Skitourismus und Klimawandel
Wo die Schneekanonen schweigen
Weil es zu warm ist und der Schnee ausbleibt, bietet ein Tiroler Dorf sein Skigebiet zum Kauf. Manche sehen das als Chance für etwas Neues.
Von Patrick Guyton
Einsam steht die Liftanlage am Berg mit ihren zwei Sesselbahnen und vier Liften. Nichts bewegt sich, die Kassen sind zu, wo „Skilifte Jungholz“ angeschrieben ist, sind die Rollläden runtergelassen. Man könnte schon Ski fahren in diesem auf 1054 Metern Höhe gelegenen Dorf in Tirol, wenn die Anlage denn liefe. Tut sie aber nicht. Denn die Skiliftgesellschaft ist pleite. „Wir stehen nun vor der Herausforderung“, sagt die Bürgermeisterin Karina Konrad, „unseren Gästen ein Schneeerlebnis zu liefern ohne Skifahren.“
Die Alpen werden in den Weihnachtsferien wie immer überströmt von Urlaubern. Doch in Jungholz, dessen Skigebiet vom Berg Sorgschrofen in Höhe von 1500 Metern bis runter direkt an das Dorf reicht, läuft kein einziger Lift. Das Skigebiet wird verkauft, darüber hatte der „Alpenländische Kreditorenverband“ - eine Gläubigerschutz-Vereinigung - schon im Juni 2024 berichtet.
Im Sommer zuvor war die Gemeinde der schon damals in Schieflage geratenen Gesellschaft noch mit 500 000 Euro beigesprungen, 400 000 davon als Bankenbürgschaft. Doch das verzögerte die Insolvenz nur. Mit Beginn der Wintersaison ploppten die Berichte auf. Der „Spiegel“ titelte etwa: „Skigebiet zum Schnäppchenpreis im Angebot“, alles für rund 1,8 Millionen Euro. Geschätzt wird, dass weitere 1,5 Millionen für Investitionen nötig sind.
Lift steht still
Die Berichte darüber, dass sich die Jungholzer von ihrem Skiberg trennen, hat manche der nur 300 Einwohner erbost. Man will nicht vorgeführt werden und braucht keine Negativwerbung. Allerlei wurde hernach spekuliert und fantasiert. Kauft sich nun ein schwer reicher Scheich seinen eigenen Berg mit Liften und allem drumherum? Viele Berichte stimmen mindestens teilweise nicht.
„Wir stehen in guten Verhandlungen mit einem Investor“, erzählt die Bürgermeisterin. „Wir sind fest davon überzeugt, dass die Liftanlage in der Saison 2025/26 wieder öffnet und dann gut betrieben wird.“ Zum Verkauf stehen: Sesselbahnen, Lifte, 46 Schneekanonen, drei Pistenraupen, weitere Fahrzeuge und ein Kinderspielplatz.
Der ganze Berg aber wird nicht verkauft, auch wenn sich eine solche Geschichte medial fabelhaft vermarkten ließe. Abgegeben werden, so heißt es beim Kreditorenverband, „pfandrechtlich belastete Liegenschaften, auf denen die Liftanlagen errichtet sind“. Der Käufer hat also das Recht, auf der Fläche das Skigebiet zu betreiben. Die Eigentumsverhältnisse sind zersplittert, der Berg gehört weiterhin vielen einzelnen Besitzern.
Die Bürgermeisterin Karina Konrad, eine gelernte Bankerin, macht ihren Job ehrenamtlich und erhält eine Aufwandsentschädigung. Sie und der elfköpfige Gemeinderat gehören alle der parteiübergreifenden Liste „Gemeinsam für Jungholz“ an. Konrad ist auch in der konservativen ÖVP - „das weiß hier jeder“, sagt sie.
Sie ist eine freundliche, verbindliche aber resolute Bürgermeisterin. Zum gehandelten Kaufpreis von 1,8 Millionen sagt sie nichts, ebenso wenig über den möglichen Investor. Dabei ist ja klar, dass dies ein versierter Liftbetreiber sein muss, der die Erwartung hat, die Anlage profitabel zu führen. Ein wenig gequält fragt Konrad zurück: „Was ist eigentlich so interessant an Jungholz und uns 300 Einwohnern?“ Das Exemplarische! Jungholz ist eine österreichische Enklave umgeben vom bayerischen Allgäu, jährlich werden bis zu 80 000 Übernachtungen von Urlaubern verzeichnet. Nach Füssen ist es nicht weit, ebenso wenig wie nach Sonthofen oder Oberstdorf. Das Dorf zählt aber zum Tiroler Tannheimer Tal. Mit der Lift-Malaise liegt Jungholz wie unter einem Brennglas, es steht für die ganzen strukturellen Probleme der nicht so hoch gelegenen Alpenorte und Skigebiete.
Chance für etwas Neues
Über die Folgen des Klimawandels ist man sich fraglos einig – auch Karina Konrad. Die Winter werden wärmer, es fällt weniger Schnee, und die Beschneiung mit Schneekanonen ist bei Plus-Graden auch nicht möglich. Viele Skigebiete werden verschwinden, meint etwa die Fachzeitschrift „Nature Climate Change“. Laut deren Berechnung hat bei einer Erderwärmung um zwei Grad im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung die Hälfte der Skiorte in Europa ein sehr hohes Risiko für Schneemangel. Die Skifahrer zieht es immer weiter in die hohen Lagen in Österreich und vor allem in die Dolomiten.
Erst in diesem Frühjahr etwa gab das Skigebiet am Jenner in der Nähe des Königssees ganz auf, die Umstände waren ähnlich wie in Jungholz. Doch die Lifte dort laufen weiter, das ganze Jahr über ist die Region ein Touristen-Hotspot, auch wenn es aus ist mit dem alpinen Ski.
Der zu warme Januar 2024 hat die Skiliftgesellschaft in Jungholz schlussendlich in den Ruin getrieben, sagt die Bürgermeisterin. „Wir hatten gehofft, aber Skifahren war nicht möglich“, so Konrad. Für den jetzigen Winter haben sich die Jungholzer einige Alternativen ausgedacht. „Man kann Wandern und Skitouren gehen“, erklärt Karina Konrad. Die Vereine veranstalten Glühweinabende, es gibt eine Rodel- und eine Eisstockbahn. Außerdem sind Skigebiete anderswo leicht zu erreichen, Unterjoch etwa in sieben Kilometern.
Ein Artikel in der „Allgäuer Zeitung“ vor Weihnachten hat die Jungholzer nicht erfreut. In der Überschrift war eine Einheimische zitiert worden: „Das Dorf ist wie tot.“ Dabei ist vor den Ferien immer wenig los in Jungholz, sagt die Bürgermeisterin. Und wie viele Urlauber - häufig sind es Stammgäste, junge Familien und Ältere - tatsächlich verloren gegangen sind, lasse sich erst nach der Wintersaison ermitteln.
Kaum ein Jungholzer will mehr etwas zur Liftanlage sagen. Auf Anfragen reagieren die meisten überhaupt nicht. Manche schreiben, sie haben nie Zeit. Und ein Gastwirt teilt mit, dass die Bürgermeisterin die Gemeinde sehr gut vertrete.
Bereit zum Gespräch ist aber Stefan Bühler, der Vize-Feuerwehrkommandant. 34 freiwillige Feuerwehrleute haben sie in Jungholz, erzählt er, eine stolze Zahl. Schlimmes passiert sei aber glücklicherweise schon länger nichts mehr. Er ist 33 Jahre alt, Sicherheitsingenieur, stammt aus dem Dorf. Der bedrohte Skisport treibt auch ihn um: „Seit 2023 prasselt das Thema auf uns ein“, sagt Bühler. Im Ort habe es durchaus Streit und „böses Blut“ gegeben: Die einen, sagt er, wollten den Lift unbedingt halten und meinten, dass Jungholz ohne ihn nicht mehr Jungholz sei. Die anderen hätten sich der Forderung nach der Insolvenz gefügt, da ihrer Meinung nach nur ein Schnitt und ein neuer Betreiber eine Chance bedeuteten.
Bühler selbst fragt: „Wie lange werden wir den Liftbetrieb überhaupt noch haben können angesichts des Klimawandels? Zehn Jahre, vielleicht 20?“ Die Kosten seien um ein Drittel gestiegen, doch an immer weniger Tagen konnte man überhaupt noch Ski fahren. „Erst gab es die Grundbeschneiung mit den Kanonen, dann ist wieder alles geschmolzen.“ Der Jungholzer Vize-Feuerwehrkommandant meint: „Jetzt haben wir die Chance, Jungholz ohne Lift als Szenario durchzuspielen. Die Chance für etwas Neues.“