Rätselhafte Milchstraße

Woher kommt die extreme Gammastrahlung in unserer Galaxie?

Astronomen haben eine der stärksten kosmischen Gammastrahlen-Quellen entdeckt – und das in unserer eigenen Galaxie. Urheber der Strahlung ist ein Mikroquasar: ein Doppelsystem aus Schwarzem Loch und massereichem Stern.

Astronomen haben eine Quelle extrem energiereicher Gammastrahlen entdeckt: einen Mikroquasar in unserer eigenen Galaxie.

© © HAWC/ University of Maryland

Astronomen haben eine Quelle extrem energiereicher Gammastrahlen entdeckt: einen Mikroquasar in unserer eigenen Galaxie.

Von Markus Brauer

Gammastrahlen gehören zu den energiereichsten und zugleich rätselhaftesten Phänomenen der Astronomie. Sie entstehen vermutlich unter anderem bei extremen Sternexplosionen, so genannten Hypernovae, oder wenn zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen. Neutronensterne sind kollabierte Überreste ausgebrannter Sonnen.

Quasare: Quellen extremer Gammastrahlen

Die extrem kurzwellige Gammastrahlung entsteht, wenn extrem beschleunigte Teilchen durch externe Einflüsse abgebremst werden und ihre überschüssige Energie in Form der Strahlung abgeben. Häufigste Ursache kurzzeitiger Gammastrahlen-Ausbrüche sind die Supernovae massereicher Sterne. Auch einige Pulsare erzeugen Jets in diesem Energiebereich.

Als stärkste kosmische Gammastrahlenquellen gelten Quasare – also aktiv Materie verschlingende supermassereiche Schwarze Löcher im Herzen ferner Galaxien. Die intensiven Strahlenkegel dieser Galaxienkerne reichen Milliarden Lichtjahre weit ins All hinaus.

Mexikanisches Observatorium misst Gammastrahlen

Doch auch in unserer eigenen Galaxie gibt es Gammastrahlenquellen, die den fernen Quasaren kaum nachstehen. Entdeckt haben dies Astronomen der HAWC-Kollaboration um Ruben Alfaro von der Autonomen Nationaluniversität Mexiko mithilfe des High-Altitude Water Cherenkov Gamma-Ray Observatory (HAWC) auf dem mexikanischen Vulkan Sierra Negado.

Diese Anlage besteht aus 300 Wassertanks, in denen Photosensoren die winzigen Lichtblitze einfangen, die energiereiche kosmische Strahlung bei Kollisionen mit Atomen erzeugt.

Ihre Studie ist im Fachmagazin „Nature“ erschienen.

Exciting news! Our Nature paper is out today, reporting the first detection of ultra-high-energy gamma rays from a microquasar, V4641 Sgr. You can read more here: https://t.co/ZqTgf3fvXtpic.twitter.com/t0CdZpdC6b — HAWC Observatory (@HAWC_Obs) October 16, 2024

Mikroquasar aus der kosmischen Nachbarschaft

Die Astronomen stellten bei der Analyse der HAWC-Daten von 2015 bis 2022 auf einen seltsamen Überschuss an extrem energiereicher Gammastrahlung. Sie hob sich deutlich vom normalen Hintergrund kosmischer Strahlung ab, wie das Team in seiner Studie schreibt.

Gammastrahlen mit solchen extremen Energien stammen in der Regel von Quasaren. Doch bei dieser Quelle war dies nicht der Fall: Alfaro und seine Kollegen konnte keine extragalaktische Quelle ermitteln. „Die Gamma-Photonen kommen von einem Mikroquasar in unserer eigenen Galaxie. Das ist ziemlich unglaublich“, berichtet Koautorin Sabrina Casanova vom polnischen Institut für Kernphysik in Krakau.

 

 

Quasare und Mikroquasare

Mikroquasare bestehen aus einem Schwarzen Loch oder Neutronenstern, der einem Partnerstern Materie absaugt und dabei Jets beschleunigter Teilchen erzeugt. Dabei setzen diese Jets oft energiereiche Röntgen- und Gammastrahlung frei. Sie sind die Miniaturausgaben von Quasaren.

Der Max-Planck-Gesellschaft zufolge ist ein Quasar das aktive Zentrum einer Galaxie, in dem sich ein supermassereiches Schwarzes Loch befindet. Die Ursache ihrer intensiven Strahlung sind Gaswolken in der Nähe des Schwarzen Lochs, die von ihm angezogen werde, aber nicht hineinstürzen. Statt vom Loch verschlungen zu werden, bildet sich eine sogenannte Akkretionsscheibe.

Dabei handelt es sich um einen gigantischen rotierenden Strudel, über den Materie in das Schwarze Loch strömt. Die dabei entstehenden hohen Reibungskräfte heizen das Gas auf einige Hunderttausend bis eine Million Grad auf und lassen es heller strahlen als alle Sterne der Galaxie zusammen.

Trotz ihrer großen Entfernung zur Erde strahlen Quasare sehr hell und gehören zu den leuchtkräftigsten Objekten im Universum und ermöglichen somit die Erforschung des frühen Universums.

 

 

Mikroquasar V4641 Sagittarii als Strahlenquelle

„Normalerweise haben Gammastrahlen von Mikroquasaren Energien im Bereich weniger Gigaelektronenvolt, aber diese hier sind zehntausende Mal energiereicher“, erläutert Casanova.

Der als Quelle identifizierte Mikroquasar V4641 Sagittarii (V4641 Sgr) liegt rund 20.000 Lichtjahre von uns entfernt und besteht aus einem stellaren Schwarzen Loch von rund sechs Sonnenmassen und einem Stern von rund drei Sonnenmassen. Beide umkreisen sich in enger Bahn mit einer Umlaufzeit von weniger als drei Tagen.

Der von diesem Doppelsystem erzeugte Jet zeigt auf das Sonnensystem, so dass dessen Gammastrahlen auf die Erde treffen.

 

 

Rekord-Energien entstehen durch beschleunigte Protonen

Die Prüfung der Daten ergab, dass V4641 Sgr selbst den bisher stärksten bekannten Mikroquasar der Milchstraße, SS 433, um das mindestens Zehnfache übertrifft. „Das außerordentlich harte Spektrum macht V4641 Sgr zu einer der härtesten (energiereichsten) je gemessenen Hochenergie-Strahlungsquellen“, berichten Alfaro und seine Kollegen.

Als mögliche Ursache für diese ungewöhnlich hohen Gammastrahlen-Energien vermuten die Astronomen hoch beschleunigte Protonen. „Diese Protonen könnten an der Randstoßwelle des Jets beschleunigt werden, dort wo der Jet auf das interstellare Medium trifft.“ Dies könne aber auch entlang des Jets geschehen.

 

 

Kosmische Strahlung durch Mikroquasare kein Einzelfall

Nach Ansicht der Astronomen legt die aktuelle Entdeckung nahe, dass Mikroquasare in unserer Milchstraße stärkere Strahlungsquellen sein können als angenommen. „V4641 Sagittarii ist wahrscheinlich nicht der einzige. Auch von anderen Mikroquasaren haben Observatorien schon extrem energiereiche Photonen detektiert“, konstatiert Casanova. „Es ist daher wahrscheinlich, dass Mikroquasare mehr zum energiereichsten Anteil der kosmischen Strahlung beitragen als gedacht.“

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Erstellt:
21. Oktober 2024, 14:21 Uhr
Aktualisiert:
21. Oktober 2024, 15:25 Uhr

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