Im Theater Rietenau wird die Vergangenheit lebendig
Bürgerpreis 2023 Seit 2011 bringen Lea und Rolf Butsch mit dem Theater Rietenau selbst geschriebene Stücke auf die Bühne, die sich mit der Historie des Orts und zugleich mit aktuellen gesellschaftlichen Themen und Entwicklungen auseinandersetzen. Das Theater versteht sich als Begegnungsstätte und will die Menschen berühren.
Von Kai Wieland
Aspach. „Wir haben das Theater Rietenau ins Leben gerufen, aber belebt wird es nicht nur von uns“, stellt Lea Butsch klar. Und es stimmt: Bei den jährlichen Aufführungen, so auch beim Stück „Goldgrube“ am letzten Juliwochenende, stehen nicht nur gut 20 weitere Ensemblemitglieder auf der Bühne, sondern in gewisser Hinsicht das ganze Dorf samt seiner bewegten Vergangenheit.
In die Geschichte und das kollektive Gedächtnis des Orts musste Lea Butsch, Autorin und Regisseurin des Theaters, zunächst hineinfinden, denn während ihr Mann Rolf Butsch gebürtiger Rietenauer ist, kommt sie aus einer Kleinstadt in der Pfalz. „Die Strukturen sind dort aber sehr ähnlich“, sagt sie schmunzelnd. Kennengelernt hat sich das Paar durch die gemeinsame Leidenschaft für die Bühne und vor allem durch den Beruf: Beide waren in der Suchtarbeit tätig und legten ihren Schwerpunkt auf die Theaterpädagogik mit Betroffenen – eine Seltenheit in der damaligen Zeit, sodass sich die Wege zwangsläufig irgendwann kreuzten und das eine zum anderen führte. „Wir wollten Theater mit Menschen machen, die eine gewisse Lebensgeschichte, aber auch eine Radikalität mitbringen und bereit sind, zu experimentieren“, sagt Lea Butsch. Im Jahr 1990 gründeten sie in Stuttgart gemeinsam das Theater Wilde Bühne, welches Stücke zur Sucht und Gewaltprävention für unterschiedliche Zielgruppen aufführt und bis heute aktiv ist, auch wenn die Butschs das Theater mittlerweile an ihre Nachfolger übergeben haben.
Eine Rückkehr nach Rietenau habe er sich in jener Zeit kaum vorstellen können, verrät Rolf Butsch. „Eigentlich war ich damals froh, den Ort hinter mir gelassen zu haben, weil dort alles noch sehr eng war.“ Als sich dann aber ein mögliches Zuhause in Rietenau auftat, gab das Paar dem Ort dennoch eine Chance und wurde nicht enttäuscht. „Wir haben uns dem Dorf angenähert und erkannt, dass hier viele Menschen etwas mit Kunst machen“, erklärt Rolf Butsch. Schließlich habe sich eine Gruppe herausgebildet, die insbesondere am Theaterspielen Gefallen fand: Das Theater Rietenau war geboren.
„Es hat uns Spaß gemacht, Themen aus dem Dorf und aus der Historie Rietenaus zu bearbeiten“, sagt Rolf Butsch, der anders als seine Frau mit auf der Bühne steht. Seine Arbeit begreift das Duo auch ein Stück weit als Erinnerungskultur. „Viele wissen zum Beispiel gar nicht, dass Rietenau einmal unter Acht und Bann stand und dass damals Bauern aus dem Ort nach Speyer marschiert sind, um zu verhandeln“, führt Lea Butsch aus. „Wir haben hier so viele spannende Ereignisse und Migrationsgeschichten... solche Themen behandeln wir, immer mit Humor, aber eng an der Geschichte.“
Eng an der Geschichte, aber mit Humor
2011 führte das Ensemble mit „Heimaten 1“ sein erstes Stück auf. Der Titel steht sinnbildlich für das Credo der Theaterleute, das da lautet: „In Möglichkeiten denken, nicht in Begrenzungen, und Heimat ändert sich konstant.“ Diese Veränderung positiv mitzugestalten sieht Lea Butsch als wichtige Aufgabe des Theaters. „Natürlich muss Heimat sich verändern und auch immer im Plural gedacht werden“, betont sie. „Das Dorf ist ja keine Insel, es kommen ständig neue Menschen und tragen auch neue Themen herein.“
Das Theater als Ort der Begegnung? Das könne man zweifellos so sagen, findet Lea Butsch. „Wir haben einige Kinder im Team, das ist unser Pfund.“ Und mit Ausnahme junger Erwachsener, die in dieser Phase mit der Familienarbeit befasst seien, zählten auch ansonsten Mitglieder fast jeder Altersgruppe zum Ensemble. „Man könnte es auch als Generationentheater bezeichnen“, stimmt Rolf Butsch zu. Dieser Begriff gefalle ihnen ohnehin besser als „Mundarttheater“, weil unter Letzterem oftmals etwas vorrangig Klamaukiges verstanden werde. „Das hat auch seine Daseinsberechtigung, ist aber nicht ganz unser Ding, auch wenn Humor wichtig ist“, erklärt Lea Butsch. Dabei ist und bleibt ihnen die schwäbische Verortung ein Anliegen. „Wir wollen Theater, das poetisch ist, aber seine Themen aus der Region bezieht und bei dem jeder schwätzen darf, wie ihm die Gosche gewachsen ist“, betont sie. Trotzdem gehe es aber eben nicht bloß darum, dass der Zuschauer einmal gelacht habe. „Wir möchten die Menschen auch berühren.“
Das Dorf Rietenau beteiligt sich rege
Das scheint zu gelingen und zwar nicht nur bei ausgewiesenen Kulturenthusiasten. „Wir erreichen auch Leute, die sonst vielleicht eher nicht den Weg ins Theater finden würden“, sagt Rolf Butsch. „Die Menschen im Ort stellen uns auch oft Requisiten oder Klamotten vor die Tür oder laden uns ein, auf ihren Grundstücken aufzutreten. Es ist schon zu spüren, dass man hier ein Stück weit stolz darauf ist, so etwas hier in Rietenau zu haben. Und wer seinen alten Mantel auf der Bühne im Einsatz sieht, freut sich oft besonders darüber.“
Wobei „Bühne“ in diesem Fall relativ ist. In Ermangelung einer solchen wurden insbesondere in der Anfangszeit die Stücke als Stationentheater konzipiert. „Wir haben die vielen kleinen Gässchen, die für Rietenau typisch sind, belebt und die Zuschauer in Winkel geführt, die sie teilweise noch gar nicht kannten“, erzählt Lea Butsch lachend. Mittlerweile gibt es zwar eine feste Bühne, aber eine große Freiluftbühne mit regelmäßigem Programm sei nicht ihr Ziel, sagen die Eheleute. „Wir wollen es bewusst klein und fein halten“, betont Rolf Butsch. Es mache schließlich auch den Charme aus, dass alles ein bisschen handgeschabt aussehe. Trotzdem hegen sie Pläne für Anschaffungen, die das Theater Rietenau bereichern würden. „Es gibt hier den wirklich sehr schönen Kurpark, in dem wir auch schon Auftritte hatten“, erklärt Lea Butsch. „Wir haben ein wenig vorgefühlt, ob es dort die Möglichkeit einer Patenschaft gibt, und da wäre ein kleines Dächle für uns natürlich schon super.“ Außerdem plane man, die Gemeinde Aspach mit einem größeren Geldbetrag bei der Anschaffung einer Bühne zu unterstützen, welche dann von allen Vereinen des Orts ausgeliehen werden könne.
Es werden intensive Beziehungen zu anderen Vereinen gepflegt
Das Theater ist ins kulturelle und gesellschaftliche Leben Rietenaus fest eingebunden. Nicht nur handelt es sich dabei um eine Sparte des Heimat- und Kulturvereins, dessen Vorsitzender Rolf Butsch ist, sondern es werden auch intensive Beziehungen zu den anderen Vereinen in der Gemeinde gepflegt. Vor allem Mitglieder des Musikvereins Rietenau stehen bei den Stücken immer wieder mit auf der Bühne und sorgen für die musikalische Untermalung. Und auch bei Veranstaltungen wie dem Kulturfeuer im Winter ist der Heimat- und Kulturverein sowie das Theater maßgeblich engagiert. „Es ist uns wichtig, auch etwas für die anderen zu tun und nicht nur für uns selbst“, sagt Rolf Butsch.
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