkt. So umfassten Bebauungspläne früher nur wenige, heute über 100 Seiten wegen der vorgeschriebenen Untersuchungen, Gutachten und Stellungnahmen von Fachbehörden. Da müsse die Politik gegensteuern, Gesetze und Verordnungen weitmöglichst abbauen, damit die Mitarbeiter wieder ihre eigentlichen Aufgaben erledigen können.

Abschließend forderte Burghof dazu auf, die Dynamik der Bauernproteste weiterzuverfolgen, öffentlich Druck auf die Politik zu machen und zu demonstrieren, damit unsere Demokratie weiter funktioniert.

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Erstellt:
18. März 2024, 06:00 Uhr

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