Rätselhaftes Naturphänomen
Woher kommt Blutschnee in den Alpen?
Eine Analyse ermittelt, wo und wann Blutschnee in den Alpen vorkommt. Daraus folgert das Forschungsteam, was Schneealgen brauchen und warum das Phänomen künftig seltener werden könnte.
Von Markus Brauer/dpa
Grönland, Alaska, Antarktis: Blutschnee ist bislang für einige Weltregionen nachgewiesen. Nun hat ein Forschungsteam das Vorkommen in den Alpen ergründet. Dabei fand die Gruppe um Léon Roussel von der Universität Grenoble in Frankreich nicht nur die vorwiegend betroffenen Areale, sondern ermittelte auch die Voraussetzungen für die Algenblüte, die den Schnee rot färbt.
Schon Aristoteles und die Wikinger kannten Blutschnee
Denn Mikroorganismen wie die Algenart Chlamydomonas nivalis gedeihen nicht nur in Seen, sondern auch in Schnee, wie die Gruppe in den „Proceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) schreibt. Die Blüten können je nach Algenart verschiedene Farben bilden - etwa rosarot bis karminrot, braun oder grün.
In den Alpen geht das Phänomen demnach auf die Grünalge Sanguina nivaloides zurück, die im Frühjahr und Sommer rote Pigmente bildet. Dies geschieht vornehmlich in Hochgebirgen während der Sommermonate.
Ohne den Verursacher biologischen Ursprungs zu kennen, wurde Blutschnee bereits von dem griechischen Philosophen und Naturforscher Aristoteles in der Antike und den Wikingern im Mittelalter beschrieben.
❄️ ANNGLAC paper alert ❄️ "Dye tracing of upward brine migration in snow” by Robbie Mallett, Vishnu Nandan, Julienne Stroeve, Rosemary Willatt, Monojit Saha, John Yackel, Gaëlle Veysière, Jeremy Wilkinson@RobbieMallett@ceos_um@CPOM_news@NSIDC ➡ https://t.co/WaBjWlSglEpic.twitter.com/zLPnZRn8C6 — Int. Glaciol. Soc. (@igsoc) September 20, 2024
Was macht Schneealgen so besonders?
Manche Algen sind zäh wie Plastikfolie und 30 Meter lang, andere zerbrechlich zart und nur unter dem Mikroskop zu erkennen. Und sie sind allgegenwärtig: Algensporen schweben vermutlich jetzt gerade durch Ihre Wohnung.
Die schneebewohnenden Grünalgen werden aufgrund ihrer physiologischen Anpassung an Kälte und Frost als Psychrophile bezeichnet und der Kryoflora zugerechnet. Sie sind also bestens an den Lebensraum Schnee und Gletscher angepasst.
Die Algen besiedeln hauptsächlich älteren Schnee, insbesondere in Klimaregionen, in denen Schnee und Eis länger erhalten bleiben wie den Polar- und Hochgebirgsregionen.
Algen blühen vor allem zwischen 1800 und 300 Metern
Die Gruppe um Roussel ermittelte anhand von Satellitenbildern aus den fünf Jahren von 2018 bis 2022, wo Blutschnee in den Alpen hauptsächlich vorkommt. „Algenblüten sind in den Alpen ungleichmäßig verteilt“, schreiben die Forscher.
Häufig war das Phänomen demnach in den nördlichen französischen Alpen, im Berner Oberland und im Wallis sowie – in geringerem Ausmaß – in Österreich im Ötztal und in den Hohen Tauern.
Überwiegend trat die Algenblüte in Höhen zwischen 1800 und 3000 Metern auf, tendenziell an nicht sehr steilen Süd- und Osthängen und jahreszeitlich im Juni häufiger als im Mai, Juli und August. Nur ein geringer Anteil (5,5 Prozent) entfiel auf Gletscher. Zwar gab es deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Jahren, insgesamt scheinen die Algen aber relativ standorttreu zu sein.
Lange Dauer der Schneeschmelze erforderlich
Durch den Abgleich der Satellitenbilder mit meteorologischen Daten ermittelte das Team die Voraussetzungen für die Algenblüten: Wichtigste Bedingung ist demnach zum einen eine lange Dauer der Schneeschmelze von mindestens 25 Tagen, zum anderen das Vorhandensein von Wasser in der gesamten Schneesäule.
Im Durchschnitt hatte die Schneeschmelze beim Beginn der registrierten Blüten 54 Tage angedauert, Wasser durchsickerte den Schnee im Mittel seit 49 Tagen.
„Flüssiges Wasser im Schnee ist für die Algen aus zwei Gründen nötig“, erläutern die Experten. „Erstens werden beim Schmelzen von Schnee Nährstoffe frei. Zweitens wird davon ausgegangen, dass Schneealgen-Arten, darunter Sanguina nivaloides, während eines beweglichen Geißel-Zellstadiums in dem Wasser migrieren.“
Wichtig scheint auch zu sein, dass der Boden nicht permanent gefroren ist. Das passt zu der Beobachtung, dass Blutschnee in den Alpen oberhalb von 3000 Metern Höhe nur selten vorkommt.
Saharastaub bringt Nährstoffe ins Hochgebirge
den Und es gibt einen weiteren Faktor: Staub aus der Sahara. Dieser Staub, der Nährstoffe wie Phosphor und Kalium enthält, sollte nicht zu wenig, aber auch nicht im Übermaß vorhanden sein, resümieren die Forscher unter Verweis auf ihre Fünf-Jahres-Daten. Denn zu viel Staub beschleunige die Schneeschmelze.
Dass der Klimawandel in den Alpen die Algenblüte verstärkt und dadurch vermehrt Schnee schmelzen könnte, glauben die Wissenschaftler nicht. Bei zunehmender Erderwärmung verlagere sich das Phänomen eher in größere Höhen, wo aber wesentlich weniger Fläche zur Verfügung stehe. Steige die Temperatur deutlich an, könnte Blutschnee in den Alpen demnach in Zukunft deutlich seltener werden.
Info: Ganz verschiedene Arten von Schnee
Neuschnee Frisch gefallener Schnee nennt man Neuschnee. Seine Eiskristalle sind noch fein verzweigt mit spitzen Zacken. Änderungen in der Struktur bezeichnet man als Schneeumwandlung oder Metamorphose. Ihre Art und Geschwindigkeit ist von äußeren Einflüssen wie etwa der Temperatur abhängig.
Pulverschnee Dies ist trockener Schnee, der auch unter Druck nicht zusammenklebt.
Nassschnee In dieser Konsistenz ist Schnee besonders schwer und nass. Er klebt ebenfalls zusammen und man kann Wasser herauspressen.
Sulzschnee So bezeichnet man nassen Altschnee insbesondere im Alpinismus. Die Grenze des Feuchtschnees ist hierbei der Firn, der nach kurzer Zeit in Sulz übergeht.
Faulschneee Auch Schneematsch genannt ist ein Gemisch aus Wasser und größeren Schneebrocken, die nicht mehr gut zusammenhalten.